06.11.2023 Inneres und Heimat — Anhörung — hib 810/2023

Nachbesserungsbedarf bei Regelungen zu Nachrichtendiensten

Berlin: (hib/HAU) Experten sehen Nachbesserungsbedarf bei den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwürfen zur Änderung des BND-Gesetzes (20/8627) und „zum ersten Teil der Reform des Nachrichtendienstrechts“ (20/8626). Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am Montag deutlich. Der Gesetzentwurf zur Reform des Nachrichtendienstrechts zielt darauf ab, die Eigensicherung der Nachrichtendienste des Bundes zu stärken und das Nachrichtendienstrecht „auf der Grundlage jüngerer Verfassungsrechtsprechung“ umfassend zu reformieren, schreibt die Regierung. Danach sollen die Regelungen zur Übermittlung nachrichtendienstlich gewonnener Informationen an Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) angepasst werden.

Der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Sinan Selen, wies darauf hin, dass die Entwicklung eines Sachverhalts hin zur konkretisierten Gefahr bei der Terrorabwehr nicht linear verlaufe und nicht immer umfassend erkennbar sei. „Oft liegt nur ein fragmentiertes Bild vor und es ist nicht klar, in welchem Radikalisierungs- oder Planungsstadium sich ein Extremist befindet“, sagte Selen. Benötigt werde ein ganzheitlicher Ansatz. Gerade der Übermittlung von Erkenntnissen an Ordnungsbehörden oder andere Stellen außerhalb der unmittelbaren polizeilichen Gefahrenabwehr komme besondere Bedeutung zu. Die Kritik am Verfassungsschutz erfolge zurecht, „wenn wir unsere Erkenntnisse, etwa zu Waffenbesitz von Reichsbürgern, Immobilienerwerben für rechtsextreme Zentren oder zu salafistischen Spendensammlern, nicht teilen oder auf Grund gesetzlicher Vorgaben nicht teilen können“.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Ulrich Kelber, konstatierte einen dringenden Überarbeitungsbedarf an den Entwürfen, „um die Arbeit der Nachrichtendienste auf ein datenschutz- und verfassungsrechtskonformes Fundament zu stellen“. Die Entwürfe seien aktuell nicht hinreichend verständlich und konsistent, befand er. Das gelte insbesondere dort, wo die Vorgaben des BVerfG selbst auslegungsbedürftig seien. So etwa bei der Frage, was besonders schwere Straftaten sind, die die Nachrichtendienste zur Übermittlung an Strafverfolgungsbehörden bemächtigen. Ein besseres Verständnis diene auch der Rechtssicherheit und sei im Sinne der Mitarbeiter in den Behörden, sagte Kelber.

Gerhard Conrad, Vorstandsmitglied des Gesprächskreises Nachrichtendienste in Deutschland, stellte die Handhabbarkeit der Regelungen als entscheidend dar. Es müsse klar sein, welche Art der Informationsübermittlung nun als Folge der durch das Verfassungsgerichtsurteil geforderten Änderungen nicht mehr, oder nur unter Voraussetzungen möglich sei. Zu komplexe oder nicht umsetzbare Maßnahmen könnten zu einer verzögerten oder unvollständigen Informationsübermittlung führen. „Das lässt sich nicht normativ von außen betrachten“, sagte Conrad. Vielmehr müsse das in engster Zusammenarbeit zwischen dem Gesetzgeber und dem Verordnungsgeber geregelt werden. Nötig sei auch eine frühzeitige Evaluierung der Regelungen, die aus seiner Sicht schon 2024 beginnen sollte.

Professor Matthias Friehe von der EBS Universität für Wirtschaft und Recht Wiesbaden sieht in den Entwürfen lediglich eine „notdürftige Reparatur“. Die Bundesregierung habe sich darauf beschränkt, einen Vorschlag für diejenigen Vorschriften vorzulegen, die vom BVerfG für nichtig erklärt worden seien. Die Reparatur sei aber auch nicht belastbar, da es mehrere Stellen gebe, „an denen die Maßstäbe verfehlt werden“. Das gelte insbesondere für die Umsetzung der vom Gericht „eingeforderten Schwelle der konkretisierten Gefahrenübermittlungsschwelle“.

