Abschlussbericht mit Empfehlungen beschlossen
Berlin: (hib/VOM) Die vom Bundestag am 16. März 2022 eingesetzte Wahlrechtskommission (20/1023) hat ihren Abschlussbericht in ihrer 16. und letzten Sitzung am Donnerstagabend beschlossen. Dafür stimmten die Koalitionsfraktionen und die Linksfraktion mit ihren Sachverständigen, dagegen die Unionsfraktion mit ihren Sachverständigen und die AfD-Fraktion. Sondervoten der Opposition bilden das 16. Kapitel des mehr als 100 Seiten umfassenden Berichts, der am Freitag, 12. Mai 2023, an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas übergeben werden soll. Der Abschlussbericht enthält nicht die Empfehlungen der Kommission zur Verkleinerung des Bundestages, die bereits im Zwischenbericht (20/3250) enthalten sind, den die Kommission Ende August 2022 vorgelegt hatte. Die auf den damaligen Empfehlungen der Kommission basierende Änderung des Bundeswahlgesetzes (20/5370, 20/6015) hat der Bundestag bereits am 17. März 2023 verabschiedet.
Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der Linken empfiehlt die Kommission im Abschlussbericht mehrheitlich, das aktive Wahlalter bei Bundestagswahlen von 18 auf 16 Jahre abzusenken. Die Unionsfraktion und ihre Sachverständigen wollen dagegen die Wahlberechtigung in Artikel 38 Absatz 2 des Grundgesetzes weiterhin bei der Vollendung des 18. Lebensjahres belassen. Die AfD-Fraktion will ebenfalls am Wahlalter mit 18 Jahren tendenziell festhalten.
Die Kommission ist sich darin einig, den Frauenanteil im Bundestag zu erhöhen, aber uneinig über den konkreten Handlungsbedarf. SPD und Bündnis 90/Die Grünen halten ein Paritätsgesetz für verfassungsrechtlich geboten und zwingend notwendig. Die FDP lehnt Regelungen im Wahlrecht, die eine Besetzung des Bundestages mit Personen eines bestimmten Geschlechts zu einem bestimmten Prozentsatz bewirken, ab und hält sie überdies für verfassungswidrig. Die Unionsfraktion und ihre Sachverständigen empfehlen, Maßnahmen unterhalb der Schwelle einer verbindlichen Quotenregelung zu ergreifen. Aus Sicht der AfD-Fraktion verstößt eine Quotierung von Mandaten oder Kandidaturen, die an das biologische Geschlecht anknüpft, gegen das wahlrechtliche Gleichheitsprinzip. Die Linke empfiehlt, die Chancengerechtigkeit von Frauen durch eine Paritätsregelung sicherzustellen.
Mehrheitlich empfiehlt die Kommission, die Dauer der Legislaturperiode auf fünf Jahre zu verlängern, wofür sich auch die Unionsabgeordneten offen zeigen. Dagegen spricht sich die AfD aus. Eine Bündelung von Wahlterminen wird abgelehnt, der Bundestag solle aber weiter darüber beraten, wie die Akzeptanz von Wahlen und die Attraktivität des Wahltags gesteigert werden kann. Mit Ausnahme der AfD lehnt die Kommission eine Begrenzung von Mandatszeiten ab. Sie empfiehlt, bei der Weiterentwicklung des Wahlrechts die Praktikabilität der Durchführung von Briefwahlen zu berücksichtigten.
Darüber hinaus soll der Bundestag beraten, wie die Teilnahme von im Ausland lebenden Deutschen an Wahlen erleichtert werden kann, etwa durch eine einfachere Wahlregistrierung und die digitale Beantragung von Briefwahlunterlagen. Ebenso wird empfohlen, über Änderungen der Regelungen zur Wahlprüfung sowie darüber zu beraten, ob ein Verbot der Veröffentlichung von Wählerbefragungen vor Ablauf der Wahlzeit erforderlich ist. Die bisherige Verfahrensweise der Wahlkreiskommission sollte nach einhelliger Meinung der Kommission nicht wesentlich geändert werden. Ebenso rät die Kommission dazu, die Empfehlungen der Venedig-Kommission beim Europarat zur Wahlkreisgröße zu beachten. Mehrheitlich wird schließlich empfohlen, elektronische Abstimmungen einzuführen, wenn die Arbeit des Parlaments dadurch nicht beeinträchtigt wird.
Sebastian Hartmann (SPD) würdigte, dass in einigen Punkten in der Kommission Einigkeit erzielt worden sei, wenn auch nicht in der Frage der Verkleinerung des Bundestages. Die Union habe lange an ihrem Modell eines Grabenwahlrechts festgehalten und erst zur Gesetzesberatung ein neues Modell vorgelegt. Was die gleiche Repräsentanz von Frauen und Männern im Parlament angeht, gebe es echten Handlungsbedarf, gesetzgeberisch tätig zu werden. Die von der SPD benannte Sachverständige Elke Ferner lobte, dass die kritisch-konstruktive Diskussion in der Kommission weitergeführt habe als gedacht, wenn auch nicht weit genug. Das Wahlrecht für Auslandsdeutsche sollte ihrer Ansicht nach noch in dieser Wahlperiode angegangen werden.
Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen) ergänzte, das Thema Parität beschäftige viele Menschen, die sich hier mehr wünschten. Auslandsdeutschen sollte ermöglicht werden, Briefwahlunterlagen digital zu beantragen, sagte die Grünen-Abgeordnete.
Ansgar Heveling (CDU/CSU) fand, dass tagespolitische Entscheidungen die Arbeit der Kommission mehr als nur ein bisschen überlagert hätten. Die unterschiedlichen Positionen seien nachvollziehbar, bei vielen Punkten habe man aber auch zu gemeinsamen Positionen gefunden. Die Kommission habe den Rahmen für weitere Diskussionen gesetzt. Heveling empfahl, das Wahlrecht für Auslandsdeutsche nun in die politische Tagesarbeit zu überführen.
Konstantin Kuhle (FDP) sagte, es wäre ein Zeichen, eine Regelung für die Auslandsdeutschen noch in dieser Wahlperiode hinzubekommen. Er erinnerte zudem daran, dass die Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre bei Europawahlen vom Bundestag bereits beschlossen worden sei.
Susanne Hennig-Wellsow (Die Linke) zeigte sich enttäuscht, dass die Koalition ihren Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeswahlgesetzes einbrachte, bevor die Kommission ihre Arbeit abgeschlossen hat. Der ursprüngliche Vorschlag der Koalition zur Verkleinerung des Bundestages sei gut gewesen. Der spätere Gesetzentwurf der Koalition mit dem Verzicht auf die Grundmandatsklausel könne aber nicht ihren Beifall finden. Es wäre auch möglich gewesen, die Geschlechterparität im Wahlrecht umzusetzen, sagte die Linken-Abgeordnete.