Experten: Wohnungslosigkeit mit allen Werkzeugen bekämpfen
Berlin: (hib/VOM) Wege zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit und zur Verbesserung der Wohnungslosenhilfe hat der Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen am Montag in einem öffentlichen Fachgespräch erörtert. Wie es in der Stellungnahme des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) heißt, werde aktuell von 607.000 Wohnungs- und Obdachlosen ausgegangen, von denen 372.000 in Einrichtungen untergebracht, 185.000 verdeckt wohnungslos und 50.000 obdachlos seien. Die Zahl der untergebrachten Wohnungs- und Obdachlosen sei von 178.000 im vergangenen Jahr auf 372.00 in diesem Jahr gestiegen, wobei der Zuwachs zum einen auf 130.000 Flüchtlinge aus der Ukraine und zum anderen auf 60.000 Personen nichtdeutscher Herkunft zurückzuführen sei.
GdW-Geschäftsführer Christian Lieberknecht stellte fest, dass Bedarf und Angebot an Wohnraum weiter auseinandergehen und plädierte für eine höhere Wohnungsbauförderung. Darüber hinaus müsse die Datenschutzproblematik angegangen werden. Es brauche eine rechtliche Klarstellung, dass die Weitergabe von Mieterdaten bei gefährdeten Mietverhältnissen nicht gegen die Datenschutz-Grundverordnung verstößt, so der GdW. Drittens müsste das Bundesjustizministerium die sogenannte Schonfristregelung im Mietrecht ändern, wonach derzeit durch die Tilgung von Mietrückständen nur eine fristlose Kündigung, nicht aber eine ordentliche Kündigung abgewendet werden kann.
Ähnlich äußerte sich Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG-W). Es gehe darum, bezahlbaren und dauerhaft sozial gebundenen Wohnraum zu schaffen. Die Bundesregierung habe versprochen, mit der Neuen Wohngemeinnützigkeit 2024 an den Start zu gehen. Maßgeblich sei auch die Akquise von Wohnraum, von dem aber ein bestimmter Prozentsatz für Wohnungslose zur Verfügung gestellt werden müsse. Rosenke forderte zudem ein Programm „Von der Straße in die Wohnung“ mit begleitenden Hilfen für die Betroffenen. Schließlich sei auch die Prävention unverzichtbar. Dazu gehöre, dass durch die Zahlung der Mietrückstände auch eine ordentliche Kündigung verhindert werden kann.
Jutta Henke, Geschäftsführerin der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung, sah in der Prävention den Hebel für eine dauerhafte Wohnraumversorgung. Die Präventionssysteme nützten jedoch nichts, wenn man die Menschen nicht erreiche. Henke trat dafür ein, die Akquisemöglichkeiten auszuschöpfen, um eine gesicherte Wohnraumversorgung zu erreichen. Eine langjährige teure Jugendhilfe darf nach Ansicht Henkes nicht dazu führen, dass junge Menschen in Notunterkünften landen. Den Anteil der Menschen, die Bedarf hätten, nach dem „Housing First“-Konzept versorgt zu werden, bezifferte sie auf fünf bis zehn Prozent.
Im Housing-First-Ansatz sieht der Nürnberger Oberbürgermeister Marcus König ein Mittel zur Linderung der Wohnungsnot. Nach diesem Ansatz soll zunächst versucht werden, für Wohnungslose auf dem freien Markt eine Wohnung zu finden. Der Mietvertrag werde mit der jeweiligen Person abgeschlossen, erläuterte König, der darin „ein Werkzeug im Werkzeugkasten“ sieht. Darüber hinaus setze Nürnberg auf das Modell der Sozialimmobilien, die mit einem Belegungsrecht für den schnellen Zugriff errichtet würden. Zudem gebe es Heime für die Obdachlosenhilfe sowie ambulante Angebote.
Stefanie Frensch, Sprecherin der Region Ost des Zentralen Immobilien-Ausschusses (ZIA), hob auf die Datenschutzproblematik ab, weil es fast unmöglich sei, die Menschen zu erreichen und etwa Stundungsprogramme anzubieten. Frensch sagte, alle Kräfte müssten gebündelt werden, es brauche eine Vernetzung mit den sozialen Trägern und auch Housing First sei eine wichtige Initiative. Benötigt werde die kontinuierliche Hilfe professioneller Unterstützer, die Mehrkosten für die Akteure müssten vermindert werden.
Sebastian Klöppel vom Deutschen Städtetag sagte, die Obdachlosenhilfe müsse als Querschnittsaufgabe verstanden werden. Die Querschnittsbetrachtung vermisse er auf Seiten des Bundes, so Klöppel. Der Verzicht auf Prävention werde am Ende für alle teurer, fehlende finanzielle Mittel könnten kein Argument sein.
Für den Deutschen Lankreistag sowie den Deutschen Städte- und Gemeindebund sagte Irene Vorholz, dass Obdachlosigkeit nicht mehr nur ein Problem der Städte, sondern auch der kleinen und mittleren Gemeinden in den Landkreisen sei. Dabei handele es sich vor allem um verdeckte Wohnungslosigkeit, sodass man auf Prävention setzen müsse. Die Situation der Wohnungslosen sei höchst unterschiedlich. Vorholz sprach sich für einen stärkeren Einsatz des Bundes aus, damit Wohnungslose einen gesicherten Zugang zur Wohnraumversorgung haben.
Christin Weyershausen vom Sozialdienst katholischer Frauen in Berlin berichtete aus der Praxis, dass versucht werde, den Frauen einen Hauptmietvertrag zu vermitteln. Die Frauen brauchten viel Unterstützung, das Konzept sei auf eine lebenslange Beratung angelegt.