Umgang mit Ergebnissen des Afghanistan-Einsatzes
Berlin: (hib/LL) Stabilisierungsprojekte haben nicht zu mehr Stabilität geführt, überambitionierte Ziele nicht zu einem Strategiewechsel und schlechte Nachrichten wurden bei der Unterrichtung der Ministerien und Parlamente tendenziell unterdrückt: Über die insgesamt enttäuschenden Ergebnisse der internationalen Afghanistan-Mission und den unehrlichen Umgang damit berichteten internationale Sachverständige während einer öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ am Montagnachmittag.
Die „Norwegian Commission on Afghanistan“ habe für Norwegen als erstes Land überhaupt eine Evaluierung des Einsatzes durchgeführt, und die Wirkungsmessung des internationalen und deutschen Engagements in Afghanistan im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sei die bislang umfassendste Analyse der entwicklungspolitischen Unterstützung Afghanistans, sagte Michael Müller, Vorsitzender der Enquete-Kommission. Und sowohl mit Norwegen als auch mit den Niederlanden habe Deutschland in Afghanistan eng zusammengearbeitet, was die Evaluierungen dieser Länder umso interessanter für Deutschland mache.
Konfliktlösung und Entwicklung, wie man sie in Afghanistan versucht habe, bleiben ein wichtiges Thema in einer Welt, in der es weiterhin Terrorismus gebe, sagte Bjørn Tore Godal, Vorsitzender der „Norwegian Commission on Afghanistan“, die das norwegische Engagement 2001 bis 2014 in Afghanistan untersucht hat. Trotz der langjährigen internationalen Bemühungen sei die Situation in dem Land allerdings entmutigend. Militante islamistische Gruppen und die Taliban seien stärker denn je seit 2001 und drohten die erzielten Fortschritte auf dem Gebiet der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und staatlichen Entwicklung am Ende völlig zunichte zu machen.
Die Untersuchungen der norwegischen Kommission hätten ergeben, dass das internationale Engagement in Afghanistan vor allem von Sicherheitsüberlegungen getrieben worden sei. Das Ziel des Staatsaufbaus und die Entwicklungshilfe hätten ganz im Zeichen des Kampfes gegen den Terror gestanden. Verglichen mit den hohen Ambitionen, die die norwegische Entwicklungshilfe sich gesetzt habe, nämlich in Afghanistan einen gut funktionierenden, wirtschaftlich selbständigen, demokratischen Staat aufzubauen, sei das Ergebnis bereits 2014 enttäuschend gewesen.
Der kombinierte Ansatz aus dem Kampf gegen der Terror und Entwicklungshilfe habe nicht funktioniert, so die persönliche Einschätzung des ehemaligen Botschafters in Deutschland sowie Außen- und Verteidigungsministers Norwegens. Man hätte die Terroristen mit Spezialkräften rasch besiegen und abziehen müssen. Die Taliban hätte man in einem inklusiven Ansatz am besten von Beginn an in einen Friedensprozess einbezogen. Unabhängig von dem militärischen Einsatz hätten dann die Entwicklungshilfeprogramme und -organisationen tätig werden können, sagte Godal.
Mit zu optimistischen Zielsetzungen sei man in den Afghanistan-Einsatz gegangen, habe keine ausreichende Fortschrittsmessung betrieben und gegenüber Öffentlichkeit und Parlament zumeist lediglich die Erfolge kommuniziert, berichtete Joost Flamand, Direktor der Abteilung Sicherheitspolitik Außenministerium der Niederlande, aus den Studien seines Landes. Mit dem Ziel einer langfristigen Stabilisierung hätten die Niederlande sich in Afghanistan umfassend engagiert. Es gebe eine enge Kooperation zwischen den Ministerien. Auf eine maximale Beteiligung des Parlaments bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Streitkräfte lege man großen Wert. Um eine möglichst breite Koalition zu gewinnen und die Öffentlichkeit zu überzeugen stelle man sich komplexen politischen Debatten. Ein politisches Minenfeld seien solche Engagements. Aufgrund außenpolitischer Einsätze seien Regierungen in Den Haag wiederholt in Schwierigkeiten geraten, so auch beim Afghanistan-Einsatz, berichtete Flamand. Das Hauptziel, nämlich einen handlungsfähigen afghanischen Sicherheitsapparat zu schaffen, sei nicht erreicht worden. Streitkräfte und Polizei dort seien weiterhin auf die internationale Unterstützung angewiesen gewesen, die ihnen dann aber entzogen wurde. 2001 habe die internationale Koalition begonnen, in Afghanistan einen Staat nach westlichen Vorbild zu schaffen, was in der dortigen Realität nicht habe funktionieren können.
