28.04.2023 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 318/2023

Zeuge: BMZ war mit Evakuierung der Ortskräfte überfordert

Berlin: (hib/CRS) Der Referatsleiter Zentralasien, Afghanistan und Pakistan des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) berichtete gestern, im zweiten Teil der Zeugenbefragung durch den Untersuchungsausschuss Afghanistan im Bundestag, dass eine Task Force eineinhalb Jahre nach dem Fall von Kabul weiterhin an den Gefährdungsanträgen der Ortskräfte aus Afghanistan arbeite. Sein Ministerium sei auf diese Aufgabe nicht genug vorbereitet und überfordert gewesen.

Der Zeuge überraschte die Ausschussmitglieder mit einer auf den ersten Blick widersprüchlichen Sichtweise. Denn aus den Akten ging, aus Sicht der Abgeordneten, hervor, dass er und sein Team im Jahr 2021 die Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan mit einer nahezu perfekten Genauigkeit erfasst hatten. Dennoch hätten der Zeuge und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nicht nur dafür plädiert, die Ortskräfte im zivilen Bereich nicht zu evakuieren. Das Haus hätte auch gegen die Erweiterung des Berechtigtenkreises um die ehemaligen Mitarbeiter gestimmt.

Für den Afghanistan-erfahrenen Beamten kein Widerspruch: „Als Akteure der Entwicklungszusammenarbeit ist unser Mandat dort Hilfe zu leisten, wo Entwicklungsarbeit notwendig ist.“ Vor allem in Krisengebieten sei dies der Fall, so auch in Afghanistan, wo „Entwicklungserfolge auf dem Spiel“ stünden. Aus diesem Grund habe er sich für die Fortsetzung der Arbeit des BMZ und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Entwicklungszusammenarbeit (GIZ) im Land ausgesprochen. „Die Entwicklungszusammenarbeit ist darauf eingestellt gewesen, nach dem Abzug weiterzumachen und wir sind auch heute dieser Meinung“, sagte er.

Wie der BMZ-Vertreter sagte, habe die Tatsache, dass sein Ministerium auch gegen die Erweiterung des Kreises Antragsberechtigten „rückwirkend bis zum Jahr 2013“ gewesen sei, mit dem Gedanken zu tun, dass alle Ortskräfte gleich behandelt werden müssten. Diese zeitliche Erweiterung sei zunächst nur für die Ortskräfte der Bundeswehr und der Bundespolizei gültig gewesen. Die Jahreszahl 2013 sei nur deshalb gesetzt worden, weil in diesem Jahr die Mission ISAF durch die Mission Resolute Support ersetzt worden und daher auch eine Zäsur für die genannten Institutionen gewesen sei. Bei der Entwicklungszusammenarbeit habe dieses Datum jedoch keine Rolle gespielt.

Deshalb habe der damalige Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) davor gewarnt, dass sein Ressort bei Gleichbehandlung alle lokalen Mitarbeiter und ihre Familien während des gesamten Einsatzes berücksichtigen müsste und dies bis zu 50.000 Menschen umfassen würde. Stattdessen seien sie dafür eingetreten, den Kreis der Antragsberechtigten des Ortskräfteverfahrens nicht zeitlich zu erweitern, sondern dessen Umfang. So sollten nach Auffassung des BMZ nicht nur die lokalen Mitarbeiter der GIZ und der politischen Stiftungen, sondern auch die Ortskräfte der NGOs und deutscher Beratungsunternehmen das Recht bekommen, Gefährdungsanzeigen zu stellen und einen Anspruch auf das Ortskräfteverfahren erhalten, was nur bedeute, dass ihre Anträge geprüft werden würden. Eine automatische Zusage sei dies nicht.

Außerdem sei die Bearbeitungszeit beim Ortskräfteverfahren bis zum Ende des Afghanistan-Einsatzes sehr lange gewesen, weil eine Einzelprüfung der Gefährdungsanzeigen notwendig gewesen sei. Das habe Monate in Anspruch genommen. Im Sommer 2021 habe der deutsche Geschäftsträger aus Kabul berichtet, dass die Prozesse verkürzt werden müssten. Doch die Entscheidung, von Einzelprüfung zum beschleunigten Listenverfahren zu wechseln, sei bis zum Fall der afghanischen Hauptstadt nicht getroffen worden. „Am 15. August war jedem klar, dass wir das beschleunigte Verfahren anwenden“ sagte der Zeuge. „Die Entwicklung hat uns die Entscheidung aus der Hand genommen, wir hatten keine andere Wahl, die Entscheidung wurde nicht ausgesprochen, sie ist aber gefallen.“

Eine Woche später habe die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auch die Debatte über die Abweichung von der Jahresgrenze beendet, in dem sie entschieden habe, dass die Anträge von allen Mitarbeitern gestellt werden konnten, die ab 2013 für deutsche Organisationen tätig waren.

Auf Nachfrage erklärte der Zeuge, warum er sich gegenüber einer Initiative des damaligen Sonderbeauftragten Afghanistan der Bundesregierung, Markus Potzel, um den stockenden innerafghanische Friedensverhandlungen zum Erfolg zu verhelfen, mit den Taliban zu sprechen, skeptisch geäußert hatte. Er sei nicht dagegen gewesen, sondern habe sich nur Sorgen gemacht, da „Reputationsrisiken für die Bundesrepublik“ bestünden. Denn „man hatte die Taliban 20 Jahre als Gegner betrachtet“. Deshalb habe er mehrere Punkte aufgeschrieben, die in einem eventuellen Gespräch erläutert werden müssten. Zu diesem Gespräch sei es ohnehin nie gekommen, ergänzte er.

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