16.10.2023 Ernährung und Landwirtschaft — Anhörung — hib 754/2023

Wie die Lebensmittelverschwendung verhindert werden kann

Berlin: (hib/VOM) Pro Jahr werden in Deutschland rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, davon 59 Prozent in Privathaushalten, 17 Prozent in der Außer-Haus-Verpflegung, 15 Prozent in der Verarbeitung, sieben Prozent im Handel und zwei Prozent in der Primärproduktion. Darauf verwies der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft, Hermann Färber (CDU), am Montag zu Beginn einer öffentlichen Anhörung zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung. Dem Ausschuss lagen dazu Anträge der Unionsfraktion (20/6407) und der Linksfraktion (20/6413) vor. Färber erinnerte zudem an den Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, in dem das Ziel formuliert sei, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren.

Die Einzelsachverständige Nastassja Wohnhas, Public Affairs Managerin bei dem Social Impact Unternehmen Too Good To Go, wies zunächst auf die Notwendigkeit von Datenerhebungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette hin. Je mehr Daten zur Verfügung stünden, desto bessere Lösungen könnten entwickelt werden. In Österreich müsse der Lebensmitteleinzelhandel seit diesem Quartal berichten, welche Mengen vernichtet und welche gespendet werden. Die meisten Unternehmen würden die bei ihnen anfallende Verschwendung ohnehin messen und könnten diese auch an eine Kompetenzstelle melden.

Um das Nachhaltigkeitsziel 12.3 der Vereinten Nationen zu erreichen, müsse sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die derzeit auf EU-Ebene diskutierten Reduktionsziele nicht hinter den internationalen Zielvorgaben zurückbleiben. Ergänzend wären zusätzliche nationale Zielvorgaben wie in Frankreich sinnvoll, so Wohnhas. Sie plädierte dafür, das Thema Lebensmittelverschwendung auch in die Bildungspläne an Schulen aufzunehmen. Bereits 2018 habe die Europäische Kommission ermittelt, dass zehn Prozent der Lebensmittelabfälle aufgrund von Missverständnissen im Zusammenhang mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) entstanden seien. Wohnhas trat für den Aufdruck von zusätzlichen Erklärhinweisen auf den Verpackungen ein. Zusätzlich unterstützte sie die Forderung nach Vorgaben, wie das MHD festgelegt werden soll.


Christiane Seidel vom Verbraucherzentrale Bundesverband unterstützte die Forderung nach Regelungen für das MHD, das so festgelegt werden sollte, dass die Mindesthaltbarkeit voll ausgeschöpft wird. Sie unterstrich, dass die Lebensmittelunternehmen nur solche Produkte weitergeben dürften, die „genusstauglich“ sind, von denen also keine gesundheitliche Gefahr ausgehe. Seidel trat dafür ein, Lösungen zu erarbeiten, die die Weitergabe von Lebensmitteln erleichtern. Dies könnten Leitlinien sein oder auch gesetzliche Klarstellungen.

Die Verbraucherzentralen böten für die Konsumenten Hilfen für die eigene Speiseplanung an. Aber auch der Handel könnte aus ihrer Sicht über Erleichterungen nachdenken, etwa Brokkoli ohne Blattwerk anzubieten. Ausbaufähig wäre aus ihrer Sicht auch die Verwendung sogenannter Doggy Bags, um Essensreste in der Gastronomie mit nach Hause nehmen zu können. Bei Berichtspflichten für Unternehmen könnte der bürokratische Aufwand ihrer Ansicht nach dadurch verringert werden, dass zunächst einheitliche Definitionen geschaffen werden.

Franz-Martin Rausch, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels, wies darauf hin, dass der Handel 470.000 Tonnen Lebensmittel spende und mit 960 Tafeln zusammenarbeite. Sein Verband würde es begrüßen, wenn die Bundesregierung dies durch ein Förderprogramm unterstützen würde. Haftungs- und steuerrechtliche Fragen müssten noch in dieser Wahlperiode angegangen werden.

