08.02.2023 Tourismus — Anhörung — hib 102/2023

Tourismusbranche: Zu viel Bürokratie, zu wenig Personal

Berlin: (hib/EMU) Mit der Lage kleiner und mittlerer Unternehmen im Tourismus nach der Corona-Pandemie hat sich der Tourismusausschuss am Mittwoch in einer öffentlichen Anhörung beschäftigt. Sechs geladene Sachverständige gaben den Abgeordneten einen Einblick die momentane Situation in der Branche. Alle Fachleute waren sich einig, dass der Personalmangel im Tourismus einer der drängendsten Herausforderungen der nächsten Zeit sein wird. Zudem müssten Ausbildung und Arbeitsbedingungen verbessert und die Digitalisierung in der Branche vorangebracht werden.

Sonja Austermühle von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sagte, dass es während der Pandemie zwar dank des Kurzarbeitergeldes Entlastungen für die Touristikerinnen und Touristiker gegeben, aber dass dennoch einen Abbau von Arbeitsplätzen stattgefunden habe. „Die Reiselust der Deutschen hat zwar wieder zugenommen, aber leider wächst entsprechend dazu nicht die Anzahl der Beschäftigten“, so Austermühle. Die Zahl derer, die die Branche verlassen, steige sogar noch, da durch die Personalmangel die Arbeitsbelastung für die verbliebenen Angestellten stetig wachse. Zudem seien die Anforderungen in den vergangenen Jahren gestiegen. Hier müsse nachgebessert werden, sagte die Gewerkschafterin, besonders im Bereich der Arbeitszeiterfassung und beim Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Anke Budde, Präsidentin der Allianz selbständiger Reiseunternehmen, bestätigte: „Der Fachkräftemangel ist real. Das liegt auch daran, dass wir zu wenig ausbilden.“ Die Menschen dächten oft, dass in der Reisebranche alles „nur noch online“ gebucht werde. Dass es aber auch für die Erstellung und den Verkauf von Reisen auf digitalen Plattformen geschultes Personal brauche, werde oft übersehen, so die Reisefachfrau. „Wir müssen über das Berufsbild im Tourismus reden und des reformieren“, befand Budde. Die Auszubildenden müssten besser auf die sich ständig wandelnden Herausforderungen des Berufes vorbereitet werden und die Abläufe müssten stärker digitalisiert werden, um Reiseunternehmen zukunftsfest zu machen.

Ute Dallmeier, Geschäftsführerin des Lufthansa City Center Niederrhein, forderte, einerseits den bürokratischen Aufwand für die Unternehmerinnen und Unternehmer der Branche zu reduzieren und andererseits die Ausbildung und Förderung zu verbessern: „Die betriebswirtschaftliche Ausbildung in den Berufsschulen ist oftmals nicht ausreichend“, so Dallmeier. Und auch beim Thema Digitalisierung würden die Berufsanfänger nicht gut genug auf den nötigen Stand gebracht. Was die Fördermöglichkeiten angehe, müsse eine bessere Übersichtlichkeit her, die Anträge seien zu kompliziert und die vorhandenen Möglichkeiten schlicht oft nicht bekannt: „Das ist eine Welt, die die Reisebüros nicht kennen“, berichtete Dallmeier.

Ingrid Hartges, Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga, warb ebenfalls für einen Bürokratieabbau „ohne, dass Standards abgebaut werden müssen“. Dass in der Branche Arbeitskräfte fehlen, sei nicht erst seit der Pandemie Realität, so Hartges: „Wir brauchen einen Masterplan auf allen Ebenen. Dazu gehöre, an den Schulen offensiv für die duale Ausbildung in der Tourismus- und Gastronomiebranche zu werben und die Auszubildenden auch als potenzielle Unternehmer zu begreifen. “Wir haben so viele tolle, qualifizierte Ausbildungsberufe, da muss dringend was passieren„, sagte Hartges. Dazu gehöre unter anderem auch, durch Sprachkurse und Weiterbildungsmöglichkeiten die “Potenziale unserer ausländischen Mitbürger„ besser zu heben.

Sven Liebert, Generalsekretär beim Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft, betonte, dass die Branche zunächst wieder als sicher gelten müsse, um ihre Attraktivität als Arbeitgeberin zu erhöhen: “Die Menschen haben gerade kein Vertrauen, denn sie befürchten, dass eine Situation wie in der Pandemie wiederkommt.„ Liebert berichtete, dass die Buchungen gerade wieder zunehme: “Es gibt eine große Bereitschaft zum Reisen, die Menschen empfinden die Notwendigkeit, Dinge nachzuholen„. Es gebe zwar viel Bewegung, allerdings bleibe abzuwarten, ob die Konsumnachfrage weiterhin hoch bleibe, so Liebert. Einer Umfrage zufolge hätten 70 Prozent der Befragten angegeben, auf künftigen Reisen weniger Geld etwa für Souvenirs und Gastronomie auszugeben. Wie sich dies tatsächlich niederschlage, werde jedoch erst Mitte des Jahres erkennbar, prognostizierte der Sachverständige.

Ilja Nothnagel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag, berichtete, dass die Bilanzen der Pandemiejahre den Betrieben “noch in den Knochen stecken„. Jetzt stelle sich vielerorts die Frage, woher man das Geld für nötige Investitionen, wie etwa in die Digitalisierung, nehmen solle. Nothnagel begrüßte die Idee eines Runden Tisches für Bürokratieabbau: “Ein Gastronomie muss sich im Schnitt rund 14 Stunden in der Woche mit Bürokratie beschäftigen.„ Schwierig sei auch, dass viele Betriebe ihr Angebot reduzieren müssen, weil sie das Personal dafür nicht haben. Einige bekämen auf ihre Stellenausschreibungen gar keine Bewerbungen mehr, weil überall Leute fehlten.

Die Anhörung im Video (wird zeitversetzt übertragen), die Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw06-pa-tourismus-929082

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