Spitzen der Nachrichtendienste vor dem Kontrollgremium
Berlin: (hib/HAU) Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages hat am Montag zum siebten Mal in seiner Geschichte die Spitzen der Nachrichtendienste des Bundes in einer öffentlichen Anhörung befragt. Bei der jährlichen Veranstaltung stellten sich die Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, und des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, sowie die Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (MAD), Martina Rosenberg, den Fragen der Abgeordneten. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und der jüngsten Terrorangriffe auf Israel machten sie dabei deutlich, dass die Zusammenarbeit der nationalen Sicherheitsbehörden stärker gefordert sei, denn je.
„Der Terror der Hamas im Nahen Osten stellt eine weitere Zäsur dar, die Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland haben kann“, sagte BfV-Präsident Thomas Haldenwang zu Beginn seiner Ausführungen. Damit sei deutlich geworden, dass Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit in letzter Konsequenz zu Menschenverachtung, Mord und Totschlag führen könne. Haldenwang nannte es sehr bezeichnend, dass Extremisten in nahezu allen Phänomenbereichen des BfV Erscheinungsformen des Antisemitismus propagieren und praktizieren. Der BfV-Präsident verwies auf den „perfiden rechtsextremistischen Anschlag“ auf die Synagoge in Halle am Jom Kippur vor vier Jahren.
Mit Blick auf die aktuelle Sicherheitslage in Deutschland sagte Haldenwang, die starke innere Substanz unserer Demokratie werde geprüft und strapaziert. Oft genannte Phänomene würden sich bestätigen. So dienten multidimensionale Krisen als Aufputschmittel für den Extremismus. „Interne und externe Krisen waren, sind und bleiben Nährboden für unterschiedlichste Formen des Extremismus und können als Trigger auf extremistische Kräfte jeder Couleur wirken“, sagte er. Zudem gebe es eine „Entgrenzung verfassungsfeindlichen Gedankengutes in die Breite der Gesellschaft“.
Rechtsextremisten bewirtschafteten in bekannter Manier real existierende Ängste und Krisenerfahrungen, um die Radikalisierung der politischen Ränder zu verschärfen und ihre Agenda „in die bürgerliche Mitte zu eskalieren“, sagte Haldenwang. Dabei gewinne der Themenkomplex Migration und Asyl zunehmend an Bedeutung. Extremistische Denk- und Sprachmuster würden sich in die Gesellschaft einnisten. „Die Einstiegsschwelle in den Extremismus ist gefährlich abgeflacht“, befand der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Im Themenkomplex Klimaschutz würden durch Sabotageakte und Brandstiftung schwere Schäden verursacht und dabei auch kritische Infrastrukturen wie die Deutsche Bahn attackiert, sagte Haldenwang weiter. Auch die Gefahr schwerer Gewalttaten von Linksextremisten gegen Personen werde als ernst bewertet. „Auch wenn die Schwelle zum Linksterrorismus noch nicht überschritten wurde, ist die Entstehung neuer linksterroristischer Strukturen wahrscheinlicher geworden“, sagte er.
Im Feld des dschihadistischen Islamismus sei die Terrorabwehr eine prioritäre Daueraufgabe geworden, so der BfV-Präsident. Die relative Ruhe in diesem Bereich sei der harten Arbeit und der Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden zu verdanken.
Für MAD-Präsidentin Rosenberg zeigen die terroristischen Angriffe auf Israel einmal mehr, „dass Sicherheit heute nicht selbstverständlich ist“. Der Militärische Abschirmdienst richte aufgrund der sich verändernden Sicherheitslage, insbesondere infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, seine Aufgaben verstärkt auf die Herausforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung aus. „Damit gewährleisten wir für die Bundeswehr einen maximalen Schutz vor terroristischen und extremistischen Bedrohungen sowie vor Spionage und Sabotage“, sagte Rosenberg. Dies gelte nicht nur für die Einsatzabschirmung im Ausland, sondern beginne bereits im Inland bei allen Übungen, Planungsvorhaben und Vorbereitungen für den Einsatz.
Nach wie vor stehe die Bundeswehr mit all ihren militärischen Fähigkeiten im besonderen Fokus ausländischer Nachrichtendienste - zuallererst jener aus Russland und China. Laut der MAD-Präsidentin ist ein breit gefächerter Ansatz an hybriden Maßnahmen im Cyber- und Informationsraum zu beobachten. Dabei verliere aber auch die klassische Spionage nicht an Bedeutung. Prävention, so Rosenberg, sei das beste Abwehrmittel. Bundeswehrangehörige sollen durch Präventionsarbeit in die Lage versetzt werden, nachrichtendienstliche Ansprachen frühzeitig zu erkennen und sicherheitsbewusst zu reagieren, sagte sie.
„Unser sicherheitspolitisches Umfeld befindet sich im Umbruch“, betonte BND-Präsident Kahl. Die internationale Ordnung werde zunehmend aggressiv infrage gestellt. „Der zwischenstaatliche Krieg ist als Mittel der Durchsetzung von Interessen nach Europa zurückgekehrt.“ Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der fürchterliche Terrorangriff der Hamas auf Israel mit weit mehr als 1.200 Opfern zeigten dies auf dramatische Weise. Die Auswirkungen dieses neuen Krieges auf die Stabilität der Region seien noch nicht abzusehen. Sollte die Lage weiter eskalieren, drohe ein Flächenbrand mit Auswirkungen, die weit über den Nahen und Mittleren Osten hinausreichen werden.
Der BND müsse den neuen sicherheitspolitischen Entwicklungen in seiner Aufgabenerfüllung, seinem Selbstverständnis, seiner Zukunftsplanung und seiner Organisation strategisch Rechnung tragen, so Kahl. Dazu habe der Dienst in den letzten Jahren die Voraussetzungen geschaffen. „Die strategische Modernisierung hat den Dienst von den Inhalten und Methoden und unsere Neuorganisation von den Strukturen und Prozessen her auf den neusten Stand gebracht“, sagte der BND-Präsident. Dies sei anstrengend und sehr kräftezehrend gewesen. Dennoch müsse es weitergehen: „Nach der Reform ist vor der Modernisierung“, sagte Kahl. „Im Rahmen der Vorgaben der Bundesregierung wollen und müssen wir unseren unverzichtbaren Beitrag zur integrierten Sicherheit Deutschlands sowie zur Stärkung der Resilienz des öffentlichen Lebens und unserer demokratischen Strukturen leisten.“ Resilienz setzte schließlich das Wissen darüber voraus, „was uns bedroht“.
Kern der Arbeit und Alleinstellungsmerkmal des BND bleibt seinem Präsidenten zufolge ein sorgfältig abgestimmter Zweiklang zwischen der verdeckten und offenen Beschaffung von Informationen zum Ausland und deren Auswertung und Verdichtung zu „objektiven aussagekräftigen und relevanten Analyseprodukten mit nachrichtendienstlichem Mehrwert“. Das strategische Hauptaugenmerk werde dabei auf die Landes- und Bündnisverteidigung gelegt. Beschaffung und Auswertung der Informationen folgten dem Prinzip Tiefe vor Breite, sagte Kahl.