08.11.2023 Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz — Anhörung — hib 833/2023

Experten plädieren für Gemeinschaftsaufgabe Klimaanpassung

Berlin: (hib/SAS) Das Vorhaben der Bundesregierung, mit einem Bundes-Klimaanpassungsgesetz (20/8784) alle staatlichen Ebenen zur Erarbeitung von Klimaanpassungsstrategien und -konzepten zu verpflichten, stößt bei Experten auf viel Zustimmung. Das zeigte eine öffentliche Anhörung im Umweltausschuss am Mittwoch. Weiteren Handlungsbedarf sahen die geladenen Sachverständigen allerdings auch - vor allem bei der Finanzierung: Die Anpassung an die Folgen des Klimawandels sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und müsse daher auch als Gemeinschaftsaufgabe etabliert werden, so der nahezu einhellige Tenor.

Die Vertreter von Deutschem Städtetag und Deutschem Landkreistag, Alice Balbo und Kay Ruge, sahen in dem geplanten Rahmengesetz der Bundesregierung zwar einen notwendigen ersten Schritt auf dem Weg zu Klimaanpassung. Doch dass es nur zur Erstellung von Strategien verpflichte, aber nicht die finanzielle oder rechtliche Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen regle, bemängelten beide Vertreter der kommunalen Spitzenverbände. Die Kosten der Anpassung gingen in die Milliarden, prognostizierte Ruge. Das sei über Förderprogrammen allein nicht zu finanzieren. Es brauche also ein gemeinsames „Verständnis von Bund, Ländern und Kommunen“, wie sich die Lasten stemmen ließen. Während der Vertreter des Landkreistages auch verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich des Eingriffs in die Vollzugskompetenz der Länder und Kommunen äußerte, lobte Balbo den „ausreichenden Spielraum“, den der Gesetzentwurf den Ländern lasse. Sie zeigte sich offen, den Kommunen über die Erstellung von Anpassungskonzepten hinaus „einzelne definierbare Anpassungsmaßnahmen“ als Pflichtaufgabe zu übertragen. Zudem empfahl sie, das geplante Entsiegelungsgebot zu konkretisieren. Diese wichtige Maßnahme sei bislang im Entwurf zu „unbestimmt formuliert“.

Stephan Lenzen vom Bund deutscher Landschaftsarchitekten kritisierte, dass der Gesetzentwurf die „blau-grüne Infrastruktur“ zu wenig berücksichtige und riet dazu, die Handlungsfelder Stadtnatur, Biodiversität, natürliche Gewässer und Schwammstadt als eigenes Cluster zu ergänzen. Freiflächen und Grünstrukturen hätten eine besondere Bedeutung für die Resilienz der Städte mit Blick auf die Klimaanpassung, daher müssten sie in Anpassungsmaßnahmen stärker miteinbezogen werden.

Auf die Ergänzung eines weiteren Clusters drang Jan Philipp Rohde vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Bei den Klimaanpassungsmaßnahmen dürften die schon heute enormen Auswirkungen auf die Arbeitswelt nicht außer Acht gelassen werden, sagte Rohde und verwies etwa auf die Belastungen von „Outdoor-Workern“, die Extremwetterbedingungen immer stärker ausgesetzt seien. Arbeits- und Gesundheitsschutz müsse ein zentrales Handlungsfeld der künftigen Klimaanpassungsstrategie sein.

Als Einzelsachverständiger sprach sich Daniel Freiherr von Lützow gegen das Bundes-Klimaanpassungsgesetz aus. Die Verpflichtung von Länder und Kommunen, Klimaanpassungsstrategien und -konzepte zu erarbeiten, überfordere Länder und Kommunen finanziell und personell, so von Lützow, der auch Mitglied des Landtags Brandenburg ist. Statt Geld für Strategien auszugeben, plädierte der Sachverständige für die Stärkung von Katastrophenschutzdiensten wie dem Technischen Hilfswerk und der Feuerwehr.

