13.10.2023 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 749/2023

Rechtlicher Rahmen für Ortskräfte-Evakuierung fehlte

Berlin: (hib/CRS) Laut Aussage eines Zeugen vor dem 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan war die Bundesregierung auf die Evakuierung von Ortskräften nicht ausreichend vorbereitet, weil der dafür nötige rechtliche Rahmen fehlte. Er hatte im Untersuchungszeitraum das Referat „Optimierung des Visaverfahrens und Organisationsberatung der Visastellen im Auswärtigen Amt (AA)“ geleitet. In der Sitzung am Donnerstag räumte er ein, er habe sich gewünscht, dass der rechtliche Rahmen für eine schnelle Evakuierung der Ortskräfte in Afghanistan früher geschaffen worden wäre. „Wenn wir Personal als Ortskräfte in Krisenregionen anstellen, müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass es [die Evakuierung] sehr schnell geht“, sagte er.

Der Beamte erklärte, sein Referat habe drei Aufgaben: die Visastellen beraten, das Personal schulen und Verträge mit externen Dienstleistern abschließen, um die Auslandsvertretungen zu entlasten.

Er betonte, es sei für ihn immer ein realistisches Szenario gewesen, dass der Truppenabzug zu einer erhöhten Zahl von Anträgen und sogar zu chaotischen Szenen führen könne. Die Visumbearbeitung erfordere unter solchen Umständen mehr Personal. „Ich bin alt genug, um mich an Vietnam zu erinnern“, unterstrich er. „Wenn man Lehren aus der Geschichte zieht, muss man sich darauf vorbereiten.“

Da bereits vor dem Abschluss des Doha-Abkommens im Frühjahr 2020 die Visavergabe für afghanische Staatsbürger sehr schwer gewesen sei und vor allem die gefährdeten Ortskräfte deutscher Institutionen in Afghanistan davon betroffen gewesen seien, habe sein Referat früh überlegt, bei der Antragsannahme mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Kabul zu kooperieren.

Bevor die Zusammenarbeit 2021 aufgenommen werden konnte, habe jedoch das Bundesinnenministerium (BMI) überzeugt werden müssen, erklärte der Zeuge. Dort sei befürchtet worden, die lokalen Mitarbeiter der IOM könnten ein Sicherheitsrisiko darstellen. Auch den Vorschlag, Visaanträge von Afghanen alternativ in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad von einem externen Dienstleister entgegennehmen zu lassen, habe das BMI mit derselben Begründung abgelehnt. Als die IOM schließlich doch ihre Arbeit aufgenommen habe, sei es zu spät gewesen, so der Zeuge. Die Taliban hätten kurz darauf Kabul überrannt.

Man hätte sich vorbereiten müssen, betonte der AA-Mitarbeiter immer wieder, erklärte jedoch auch: „Man kam immer an eine Grenze, was man aus Sicherheitsgründen nicht überschreiten kann.“ Kurzzeitig habe man erwogen, die deutsche Botschaft in Teheran zu ertüchtigen. Aber diese Idee sei aus politischen Gründen verworfen worden.

Laut Aussage des Zeugen mussten im Rahmen des Ortskräfteverfahrens (OKV) die Dokumente der Antragsteller und ihrer Familienangehörigen von lokalen Vertrauensanwälten geprüft werden. Außerdem sei gesetzlich eine Sicherheitsprüfung im Vorfeld vorgesehen gewesen, die den Prozess zusätzlich verlängert habe. Um das OKV zu verkürzen, habe sein Referat überlegt, beide Prüfungen abzuschaffen: „Ich ging davon aus, dass die Ortskräfte, die von der Bundeswehr und anderen angestellt worden sind, vorher geprüft worden waren. Das waren keine Unbekannte.“ Aber auch dieser Vorschlag habe im BMI kein Zuspruch gefunden.

Die Sicherheitsbedenken des BMI waren laut Aussage des Zeugen nicht das einzige Hindernis bei der Antragsannahme. Der AA-Beamte machte auch auf technische Schwierigkeiten aufmerksam. So habe zum Beispiel die Ausfuhr der Geräte, die bei der Annahme von Visaanträgen eingesetzt werden, vorher genehmigt werden müssen. Grund dafür sei eingebauter Chip aus den USA.

Die zweite Zeugin, die im Untersuchungsausschuss auftrat, leitete im Untersuchungszeitraum das Referat im Bundeskanzleramt (BKAmt), das für innenpolitische Angelegenheiten zuständig ist. Sie berichtete, es habe erst ab Ende April 2021 an den regelmäßigen Ressortbesprechungen teilgenommen. „Wir wurden auf Initiative des BMI eingeladen und versuchten, uns einzuarbeiten“ sagte sie und fügte hinzu: „Aber auch wenn wir früher dabei gewesen wären, hätte sich nichts geändert.“

Die Referatsleiterin erklärte den Abgeordneten die generelle Arbeitsweise des Kanzleramts. Konflikte zwischen Ressorts sollten danach erst auf Arbeitsebene versucht werden zu lösen. Die Amt habe die Rolle eines „ehrlichen Maklers“ nicht aufgeben wollen. Deswegen schalte habe es sich nicht zu früh eingeschaltet.

Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich dennoch einmal entscheidend eingebracht, erinnerte sich die Zeugin. Als die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer im Juni 2021 gefordert hatte, den Kreis der OKV-Berechtigten auszuweiten, habe die Kanzlerin einer Woche darauf in einer Ministerbesprechung entschieden, dieser Forderung nachzukommen.

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