Hanno Frielinghaus, Referatsleiter im Hessischen Ministerium des Innern und für Sport, verwies darauf, dass die Nachrichtendienste in Deutschland ohne operative Anschlussbefugnisse nicht in der Lage seien, „die selbsterworbenen Erkenntnisse in Zwang oder Sonstiges umzusetzen“. Sie seien zunächst einmal eine Informationssammelstelle, weshalb ihnen eine niedrige Schwelle für die Datenerhebung möglich sei. Einen relevanten Beitrag zur Sicherheit in Deutschland könnten aber die Verfassungsschutzämter nur leisten, wenn unter bestimmten Umständen die Ausleitung an andere öffentliche Stellen, die wiederum über operative Befugnisse verfügen, möglich sei. Der Spielraum, den das BVerfG setze, werde jedoch teils nicht ausgenutzt, teils aber auch überschritten, so dass die Verfassungswidrigkeit beibehalten werde, sagte Frielinghaus.

Professor Markus Löffelmann von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung Berlin bewertete die Rechtsprechung des BVerfG als außerordentlich komplex und in sich nicht widerspruchsfrei. Das mache die Umsetzung schwierig. Dennoch gelinge es beiden Entwürfen „abstrakte verfassungsrechtliche Konfliktschlichtungsformeln in konkrete, handhabbare Übermittlungsszenarien, eingriffsschwellen und Rechtsgüter zu übersetzen“, sagte Löffelmann. An einigen Stellen werde der breite gesetzgeberische Gestaltungsspielraum dennoch überdehnt, fügte er hinzu.

Aus Sicht von Christian Mihr, Geschäftsführer des Vereins Reporter ohne Grenzen, ist es der Bundesregierung in den Entwürfen weniger um die Beachtung der BVerfG-Vorgaben gegangen, sondern vielmehr um eine bloße Ausweitung der Befugnisse der Nachrichtendienste. Die Entwürfe verwendeten eine unklare Sprache und nutzten wenig eingrenzende Formulierungen, kritisierte er.

Professor Ralf Poscher, Direktor der Abteilung Öffentliches Recht am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg, sieht bei den Regelungen über die Datenübermittlung an inländische Stellen der Gefahrenabwehr die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt. Die Regelungen zur Datenübermittlung zum administrativen Rechtsgüterschutz entsprächen hingegen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, befand er. Sowohl der Anknüpfungspunkt als auch der Übermittlungsanlass verfehlen seiner Ansicht nach die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Zudem seien eine Reihe der Einzeltatbestände der Regelung nicht hinreichend bestimmt.

Benjamin Rusteberg von der Universität Münster hält die Regelung des Paragrafen 20 I BVerfSchG-E in Hinblick auf die Eingriffsschwelle grundsätzlich für nicht zu beanstanden. Höchst problematisch sei jedoch die fehlende Differenzierung danach, „ob es sich bei den Adressaten der Übermittlung um öffentliche Stellen oder um Private handelt“. Soll die Regelung tatsächlich gleichermaßen für öffentliche wie private Stellen gelten, sei sie aufgrund ihrer Reichweite als offensichtlich unangemessener Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und evident verfassungswidrig zu qualifizieren, sagte er.

Auch Ulrich Vosgerau übte an der Regelung Kritik. Eine Übermittlung an Private könne bedeuten, dass der Verfassungsschutz zu Nachbarn oder Sportvereinen gehe, und dort politisch missliebige Bürger anschwärze. Das erinnere an Zersetzungsmaßnahmen in der DDR, sagte er.

Die Entwürfe werden nach Einschätzung von Professor Mark A. Zöller von der Ludwig-Maximilians-Universität München in ihrer Gesamtheit den Vorgaben des BVerfG nicht gerecht. Im besonderen Maße gelte das für die Regelungsvorschläge zur Datenübermittlung durch das BfV. Wer meine, verfassungsrechtliche Grenzen mit dem Gedanken, etwas Gutes für die Sicherheitsbehörden tun zu wollen, ignorieren zu können und zusätzliche Befugnisse fordern zu müssen, „hat den Warnschuss im Urteil zum Bayrischen Verfassungsschutzgesetz nicht gehört“. Dort sei die Rede davon, dass bei nichtverfassungskonformen Regelungen für die Dienste gar keine Vorfeldermittlungen mehr möglich seien. Wer sich also für zu weitgehende Befugnisse stark mache, laufe Gefahr, „den Diensten einen Bärendienst zu erweisen“, sagte Zöller.

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