25.05.2023 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 400/2023

Zeuge: Entscheidungen kamen immer zu spät

Berlin: (hib/CRS) Bei der 38. Sitzung des Untersuchungsausschusses Afghanistan des Bundestages hat heute zunächst der Leiter des Referats Militärpolitik und Einsatz Region Asien. Ozeanien und Amerika des Bundesministeriums für Verteidigung (BMVg) ausgesagt.

Der Berufssoldat, der nach eigenen Angaben auf eine 20-jährige Afghanistan-Erfahrung zurückblickt, hob hervor, die Alliierten, und damit auch Deutschland, seien von den militärischen Fähigkeiten der USA als Haupttruppensteller abhängig gewesen. Es habe auch Unterschiede in den Führungskulturen und den Ansätzen gegeben. Deutschland habe versucht, Afghanistan nachhaltig zu unterstützen, damit die Menschen langfristig selbstständig agieren könnten. Die USA hätten beispielsweise Flugzeuge repariert, was aber langfristig nichts gebracht habe. Der Zeuge betonte jedoch, strategische Entscheidungen seien stets politisch und im Rahmen der Nato getroffen worden.

Das Doha-Abkommen zwischen den USA und den Taliban über einen Truppenabzug habe ihn überrascht. Sie seien darüber von den Amerikanern informiert geworden, sagte der BMVg-Vertreter, aber bis heute kenne sein Referat den gesamten Inhalt des Abkommens nicht. Bei neuen Entwicklungen hätten sie Kontakt zu den Amerikanern aufgenommen, um zu verstehen, was diese in Afghanistan vorhatten.

Bis Anfang 2021 habe es auch die Erwartung gegeben, die Präsidentschaftswahl in den USA könne eine neue Entwicklung ergeben. Die sei aber am Ende nicht eingetreten. In dieser Phase hätten die USA ihre Unterstützung für die afghanischen Kräfte, vor allem die Luftunterstützung, eingeschränkt. In der Folge hätten die afghanischen Truppen strategische Verluste erlitten. Die Taliban hingegen hätten strategische Gewinne erzielt, die Städte eingekreist und damit den „Fluss von Waren und Menschen“ unter ihre Kontrolle gebracht. Die innenpolitischen Konflikte in Afghanistan hätten, nach Aussagen des BMVg-Beamten, die Lage zusätzlich erschwert, denn es habe kein Gegengewicht mehr zu den Taliban gegeben.

Dass der Versuch gescheitert sei, die afghanische Armee aufzubauen, wollte der Berufssoldat nicht bestätigen. „Weil ich das Land seit 20 Jahren kenne und weiß, wo wir angefangen haben“, sagte er. „Ich glaube, es war kein Nonsens, es war zweckmäßig und es hat gewirkt.“

Zur Zusammenarbeit verschiedener Ressorts in Deutschland erklärte der Zeuge, diese sei extrem gut gewesen. Jedes Ministerium habe jedoch seine eigenen Sachzwänge. Beim Bundesinnenministerium (BMI) hätten sich, beispielsweise, zwei Referate mit Afghanistan beschäftigt. Das Referat, das sich mit den Ortskräften der Polizeiausbildungsmission befasste, habe eine andere Haltung vertreten, als das Referat, das für Migrationspolitik zuständig war. Letzteres habe „aufgrund rechtlicher Vorgaben nicht aus seiner Position ausbrechen können“. Man habe gegenseitig Druck aufgebaut, bis alle Ressorts zum Ergebnis gekommen seien, eine politische Entscheidung treffen zu müssen.

Dem Referatsleiter zufolge sei das Bundeskanzleramt bei der Staatssekretärsrunde immer dabei gewesen. Er könne sich aber an kein Eingreifen des Vertreters erinnern. Auf die Frage, ob er sich persönlich ein Machtwort des Bundeskanzleramtes gewünscht hätte, antwortete der Zeuge: „Was ich mir wünsche, ist irrelevant.“

In Bezug auf die Rückführung der Truppen und das Ortskräfteverfahren, sagte er, er habe in diesem Prozess gelernt, dass die militärische und zivile Perzeption einer Planung unterschiedlich sei. Militärs neigten dazu, sich frühzeitig auf verschiedene Optionen vorzubereiten. Das sei jedoch im Untersuchungszeitraum ein Problem gewesen, weil sich die Planungszeitfenster immer wieder verschoben hätten. Die Entscheidungen seien immer zu spät gekommen.

Im weiteren Verlauf der Sitzung wird der Ausschuss zum ersten Mal ein Zeuge aus dem BMI befragen. Danach wird eine nicht-öffentliche Sitzung folgen, in der ein weiterer Zeuge vom Bundesnachrichtendienst angehört werden soll.

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