Zu Afghanistan herrschten sehr unterschiedliche Lagebilder
Berlin: (hib/CRS) Im zweiten Teil der Sitzung des Untersuchungsausschusses Afghanistan ist vergangene Woche Jasper Wieck befragt worden, ein weiterer Sonderbeauftragter der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan und der direkte Nachfolger des zuvor angehörten Markus Potzel. Wieck hatte diesen Posten Mitte Juli 2021 übernommen, ungefähr ein Monat vor dem Fall Kabuls.
Wieck berichtete, dass er eine Woche, nachdem er seine Arbeit aufgenommen hatte, nach Afghanistan gefahren sei, um das Land und die Lage besser verstehen zu können. Sein Ziel sei gewesen, herauszufinden, wie aussichtsreich die Friedensverhandlungen waren und ob der Konflikt politisch beendet werden könne. Außerdem habe er sich darum bemüht, eine möglichst große Geschlossenheit in der internationalen Gemeinschaft zu erreichen, um den Taliban die einheitliche Botschaft senden zu können, dass eine gewaltsame Neuordnung in Afghanistan nicht anerkannt werden würde.
Er habe festgestellt, dass sehr unterschiedliche Lagebilder existierten, erinnerte sich der Diplomat. In der pakistanischen Hauptstadt Islamabad sei beispielsweise sein Gesprächspartner davon überzeugt gewesen, dass es am Ende zu einet Art Machtteilung kommen werde. Der russische Botschafter in Kabul hingegen habe geglaubt, dass es festgefrorene Linien zwischen Taliban und der Regierung geben werde. „Die Briten waren pessimistisch, die Amerikaner im Mittelfeld“, sagte Wieck.
Am Ende sei es am 12. August gelungen, eine klare Botschaft zu senden - zwei Tage vor dem Zusammenbruch der Regierung in Kabul. Bei seinen Gesprächen in Kabul, unter anderem auch mit der Zivilgesellschaft und einem Vertreter der Taliban, habe Wieck „viel Zuversicht vernommen.“ Seine Gesprächspartner hätten auf ihn einen gelassenen aber kämpferischen Eindruck gemacht. Falls die Taliban die ganze Macht zu übernehmen versuchten, würden man kämpfen, um die Errungenschaften der letzten zwanzig Jahre zu bewahren. Wieck sagte, er habe das Gefühl gehabt, man müsse das Land nicht verlassen.
Befragt nach dem letzten geplanten, aber am Ende wegen der Sicherheitslage in Kabul nicht durchgeführten Abschiebung schwerer Straftäter, berichtete der Zeuge, er habe ein Gespräch im zuständigen Migrationsministerium geführt. „Ich habe keinen Druck aufgebaut“ sagte er, „denn die afghanische Seite habe noch bevor er im Ministerium angekommen war, der Rückführung zugestimmt. “Wir hatten ein freundschaftliches Gespräch„, führte er aus. Es sei lediglich darum gegangen, ob die Rückführung mit Charterflügen oder mit Linienmaschinen erfolgen solle. Die afghanische Seite sei dabei an Diskretion interessiert gewesen. Dass eine Woche später die Zustimmung der Afghanen in Unmut gekippt sei, sei nicht überraschend, so Wieck. Das habe man zur Kenntnis genommen. “Aber den Flug deshalb abzusagen, so weit sind wir nicht gegangen„ sagte er.
Als die Abgeordneten von ihm wissen wollten, was seine “lessons learned„ seien, antwortete Wieck: “Wir haben uns von den Amerikanern abhängig gemacht. Wir sollten europäische Strukturen aufbauen, wo wir Mitspracherecht haben. Die Amerikaner haben entschieden, ohne uns einzubeziehen.„