03.07.2023 Inneres und Heimat — Anhörung — hib 509/2023

Experten: Bevölkerungsschutz bei Großereignissen verbessern

Berlin: (hib/FLA) Der Bevölkerungsschutz sei in Deutschland durchweg gut aufgestellt - bei freilich deutlichen Verbesserungserfordernissen in großen Krisenlagen. Dies haben die Sachverständigen bei einer Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat unter der Leitung von Petra Pau (Die Linke) unterstrichen. Grundlage war ein Antrag der Unionsfraktion mit dem Titel „Aus den Krisen lernen - Für einen starken Bevölkerungsschutz“ (20/2562). Auf der Tagesordnung stand ohne eigene Drucksachennummer auch ein „Antrag der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP - Für einen modernen Bevölkerungsschutz, der den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen ist“.

Ben Bockemühl, Leiter der Feuerwehrakademie Hamburg, sah großen Verbesserungsbedarf bei der Bewältigung großer Gefahrensereignisse. „Die Krise hält sich nicht an die Zuständigkeit“, meinte er zu seiner Forderung nach Krisenmanagern, die überregional arbeiten dürfen. Dazu sei eine einheitliche Aus- und Fortbildung der Krisenstäbe erforderlich. Er betonte die Bedeutung einer Fehlerkultur. Bei der nachträglichen Bewertung der Einsätze müsse strukturiert aus den Krisen gelernt werden.

Albrecht Broemme, Vorstandsvorsitzender des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit, begrüßte, dass das Thema Bevölkerungsschutz aus der Schmuddelecke geholt worden sei. Das Thema habe sich angesichts der vielen Krisen in den letzten Jahren positiv entwickelt. Der Katastrophenschutz sei gut aufgestellt. Das liege an den vielen Ehrenamtlichen und den hauptamtlichen Kräften. Zu den Mängeln zählte er eine begrenzte Durchhaltefähigkeit, die sich bei Einsätzen über mehrere Wochen gezeigt habe.

René Burfeindt, Bereichsleiter Nationale Hilfsgesellschaft, Deutsches Rotes Kreuz, verwies auf ein zunehmend komplexeres Gefahrenspektrum. Einer Resilienzstärkung bedürfe es auch gegenüber chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Gefahren sowie Cyberangriffen. Ein weiteres Risiko seien klimabedingte Extremwetterereignisse. Das Bevölkerungsschutzsystem müsse von einem reaktiv zu einem proaktiv agierenden System weiterentwickelt werden. Er setzte sich für den Aufbau einer nachhaltigen Zivilschutzreserve des Bundes ein.

Gerd Friedsam, Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk a. D., sagte, komplexe hybride Sicherheitsbedrohungen häuften sich. Die Konzepte für die zivile Verteidigung müssten weiterentwickelt werden. Es sei rechtlich abzusichern, dass Einsatzkräfte der Hilfsorganisationen nicht eingezogen werden, sollte es im Spannungs- oder Verteidigungsfall zu einer Wiedereinführung der Wehrpflicht kommen.

Monika Gähler, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, erwähnte die Vielzahl an neuen technischen Entwicklungen in ihrem Haus, die für den Bevölkerungsschutz bedeutsam seien. Vor allem hob sie die Erdbeobachtung hervor. Sie verhelfe zu objektiven Überblicken über Krisensituationen. Als Beispiel nannte sie die Flutkatastrophe im Ahrtal oder die extreme Trockenperiode im Sommer 2013 mit ihren Auswirkungen auf die Landwirtschaft.

Gesine Hofinger, Professorin für Psychologie im Bevölkerungsschutz, Akkon Hochschule für Humanwissenschaften, Berlin, unterstrich, die wichtigste Ressource beim Bevölkerungsschutz sei der Mensch. Deshalb benötige die Aus- und Weiterbildung insbesondere bei Krisenmanagern Geld und kontinuierliche politische Unterstützung. Entsprechende Kompetenz sei nicht qua Amt etwa im Landratsamt vorhanden. Sie regte mobile Unterstützung für Verwaltungen in Krisenlagen an.

Sabine Lackner, Präsidentin der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, lenkte den Blick auf Handlungsbedarfe in den Bereichen Ausstattung, Ausrüstung und Fortbildung. Dafür benötige das THW eine zuverlässige und dauerhaft tragfähige Finanzierung. Nur so könnten nicht zuletzt die Liegenschaften der 668 THW-Ortsverbände schrittweise erneuert werden. Sie verwies auf zum Teil drastische Preissteigerungen. So kosteten Einsatzfahrzeuge und Anhänger heute mehr als das 1,5-fache im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit.

Maik Plischke, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft, befand, es müsse ein Ausbildungszentrum für Wassergefahren geschaffen werden. In ihm könnten verschiedenste Einsatzszenarien mit Wasserbezug simuliert und geübt werden. Er forderte, dass die jahrzehntelang vernachlässigte Bäderinfrastruktur durch eine gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen bedarfsgerecht ausgebaut werde. Fehlende Schwimmbäder behinderten das ehrenamtliche Engagement der DLRG bei der Ausbildung von Rettungsschwimmern, Strömungsrettern und Einsatztauchern.

Maren Urner, Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft, stellte die Bedeutung der Kommunikation für den Bevölkerungsschutz in den Vordergrund. „Menschen müssen sich austauschen, sonst wird das mit dem Krisenmanagement gar nichts.“ Bevölkerungsschutz beginne immer im Kopf. Negatives stehe bei den Menschen immer im Vordergrund. Diese Negativität müsse in Zeiten der Krisen bekämpft werden. Bei Angst und Stress seien die Menschen schlecht beraten. Das wisse schon der Volksmund.

Frank Weber, COO Malteser Hilfsdienst, meinte, weiterhin dringend notwendig seien Maßnahmen zur besseren Vorbereitung der Bevölkerung auf Krisenlagen. Insbesondere seien Ausbau und Weiterentwicklung des vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe geführten Programms „Erste Hilfe mit Selbstschutzinhalten“ an Schulen ein erfolgversprechender Weg. Die Finanzierung der von den anerkannten Hilfsorganisationen durchgeführten Lehrgänge müsse weiterhin sichergestellt werden.

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