Man sei insgesamt mit dem Ziel des Staatsaufbaus zu ambitioniert gewesen, sagte Flamand. Von den selbst gesteckten Zielen sei schließlich nur das der Bündnissolidarität erreicht worden. Und man habe stets zu positiv vom Verlauf der Mission berichtet. Bei der Nato wie auch in den nationalen Regierungen habe sich ein kollektives Wunschdenken breit gemacht. Alle hätten sich dieselbe Erfolgsgeschichte zu eigen gemacht. Negative Signale etwa von einer sich verschlechternden Sicherheitslage seien heruntergespielt worden. Künftig müsse man sich klare und realistische Ziele setzen, sich einer laufenden Erfolgskontrolle unterziehen und transparent berichten, führte der Sachverständige as-
Während es der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gelungen sei, in den drei Bereichen der medizinischen Grundversorgung, der Grundschulbildung und bei kleineren Infrastrukturmaßnahmen der Strom- und Wasserversorgung erhebliche Verbesserungen für die afghanische Bevölkerung zu erzielen, seien solche Wirkungen in vier weiteren Bereichen nicht erzielt worden, erklärte Christoph Zürcher von der University of Ottawa, Graduate School of Public and International Affairs.
Eine geringe Wirksamkeit bescheinigte Zürcher den Bemühungen im Sektor der Regierungsführung, aber auch den Programmen zur Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung und des Privatsektors. Im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter gebe es ebenfalls nur bescheidene Fortschritte zu verzeichnen und „Stabilisierungsprojekte haben nicht zu mehr Stabilität geführt. Entwicklungszusammenarbeit war kein wirksames Instrument für Gewaltverminderung oder für Legitimitätszuwachs für staatliche Strukturen.“
Das BMZ habe ab etwa 2017 Anpassungen vorgenommen. Es seien keine großen und komplexen Infrastrukturprojekte mehr geplant worden. Man konzentrierte sich stattdessen auf die sicheren urbanen Gebiete und erhöhte die Zahl der Trainingsmaßnahmen. Diese Anpassungen hätten jedoch insgesamt keinen grundlegenden Strategiewechsel bedeutet, sondern seien taktischer-operativer Natur gewesen, um die Entwicklungshilfe in der bisherigen finanziellen Höhe beibehalten zu können, so Zürcher. Von den überambitionierten Zielen, insbesondere dem Aufbau eines demokratisch legitimierten Rechtsstaates, sei die Bundesregierung nicht abgerückt.
Dies sei wohl vor allem innen- wie außenpolitischem Druck geschuldet gewesen. Außerdem habe man Grundannahmen, auf denen das zivile Engagement beruhte, seit der Petersberg Konferenz 2001 kaum mehr kritisch überprüft. „Diese Annahmen, welche sich im Lauf der Zeit als nichtzutreffend erwiesen haben, waren: Entwicklungszusammenarbeit kann trotz Krieg wirksam sein. Der afghanische Staat ist ein williger Reformpartner. Er hat die Mindestkapazität, um bestimmte Reformen tatsächlich umzusetzen. Maßnahmen im Bereich “Stabilisierung„ können zu mehr Sicherheit und mehr Legitimität beitragen. Die Taliban haben nicht viel Rückhalt in der Bevölkerung.“
Künftig sollten solche Annahmen periodisch überprüft und angepasst werden, forderte der Wissenschaftler. Besonders in fragilen Kontexten müssten qualitativ hochwertige und unabhängige Evaluierungen in größerem Umfang durchgeführt werden, als dies bisher der Fall sei. Zudem sei das Maßnahmen-Portfolio nach Erfolgswahrscheinlichkeiten aufzustellen. Gerade in Ländern wie Afghanistan gelte es, sehr kontextbezogen zu arbeiten. Es bestehe ansonsten die Gefahr dass Ressourcen dort eingesetzt werden, wo sie keine Wirkung erzielen, und dort fehlen, wo sie die Lebensbedingungen der Menschen spürbar und sinnvoll verbessern können.