13.12.2023 Recht — Anhörung — hib 946/2023

Sachverständige: Plan für Justizstandort verbesserungswürdig

Berlin: (hib/MWO) Um einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland (20/8649) ging es am Mittwoch, 13. Dezember 2023, in einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss. Die Pläne, die die Einrichtung sogenannter Commercial Courts - Spruchkammern für zivilrechtliche Wirtschaftsstreitigkeiten - und die Einführung der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit vorsehen, wurden von den neun eingeladenen Sachverständigen grundsätzlich begrüßt. Gleichzeitig machten die Expertinnen und Experten aus Theorie und Praxis eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen, bei denen es vor allem um das deutsche Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Recht) ging. Weitere Punkte waren die Anwendung des Gesellschaftsrechts, die Streitwertschwelle und die englischsprachige Verhandlungsführung. Um diese Themen ging es auch bei den Fragen der Abgeordneten.

Peter Allgayer, Richter am Bundesgerichtshof, sieht angesichts des Rückgangs der Eingangszahlen bei den Zivilgerichten Handlungsbedarf. Allerdings erscheine völlig offen und kaum seriös abschätzbar, in welchem Umfang Einzelmaßnahmen im Bereich des Verfahrensrechts zur Attraktivität des Gerichtsstandorts Deutschland beitragen können, heißt es in seiner Stellungnahme. Daher müssten sie zeitnah evaluiert werden, um gegebenenfalls kurzfristig gesetzgeberisch nachsteuern zu können. Allgayer war von der Unionsfraktion für die Anhörung vorgeschlagen worden. In seinem Eingangsstatement sagte er, der Reformbedarf im Bereich des materiellen Rechts, insbesondere der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sei von mindestens ebenso hoher Bedeutung für die Attraktivität des Rechtsstandortes wie das Verfahrensrecht und die Verfahrenspraxis. Es sei dringend erforderlich, die gesetzgeberischen Maßnahmen nicht auf diesen Bereich zu beschränken.

Monika Nöhre, Präsidentin des Kammergerichts Berlin a. D., verwies in ihrer Stellungnahme darauf, dass der Entwurf zwei Hauptkritikpunkte aufgreife, die mit Blick auf die Ursachen der Klagerückgänge in Zivilsachen von Unternehmensvertretern gegen die Wirtschaftlichkeit des deutschen Zivilprozesses vorgebracht wurden. Durch die Möglichkeit der Klageerhebung direkt bei den Oberlandesgerichten könne die Verfahrenslänge spürbar abgesenkt werden, sagte die von der Grünen-Fraktion vorgeschlagene Expertin. Zudem sei die Fluktuation im Richterbereich auf der Ebene der Oberlandesgerichte deutlich geringer als im landgerichtlichen Bereich. Das übergeordnete Ziel, den Justizstandort Deutschland durch Einrichtung von Commercial Courts international zu stärken, könne allerdings nur erreicht werden, wenn diese speziell für Wirtschaftszivilsachen geschaffene Einrichtung ein klares Profil erhält und damit nach außen als solche sichtbar wird.

Auch Sabine Fuhrmann, Vizepräsidentin der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), begrüßte die Pläne. Nach Ansicht der Kammer bestehe ein tatsächlicher Bedarf für solche Commercial Courts. Justizorganisatorischen Faktoren, die die Attraktivität des Zivilprozesses schmälerten, wie die im Vergleich zur Anwaltschaft oftmals geringere Spezialisierung, die schleppende Digitalisierung und der häufige Richterwechsel, könnte damit entgegengewirkt werden. Fuhrmann nahm auf Vorschlag der SPD-Fraktion teil.

Thomas Klink vom Deutscher Richterbund, Richter am Oberlandesgericht Stuttgart, ebenfalls von der SPD-Fraktion vorgeschlagen, verwies in seiner Stellungnahme auf mehrjährige Praxiserfahrungen, die für die Einführung von Commercial Courts sprächen. Der Gesetzentwurf nehme eine Reihe von Erfolgsfaktoren auf und sei überzeugend und praxisorientiert. Für den Erfolg des Gesetzentwurfs in der Praxis seien jedoch entscheidende Änderungen unter anderem im Hinblick auf das eng mit dem Bereich „Mergers & Acquisitions“, also Transaktionen im Unternehmensbereich, verknüpfte Gesellschaftsrecht geboten.