Konkret plädierte Rausch dafür, dass die Politik sanktionsfreie Ausnahmen bei Lebensmittelkennzeichnungen schafft, etwa bei irrtümlich falschen Aufschriften durch „Zahlendreher“, die keine gesundheitliche Gefahr mit sich bringen. Derzeit seien solche Lebensmittel nicht mehr „verkehrsfähig“ und könnten nicht gespendet werden. Die Haftung liege bei dem, der das Lebensmittel weitergibt. Rausch riet dazu, die Umsatzsteuerfreiheit von Spenden gesetzlich zu regeln. Im Übrigen gebe es immer mehr Absprachen zwischen dem Lebensmittelhandel und den Erzeugerorganisationen. Man habe Verständnis für die deutsche Landwirtschaft, stehe in Europa aber auch im Wettbewerb, so Rausch.

Andreas Steppuhn vom Dachverband Tafel Deutschland sagte, die Tafeln arbeiteten spendenfinanziert. Sie müssten immer öfter gespendete Waren ablehnen, daher wäre es aus seiner Sicht nicht sinnvoll, den Handel zu Spenden zu verpflichten. Die Tafeln benötigten eine entsprechende Infrastruktur. Steppuhn hielt steuerliche Anreize für Lebensmittelspenden für sinnvoll. Die Ein- und Zwischenlagerung von Lebensmitteln stelle die Tafeln vor große Herausforderungen. Erforderlich seien Tiefkühleinrichtungen, teuer seien auch die Tiefkühltransporte.

Im Schnitt habe jede der 970 Tafeln drei Fahrzeuge. Die Belastung mit Kfz-Steuer belaufe sich auf rund 630.000 Euro. Wenn diese steuerliche Belastung entfiele, könnte das Geld für andere Aufgaben ausgegeben werden, so Steppuhn. Eine zusätzliche Belastung sieht er auch in der ab 2024 höheren Lkw-Maut. Im Übrigen trat er für eine Reform beim MHD ein, indem etwa ein zweites Datum mit dem Ablauf der Genussfähigkeit aufgedruckt wird. Es sollten mehr Lebensmittel noch genutzt werden, bevor sie „in der Tonne landen“.

Sabine Eichner vom Deutschen Tiefkühlinstitut empfahl, langfristig zu denken. Es gebe alle Optionen in Deutschland, von Frischware über Konserven bis zur Tiefkühlkost. Für die Lebensmittelversorgung sollten alle Technologien genutzt werden, nicht immer nur „frisch vom Feld“. Dies sollte politisch „ein wenig gestärkt“ werden. Für Investitionen in moderne Technik könnte aus ihrer Sicht helfen, wenn die Bundesregierung eine Investitionsprämie anbieten würde.

Elisa Kollenda von WWF Deutschland plädierte dafür, die Reduktionsziele und die Nutzungshierarchie bei den Lebensmitteln über die gesamte Lieferkette hinweg anzuwenden und eine Berichtspflicht für Unternehmen einzuführen. Beispielsweise würden derzeit Vorernte- und Ernteverluste gar nicht erfasst. Darauf müsse das politische Augenmerk gerichtet werden. Auch sei eine sektorübergreifende Kontrollstelle erforderlich, um die Lebensmittelverschwendung transparenter zu machen.

Die Einzelsachverständige Marie Mourad, die sich mit dem Umgang mit Lebensmittelverschwendung in Frankreich und in Kaliforniern beschäftigt hat, wies darauf hin, dass in Supermärkten häufig große Portionen in großen Verpackungen angeboten würden. In Kalifornien müssten Aufklärungskampagnen stattfinden, in Frankreich werde versucht, lokale Netzwerke zu unterstützen. Es gehe darum, die zu belohnen, die Lebensmittelverschwendung vermeiden, sagte Mourad.

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