Franziska Ortgies, die den Verein Klima-Allianz Deutschland vertrat, forderte, die Finanzierung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen langfristig zu sichern. Bislang stünden die Handlungsnotwendigkeiten in einem deutlichen Widerspruch zu den zur Verfügung stehenden Ressourcen in den Kommunen: Es fehle an Personal, straffen Verwaltungsverfahren, rechtlichen Grundlagen und vor allem ausreichenden finanziellen Mitteln, diagnostizierte die Sachverständige in ihrer Stellungnahme. Es brauche künftig eine „flächendeckende, auskömmliche Finanzierung“.

Ingbert Liebing vom Verband kommunaler Unternehmen (VKU) unterstrich die breite Betroffenheit der kommunalen Unternehmen von den direkten Auswirkungen des Klimawandels. Ob im Bereich der Abfall- oder in der Energiewirtschaft - zunehmende Extremwetterereignisse machten es schwerer, die Aufgaben der Daseinsvorsorge zu erfüllen. Daher begrüße der VKU, dass mit dem Gesetz ein einheitlicher Rahmen geschaffen werde solle, um die Zusammenarbeit der verschiedenen Verwaltungsebenen und Akteure zu verbessern. Trotzdem bleibe der Entwurf in vielerlei Hinsicht zu „abstrakt und unbestimmt“, monierte Liebig. Die kommunalen Unternehmen als Träger bewegten sich in einer „Grauzone“. Daher müsse die Klimaanpassungsstrategie der Bundesregierung „schnell“ folgen. Eine Vorlage erst 2025, wie im Gesetzentwurf angegeben, sei zu spät.

Niclas Wenz, der für die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sprach, vermisste „Maßnahmen und Information“ für einen resilienten Wirtschaftsstandort Deutschland. Stattdessen befürchtet er durch „Datensammlungen und neue Meldepflichten“ zusätzliche bürokratische Belastungen auch für privatwirtschaftliche Unternehmen. Weil die Begriffsbestimmung der Träger öffentlicher Aufgaben „zu weit“ gefasst sei, könnten künftig eine Vielzahl von Betrieben verpflichtet sein, Klimaanpassung in Planungen und Entscheidungen zu berücksichtigen, gab der DIHK-Vertreter zu bedenken. Dabei bleibe auch unklar, wie dieses Berücksichtigungsgebot in der Praxis umzusetzen sei,

Auf solche Schwierigkeiten bei der Anwendung wies auch Peter Neusüß als Vertreter des Deutschen Anwaltsvereins hin: Er bemängelte insbesondere die fehlende Integration in Fachgesetze. So sei die rechtliche Bewandtnis von Klimaanpassungskonzepten auf regionaler und lokaler Ebene mit Blick auf das Berücksichtigungsgebot nicht klar. Naheliegender wäre es gewesen, diese in vorhandene Regelwerke wie Flächennutzungs- und Bebauungspläne zu integrieren. Auch das Entsiegelungsgebot hätte besser in das Bodenschutzgesetz aufgenommen werden sollen, als es als ergänzende Regelung in einem neuen Gesetz zu formulieren, kritisierte der Sachverständige.

Das vorliegende Gesetz sei im Kern ein „Politikplanungs- und Governancegesetz“, betonte hingegen Wolfgang Köck vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Es bedürfe der Ausgestaltung in Fachgesetzen wie dem Raumordnungsgesetz, dem Baugesetzbuch und im Wasserhaushaltsgesetz, da diese die Anpassungsaufgabe bislang nur „unzureichend adressierten“. Der vorliegende Entwurf sei daher ein wichtiges Instrument insbesondere auch mit Blick auf die verpflichtenden Klimarisikoanalysen. Fachrechtliche Instrumente könne es aber nicht ersetzen, es brauche beide.

Lisa Broß von der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) mahnte schließlich, Rahmenbedingungen und Vorgaben zur Klimaanpassung mit „lediglich symbolhaften Charakter und nur geringer praktischer Bedeutung“ zu vermeiden. Für eine erfolgreiche Klimaanpassung brauche es konkrete Maßnahmen, die man schon jetzt in den Fachgesetzen wie etwa im Wasserrecht, Baurecht oder Naturschutzrecht stärken könne, sagte die Sachverständige. Wichtig sei, schnell ins Handeln zu kommen.

Die Stellungnahmen der Sachverständigen sowie das Video der öffentlichen Anhörung auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw45-pa-umwelt-bundesklimaanpassung-974604

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