Zeuge: GIZ hat Tausende Helfer aus Afghanistan herausgeholt
Berlin: (hib/CRS) Im weiteren Verlaufs der 44. Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses Afghanistan wurde gestern der Leiter der Abteilung Afghanistan und Pakistan der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) befragt. Der Zeuge berichtete darüber, wie seine Organisation die Evakuierung der Ortskräfte aus Afghanistan organisierte und vertrat die Meinung, dass Afghanistan mit den Taliban an der Macht ein sichererer Ort sei als bei einem zuvor befürchteten Szenario eines Bürgerkriegs. Er gab Auskunft darüber, wie seine Organisation die Evakuierung der Ortskräfte aus Afghanistan organisiert hat.
Der Zeuge, der erst im Juni 2021, also kurz vor dem Fall Kabuls die Leitung der Abteilung übernommen hatte, berichtete, die GIZ habe erfolglos versucht das Ortskräfteverfahren (OKV) zu vereinfachen. Ende Juni 2021 sei Bewegung in die Diskussion gekommen, weil dann die Bundeswehr das Verfahren vereinfachen konnte. Erst am 15.8. sei das OKV vereinfacht worden. Dann sei es jedoch nicht mehr einfach gewesen, die Menschen außer Landes zu bringen.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und das Auswärtige Amt (AA) seien kritisch gegenüber einer Ausweitung des Berechtigtenkreises des OKV gewesen, erinnerte sich der Zeuge. Umso überraschender war für ihn die Entscheidung, die Kriterien für eine Berechtigung aufzuweichen. „Diese Entscheidung hat unser Leben nicht einfacher gemacht“, unterstrich der Abteilungsleiter der GIZ. Bereits im Juli seien mehr Anträge der Ortskräfte eingegangen, aber nach dem 15. August, dem Fall von Kabul, habe es einen „run“ gegeben.
Nach dem Brief an die Mitarbeiter gefragt, in dem ihnen ein Bleibegeld angeboten worden sei, erklärte der Zeuge , dass es dabei nicht darum gegangen sei, Personen davon abzuhalten aus dem Land auszureisen. „Wir wollten die Personen unterstützen, die aus vielerlei Gründen in Afghanistan bleiben wollten“, gab er zu Protokoll. Diejenigen, die von diesem Angebot Gebrauch gemacht hätten, hätten auch nicht grundsätzlich ihr Recht auf das OKV verloren. Sie wären nur nicht mehr im vereinfachten Listenverfahren berücksichtigt worden und hätten ihren Antrag im Rahmen des regulären Ortskräfteverfahrens mit individueller Gefährdungsprüfung stellen müssen. Ohnehin habe keine einzige Person das Angebot angenommen, sondern sich alle für die Ausreise entschieden. Deshalb führe „der Hype in der Presse vollkommen an der Realität vorbei“, so der Zeuge.
Es habe auch Überlegungen gegeben, die ausreisenden Ortskräfte „heimatnah“ unterzubringen. Tadschikistan und Usbekistan sowie Pakistan seien im Gespräch gewesen. Aber keine einzige Regierung sei bereit gewesen, diese Personen aufzunehmen. Ihm sei es „egal“ gewesen, „ob sie jetzt nach Deutschland kommen oder in Usbekistan bleiben“.
Die GIZ habe über 28.000 Menschen aus Afghanistan herausgeholt, führte der Zeuge aus. Diese Evakuierung sei gut geplant und durchgeführt worden. „Wir haben zu jedem Zeitpunkt gewusst, wer auf welchem Weg ausreisen könnte. Für jeden Ausreisenden hatten wir ein Sicherheitskonzept.“ Um jede Ortskraft habe man sich persönlich gekümmert: „Es war Rundum-Paket komplett bis Islamabad.“
Von den Taliban sei keine Gefahr ausgegangen. „Weil die Taliban sich an das halten, was sie sagen“, meinte der Zeuge. Sie hätten gesagt, sie würden niemanden verfolgen und jeden ausreisen lassen, der ausreisen wolle. Dieses Wort hätten sie gehalten. Der Zeuge wies darauf hin, dass die Taliban jederzeit die Busse mit Ausreisenden hätten anhalten können, wenn sei das es gewollt hätten. Vor der Eroberung Kabuls durch die Taliban sei das Hauptszenario für die GIZ ein blutiger Bürgerkrieg gewesen, erklärte er und vertrat die Meinung, dass Afghanistan gegenüber diesem Szenario unter Taliban sicherer geworden sei, „weil der Hauptaggressor an der Macht ist.“
Der Abteilungsleiter der GIZ sagte, er sehe bei einer Tätigkeit für die GIZ keinen Unterschied in der Gefahrenlage zwischen Land und Stadt, durchaus aber zwischen den jeweiligen Provinzen. „Risikofeld ist für uns immer dann, wenn es innerhalb der Taliban Konflikte gibt“ sagte er. Diese Konflikte seien erst nach der Machtübernahme ausgebrochen.
Der Zeuge berichtete auch über die Informationspolitik seiner Organisation während der Tage der Krise. Die GIZ hatte unzählige Anfragen erhalten und bei der Beantwortung Prioritäten gesetzt, erzählte er. Demnach sei die oberste Priorität gewesen, die Politik zu informieren, dann die Presse. Die Mitarbeiter außerhalb Afghanistans seien an letzter Stelle gewesen.