Zeuge: Evakuierungsentscheidung war gut vorbereitet
Berlin: (hib/HAU) Der 1. Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan hat am Donnerstag den Referatsleiter SE I 5 im Bundesverteidigungsministerium (BMVg), zuständig für Spezialkräfte der Bundeswehr und Nationales Risiko- und Krisenmanagement, als Zeugen befragt. Der Zeuge war nach eigener Aussage zuständig für die Entsendung von Krisenunterstützungsteams und die Entwicklung von Einsatzkonzepten.
Der Ministeriumsvertreter erläuterte vor den Abgeordneten, dass es seit dem 22. April 2021 eine Eventualplanung für Evakuierungen aus Afghanistan gegeben habe. Grund dafür sei der absehbare Abzug der Nato-Truppen aus dem Land gewesen. Für die Phase nach dem Abzug wollte man gut aufgestellt sein, so der Referatsleiter im BMVg. „Wir wollten vorbereitet sein“, sagte er.
Hinsichtlich einer möglichen Evakuierung sei man vor allem von deutschen Staatsangehörigen ausgegangen, für den Fall, dass angesichts einer eventuellen Lageverschärfung „normale Ausreisen“ aus Afghanistan nicht mehr möglich seien. Im Laufe der Zeit sei diese Eventualplanung um weitere Möglichkeiten ergänzt worden. Anpassungen hinsichtlich einer Geiselbefreiung habe es aber nicht gegeben, sagte der Zeuge. Auf Nachfrage machte er deutlich, dass die Schließung von Stützpunkten der Bundeswehr in Afghanistan nicht zu einer Änderung der Planung geführt hätten. Vielmehr sei ein solches Szenario die Grundlage der Planungen gewesen.
Bei der Eventualplanung habe sich das BMVg eng mit dem Auswärtigen Amt (AA) abgestimmt, sagte er weiter. Beim AA habe ohnehin die Gesamtverantwortung gelegen. Das BMVg habe nur einen Teilbeitrag geleistet.
Der Zeuge machte weiterhin deutlich, dass anfangs von einer Zahl zu evakuierender Personen von unter 300 ausgegangen worden sei. Planungsgrundlage seien 260 deutsche Staatsbürger und etwa 60 Ortskräfte gewesen. Das sei noch der Stand während einer Krisensitzung am 13. August 2021 gewesen. Die Zahl habe sich innerhalb von zwei Tagen dynamisch entwickelt.
An frühzeitige Berechnungen aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), dass bis zu 11.400 Personen zu evakuieren seien, habe er keine konkreten Erinnerungen, sagte er. Damals seien viele Zahlen in den Raum geworfen worden. Neben dem ständigen Aufwuchs bei den Ortskräften seien auch andere potenziell gefährdete Personen, wie etwa Frauenrechtlerinnen, zu dem Kreis dazu gekommen.
Als schließlich die USA und Großbritannien mit eigenen militärischen Kräften den Flughafen in Kabul gesichert hätten, sei man überein gekommen, dieses Zeitfenster zu nutzen, um eigene Kräfte nach Afghanistan zu bringen, um eine eventuelle Evakuierung durchführen zu können, sagte der Ministeriumsvertreter. Schließlich habe Deutschland zu dem Zeitpunkt keine eigenen Truppen mehr in dem Land gehabt.
Der Beschluss zur Evakuierung sei schließlich am 15. August 2021 gefallen - etwa zeitgleich mit den Evakuierungsbeschlüssen der USA und Großbritanniens, sagte der Zeuge. Ein eventueller Streit zwischen BMVg und AA über die Frage der Notwendigkeit einer erneuten Mandatierung angesichts der Entsendung von 300 Bundeswehrsoldaten sei ihm nicht erinnerlich, so der Ministeriumsvertreter.
Seiner Auffassung nach war die Evakuierungsentscheidung gut vorbereitet, auch wenn noch am 13. August 2021 diese nicht festgestanden habe. Damals habe man nicht mit einem so schnellen Fall Kabuls gerechnet, sagte er.
Die Identifikation der zu evakuierenden nicht-deutschen Staatsbürger sei anhand von Listen erfolgt, die das AA zur Verfügung gestellt habe, so der Zeuge, der nach eigener Aussage selber bei der Evakuierung nicht vor Ort war. Das Einsatzführungskommando habe die Aufgabe gehabt, die Kräfte vor Ort zu orchestrieren - immer in Abstimmung mit dem AA, wo die Feinheiten geklärt worden seien.
Auf Nachfrage bestätigte der Zeuge, dass erstmals am 13. August 2021 über die Ortskräfte geredet worden sei. Folge des Ortskräfteaufwuchses sei der Einsatz von mehr Transportmaschinen gewesen. Auch habe sich die Dauer der Evakuierung verlängert und sich die Belastung für das Personal erhöht. Die konkreten Entscheidungen seien im Einsatzführungskommando getroffen worden. Ministerielles Nachsteuern, so der Zeuge, sei nicht nötig gewesen „und wäre auch zu spät gekommen“.