16.06.2023 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 449/2023

Zeugin berichtet über Grundlagen des Ortskräfteverfahrens

Berlin: (hib/CRS) Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan hat in seiner gestrigen Sitzung ein ehemalige Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Aufenthaltsrecht und humanitäre Aufnahme des Bundesministeriums des Inneren (BMI) zum Ortskräfteverfahren und dessen Anwendung in Afghanistan befragt. Ihr zufolge war deren Aufgabe, darauf zu achten, dass andere Ressorts die rechtlichen Bestimmungen einhalten. Für die Kritik früherer Zeugen am BMI zeigte sie daher kein Verständnis.

Die Beamtin unterstrich, das Ortskräfteverfahren habe von Beginn an die Einzelprüfung jedes einzelnen Antrages vorgesehen. Es seien besondere Kriterien für eine Zusage definiert und die Verantwortlichkeiten verschiedener Ressorts festgelegt worden. Die Ortskräfte hätten dann selbst entschieden, ob und wann sie nach einer Zusage ihr Land verlassen und nach Deutschland kommen wollen.

Ihr Ministerium habe dabei stets daran festgehalten, dass die Einzelfallprüfung nicht durch eine pauschale Aufnahme ersetzt werde. Denn dafür hätte man die gesetzliche Grundlage während des laufenden Prozesses ändern müssen. Diese Grundlage sei auch nie aufgegeben worden.

Andererseits wies die Zeugin darauf hin, dass es gewisse Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung des Verfahrens bedürfe. „Dafür braucht man Institutionen vor Ort, die die Anträge entgegennehmen und prüfen“, sagte sie. Diese Voraussetzung sei vor allem nach dem Abzug aus Afghanistan nicht mehr gegeben gewesen.

Auf die Frage, warum das BMI auf das Einzelprüfungsverfahren bestanden habe, wo doch der Bundesnachrichtendienst (BND) festgestellt habe, dass „alle Ortskräfte latent gefährdet“ seien, antwortete die Zeugin mit dem Hinweis darauf, dass laut Gesetz eine latente Gefährdung für eine Aufnahmezusage in Deutschland nicht ausreichend sei. Dafür müsse die Ortskraft aufgrund ihrer Tätigkeit bei einer deutschen Organisation konkret gefährdet sein. Sie fügte hinzu, sie habe in keiner Bewertung der Lage gehört, „dass die Taliban gesagt haben, sie würden alle Ortskräfte töten“. Außerdem müsse das Ortskräfteverfahren, vor allem in Bezug auf Familienzusammenführung, auch mit dem allgemeinen Aufenthaltsrecht in Deutschland vereinbar sein.

Die Zeugin gab jedoch auch zu, dass spätestens bei der Evakuierungsoperation nach dem Fall der afghanischen Hauptstadt Kabul klar gewesen sei, dass dieses Verfahren nicht funktioniere. Daher sei vorübergehend zu einem Gruppenverfahren übergegangen worden, um „niemanden zurückzulassen“. Es habe jedoch vor Ort niemand gegeben, der dieses Verfahren organisieren und unterstützen konnte. Nachdem die Operation am Kabuler Flughafen zu Ende ging, habe ihr Ministerium darauf bestanden, wieder zur Einzelfallprüfung zurückzukehren. Inzwischen habe es aufgrund der Entwicklungen viele Erneuerungen im Verfahren gegeben.

Als die Abgeordneten sie daran erinnerten, dass ihr Ministerium und vor allem ihr Referat auch migrationspolitische Gründe erwähnt hätten, um ein Listenverfahren zu verhindern, sagte die Zeugin, das gehe auf eine Ministervorlage zurück. Daran würden mehrere Abteilungen, unter anderem auch ihre Abteilung, arbeiten. Deshalb sei es klar, dass auch migrationspolitische Aspekte Erwähnung fände. Würde sich herumsprechen, dass Deutschland pauschal alle Ortskräfte aufnehme, würden viele Menschen einen Antrag stellen. Solche Maßnahmen hätten auch einen migrationspolitischen Effekt, in diesem Fall einen Pull-Effekt, der auch zu berücksichtigen sei.

Die Beamtin des BMI vertrat die Ansicht, es sei eine politische Entscheidung, wie viele Menschen ein Land aufnehme. Auch die Entscheidung, was das gesetzlich vorgeschriebene Fürsorgepflicht konkret bedeutet, sei eine politische. Schließlich könne, beispielsweise, auch in Form von Abfindungen dieser Pflicht nachgekommen werden. Auch eine Unterbringung in einem Nachbarland könne der Fürsorgepflicht gerecht werden.

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