06.07.2023 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 537/2023

Zeugin sagt zur Rolle der Entwicklungszusammenarbeit aus

Berlin: (hib/CRS) In der letzten Sitzung des Afghanistan-Untersuchungsausschusses vor der Sommerpause hat eine Referentin aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ausgesagt. Die Zeugin hat dort nach eigenen Angaben zwischen Oktober 2020 und April 2022 als politische Referentin zu Afghanistan gearbeitet und in dieser Zeit auch verschiedene Entwicklungsszenarien mitentwickelt. Dafür habe sie, ohne einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zu erheben, mehrere Gespräche mit aktuellen und früheren Kollegen vor Ort geführt sowie mit Personen aus dem Sicherheitsbereich und aus Nichtregierungsorganisationen.

In einem Szenario habe man angenommen, dass die Taliban auf irgendeine Weise an der Regierung beteiligt werden könnten. Sie hätten darüber diskutiert, was dieser Fall für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) bedeuten würde.

Zu diesem Zeitpunkt seien in Afghanistan nur robuste Projekte weitergeführt worden, die sich auch schnell einstellen ließen. Langfristige Projekte hätten sie nicht mehr empfohlen. Unter diesen Bedingungen habe man sich vorstellen können, die EZ fortzusetzen. Dafür hätte es aber einer politischen Entscheidung bedurft.

Man sei sich bewusst gewesen, dass die Fortführung der EZ unter Taliban-Führung eine Gefährdung afghanischer Ortskräfte bedeutet hätte. Man habe aber abwägen müssen zwischen dieser Gefahr und der Gefahr für die afghanische Bevölkerung, würde die Entwicklungszusammenarbeit eingestellt.

Die Zeugin wies darauf hin, dass es selbst unter Taliban-Herrschaft Möglichkeiten gebe, die EZ fortzuführen, über multinationale Organisationen wie die Vereinten Nationen. In ihren Überlegungen sei jedoch immer klar gewesen, dass es keine direkte Zusammenarbeit mit den Taliban geben würde. Partner staatlicher deutscher Entwicklungszusammenarbeit könne nur eine demokratisch legitimierte Regierung sein, die auch die Menschenrechte achte, betonte sie.

Auf Nachfrage eines Abgeordneten führte die Zeugin aus, sie könne sich gut vorstellen, dass die Taliban versucht haben könnten, EZ-Projekte zu besteuern. Ihr sei jedoch kein einziges Projekt bekannt, wo ein Schutzgeld an die Taliban bezahlt worden wäre. „Wir haben darüber gesprochen“, sagte sie. „Das war unsere klare rote Linie.“

Auch auf Korruption hätten sie immer Acht gegeben, erklärte die Beamtin weiter. Ihre Projekte zur Rechtsstaatlichkeit hätten ohnehin immer auf Korruptionsbekämpfung gezielt. Auch sei die Finanzierung immer an Bedingungen geknüpft gewesen. Regelmäßig hätten sie geprüft, ob die vereinbarten Maßnahmen tatsächlich von den afghanischen Partnern umgesetzt werden. Bei Nichterfüllung sei die Zusammenarbeit eingestellt worden.

In der letzten Phase hätten sie beobachtet, dass die Zahl der Gefährdungsanzeigen durch die Ortskräfte stetig stieg. Schon vor August 2021 habe ihr Referat darauf hingewiesen, dass das Ortskräfteverfahren (OKV) für die Ortskräfte des BMZ vereinfacht werden müsste. Im Ernstfall sei es nicht mehr zu bewältigen gewesen. Sie hätten sich auf Arbeitsebene gewünscht, dass schnellere Visaverfahren eingeführt worden wären, aber die politische Entscheidung sei anders ausgefallen.

Die BMZ-Referentin wurde auch nach Briefen an die Ortskräfte angesprochen, in denen ihnen sogenannte Bleibeprämien angeboten wurden. Im Gegenzug sollten die Mitarbeiter auf das Ortskräfteverfahren verzichten. Sie erklärte daraufhin, der Begriff „Bleibeprämie“ sei ungünstig und unangemessen gewesen. Ziel der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), die im Auftrag des BMZ Entwicklungsprojekte durchführt, sei gewesen, den Ortskräften alle Optionen anzubieten. Niemandem sei gesagt worden, dass keine Gefährdungsanzeige gestellt werden solle. Nach ihrem Kenntnisstand habe niemand eine Bleibeprämie angenommen.

Bei den Staatssekretärsrunden im Bundeskanzleramt hätten die Beteiligten nach ihrer Beobachtung stets auf Lösungen hingearbeitet. Wobei das Bundesinnenministerium und das Bundesverteidigungsministerium eine andere Perspektive gehabt hätten als das BMZ. Das Bundeskanzleramt habe eher zugehört.

Der Ausschuss setzt seine Sitzung aktuell mit der Befragung des Leiters der Abteilung Afghanistan und Pakistan der GIZ fort. Danach soll in einer nicht-öffentlichen Sitzung erneut der Verfasser eines internen BND-Berichts angehört werden.

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