Bundesregierung rechnet nicht mit Wahlbetrug in der Türkei
Berlin: (hib/SAS) Trotz der seit Jahren zunehmenden Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei geht die Bundesregierung davon aus, dass die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 14. Mai ohne gravierende Manipulation stattfinden. Diese Einschätzung äußerte ein Regierungsvertreter am Mittwoch im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Man rechne damit, dass der Urnengang zwar nicht fair, aber zumindest offen ablaufe, so der Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes.
Hoffnung darauf machte etwa die jüngste Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts, die bisherige Blockade der Konten der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP aufzuheben. So könne die Partei, gegen die gegenwärtig ein Parteiverbotsverfahren läuft, doch Geld aus der Staatskasse für den Wahlkampf bekommen, so der Außenamts-Vertreter. Auch die Entscheidung über das Verbot sei vertagt worden.
Nichtsdestotrotz stehe es um die Presse-und Meinungsfreiheit in der Türkei nicht gut. Das im Oktober 2022 verabschiedete Desinformationsgesetz etwa sehe Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren für die Verbreitung von Fehlinformationen vor. Journalisten drohten selbst bei unabsichtlich falsch veröffentlichten Informationen Strafen - das sei gerade mit Blick auf den Wahlkampf eine besorgniserregende Entwicklung.
Auch der Druck auf die Zivilgesellschaft steige, sagte der Vertreter der Bundesregierung. Das zeige das Vorgehen des türkischen Staates gegen Menschenrechtsaktivisten wie etwa Osman Kavala, der 2022 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Als jüngstes Beispiel nannte er die Verhaftung und Verurteilung der Vorsitzenden der türkischen Ärztekammer, Sebnem Korur Fincanci. Sie hatte in einem Interview die Untersuchung zu Vorwürfen gefordert, dass das türkische Militär Chemiewaffen gegen kurdische Extremisten eingesetzt habe.
Als ein gutes Zeichen wiederum wertete der Regierungsvertreter, dass sich im sogenannten Büyükada-Prozess Freisprüche abzeichneten. Unter anderem der Ehrenvorsitzende der türkischen Amnesty-Sektion, Taner Kilic, sowie weitere Mitglieder der Menschenrechtsorganisation waren 2020 verurteilt worden.
Abgeordnete der SPD-Fraktion setzten sich im Gespräch mit dem Regierungsvertreter auf eine stärkere Unterstützung des Demokratiesierungsprozesses ein, sollten die Wahlen zu einem Regierungswechsel führen. Die CDU/CSU-Fraktion fragte nach den Aussichten, mögliche Verbrechen gegen türkische Oppositionelle vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu untersuchen. Die Stärke der türkischen Zivilgesellschaft und das Selbstbewusstsein der Opposition hob die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hervor. Dieser sei es auch zu verdanken, dass die Menschenrechtssituation in der Türkei nicht vergleichbar sei mit der in Russland.
Die AfD-Fraktion thematisierte die politische Verantwortung des türkischen Präsidenten für das Ausmaß der Erdbebenkatastrophe im Februar; die FDP-Fraktion äußerte Zweifel, ob bei den kommenden Wahlen alle Wahlberechtigten in den Erdbebengebieten überhaupt Zugang zu einer Wahlurne hätten. Die Linksfraktion monierte Angriffe des türkischen Militärs auf kurdischen Stellungen unter anderem im Irak, von denen auch Flüchtlingscamps betroffen seien.