Experten: Strategische Ziele waren nicht nachhaltig
Berlin: (hib/CRS) Im zweiten Teil der Anhörung beim 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan konzentrierten sich gestern die US- und Nato-Experten auf strategische Fehler beim Afghanistan-Einsatz der internationalen Gemeinschaft und die Evakuierung der Ortskräfte.
Der Unabhängige Generalinspekteur des US-Kongresses für den Wiederaufbau Afghanistans, John Sopko, erklärte, dass sowohl er als auch viele Vertreter der Nato immer wieder darauf hingewiesen hätten, dass die Ziele der Operation nicht nachhaltig gewesen seien. Viele hätten nach dem Abschluss des Doha-Abkommens auch davor gewarnt, dass das vom Abkommen vorgegebene Zeitfenster zum Auseinanderfallen der afghanischen Regierung führen würde.
Die Abhängigkeit der afghanischen Streitkräften von US-Luftunterstützung sei bekannt gewesen. Denn die afghanische Luftwaffe selbst sei von ausländischen Subunternehmern abhängig gewesen, die die Flotte gepflegt und repariert hätten. „Wir haben gesagt, falls die Subunternehmer gehen, kollabiert die Luftwaffe und dann die afghanische Armee. So ist es auch gekommen“, sagte Sopko.
Der ehemalige Zivile Repräsentant der NATO in Afghanistan, Stefano Pontocarvo, teilte Sopkos Meinung: „In den zehn Jahren vor dem Doha-Abkommen haben afghanische Truppen keine Schlacht gegen die Taliban verloren. Nachdem die Subunternehmer das Land verlassen haben, verloren sie jede Schlacht.“
Die Experten waren sich einig, dass der Afghanistan-Einsatz zu keinem Zeitpunkt Erfolgsaussichten hatte. Die Kultur sei den westlichen Vorstellungen fremd gewesen, es sei nicht möglich gewesen, das Land zu entwickeln. Der ehemalige Sekretär der Nato zuständig für Operationen, John D. Manza, wies darauf hin, dass man versucht habe eine Wirtschaft aufzubauen, doch es sei eine Fake-Wirtschaft entstanden. „Wir haben gesehen, dass die Leistung der Regierung zurückging, je mehr Geld wir ihr gegeben haben“, hob Manza hervor und fügte hinzu: „Auf gescheiterte Staaten können wir weniger Einfluss nehmen, als wir denken.“
Manza, räumte ein, dass es in Afghanistan auch einige Erfolge gegeben habe. Diese seien jedoch nicht nachhaltig gewesen. Heute könne man, beispielsweise, die Gehälter der Menschen nicht zahlen, denen die internationale Gemeinschaft Beschäftigung gebracht habe. Die Afghanen seien sehr glücklich gewesen, weil durch die Präsenz der internationalen Truppen Geld ins Land geflossen sei und die Wirtschaft geboomt habe. Das sei aber nur der Elite zugutegekommen. „Viele sind reich geworden“ unterstrich Manza. Für die Armen habe sich jedoch nichts geändert.
Pontecarvo bezeichnete die Zeit kurz vor und nachdem Kabul in die Hände der Taliban fiel als „unbeschreiblich und unüberschaubar“. „Wir hatten keine Angst vor den Taliban. Sie wollten den Abzug nicht verhindern. Doch wir machten uns Sorgen über andere Gruppen, wie Al-Qaida oder dem Islamischen Staat“, sagte Pontecarvo.
Es habe mehrere Tage gedauert, bis sie entschieden hätten, die Ortskräfte zu evakuieren. Denn sie seien unverzichtbar für die Evakuierungsoperation gewesen. Erst am 18. August, also drei Tage nach dem Fall Kabuls, hätten sie den Beschluss gefasst, die Ortskräfte der Nato, lokale Mitarbeiter internationaler Organisationen und der Nichtregierungsorganisationen sowie besonders gefährdete Personen auszufliegen. „Was sonst passierte, was in Washington oder andere Hauptstädte diskutiert wurde, war vollkommen irrelevant“, so Pontecarvo: „Diese Entscheidung haben wir vor Ort getroffen. Niemand hat uns auch gesagt, wir sollten Busse organisieren. Das alles haben wir gemacht.“
Zum Schluss empfahl Pontecarvo, Afghanistan auch in der Zukunft nicht aus den Augen zu verlieren. Denn nachdem die Taliban die Macht übernommen hätten, hätten mehrere Terrororganisationen ihre Zentrale in das Land am Hindukusch verlegt.
Sopko erklärte daraufhin, er glaube nicht, dass die internationale Gemeinschaft jemals wieder in Afghanistan intervenieren werde. Dennoch gebe es viel aus dieser Erfahrung zu lernen. „Es wird ähnliche Missionen auch in der Zukunft geben“, sagte Sopko, „und diese werden wahrscheinlich nicht mehr so weit weg von Deutschland stattfinden, wie es in Afghanistan der Fall war.“