Jörg Kondring vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau sprach sich vehement für eine Reform des deutschen AGB-Rechts aus. Die seit vielen Jahren anhaltende Diskussion über die Notwendigkeit einer solchen Reform habe durch das Justizstandort-Stärkungsgesetz einen weiteren Aspekt und neuen Schwung bekommen, erklärte er in seiner Stellungnahme. Ein wichtiges Indiz dafür liefere die Rechtsflucht deutscher Unternehmen, sagte der von der FDP-Fraktion vorgeschlagene Unternehmenssyndikus. Wählten sie zur Vermeidung von Risiken, die sich aus dem deutschen AGB-Recht für sie ergäben, tatsächlich in nennenswertem Umfang ein anderes als deutsches Recht, so würde dies den Erfolg der Commercial Courts in Frage stellen.

Auch Werner Müller vom Deutschen Anwaltverein hält den Gesetzentwurf grundsätzlich für gut. Es gebe aber einen Punkt, der für die Erfolgschancen eines international wirkenden Commercial Courts von essentieller Bedeutung sei, der im Entwurf allerdings nicht angesprochen werde: die Notwendigkeit einer weniger starren AGB-Kontrolle für den unternehmerischen Geschäftsverkehr. Solange dies nicht geändert werde, habe der Commercial Court auf internationaler Ebene keine reale Erfolgschance.

Für Thomas Pfeiffer von der Universität Heidelberg, der wie Müller auf Vorschlag der Unionsfraktion eingeladen worden war, holen die vorgesehenen Maßnahmen nach, was andere Staaten bereits vorgemacht hätten. Neben einzelnen Verbesserungen auf den Gebieten des Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrechts seien im Entwurf vor allem Änderungen auf dem Gebiet des materiellen Rechts notwendig. Der Justizstandort Deutschland werde nur hinreichend an Attraktivität gewinnen, wenn die Wahl deutschen materiellen Rechts ebenfalls hinreichend attraktiv ist. Hier erweise sich namentlich das geltende AGB-Recht im Unternehmensverkehr als erhebliches Hemmnis, das überwunden werden müsse.

Thomas Riehm von der Universität Passau betonte, die Schaffung eines attraktiven staatlichen Angebots zur Beilegung privater wirtschaftsrechtlicher Streitigkeiten liege im Interesse des Streitbeilegungsstandorts Deutschland. Zumindest für solche Streitigkeiten auf nationaler Ebene dürfte das Justizstandort-Stärkungsgesetz - bei entsprechender Umsetzung durch die Länder - eine signifikante Verbesserung des staatlichen Angebots darstellen. Für die Gewinnung internationaler Streitigkeiten für deutsche Gerichte sind auch für den von der SPD-Fraktion vorgeschlagene Experten flankierende Maßnahmen wie eine Reform des deutschen AGB-Rechts erforderlich.

Für Giesela Rühl von der Humboldt-Universität zu Berlin orientiert sich der Entwurf sich im Wesentlichen an den Bedürfnissen der Parteien sowie an internationalen Trends und sei daher - trotz mancher Kritik im Einzelnen - geeignet, die Führung nationaler und internationaler Verfahren vor deutschen Gerichten wieder attraktiver zu machen. Es gäbe aber Verbesserungsmöglichkeiten. So gehört auch für Rühl insbesondere die strenge Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im unternehmerischen Geschäftsverkehr auf den Prüfstand. Rühl nahm auf Vorschlag der Grünen-Fraktion teil.

Der Bundestag hatte am 12. Oktober 2023 den Gesetzentwurf erstmals erörtert. Im Frühjahr dieses Jahres hatte der Rechtsausschuss nach einer öffentlichen Anhörung einen Gesetzentwurf des Bundesrates zur Etablierung von Commercial Courts (20/1549) abgelehnt, der bei den Sachverständigen auf einhellige Zustimmung gestoßen war.

Die Anhörung im Video (wird zeitversetzt eingestellt), die schriftlichen Stellungnahmen der acht Sachverständigen sowie die Sachverständigenliste auf bundestag.de:

https://www.bundestag.de/ausschuesse/a06_recht/anhoerungen/978304-978304

Die hib-Meldung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung:

https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-971010

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