22.04.2024 Arbeit und Soziales — Anhörung — hib 258/2024

Expertenstreit über Flexibilisierung der Arbeitszeit

Berlin: (hib/HAU) Bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagnachmittag haben sich Arbeitgeberverbände der Forderung der Unionsfraktion nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeit angeschlossen und sich für die Möglichkeit eine wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit ausgesprochen. Gewerkschaftsvertreter wiesen hingegen daraufhin, dass Flexibilität bei der Arbeitszeit in vielen Fällen jetzt schon möglich sei und plädierten dafür, am Acht-Stunden-Arbeitstag festzuhalten.

Aus Sicht der Unionsfraktion steht das deutsche Arbeitszeitgesetz mit seiner Festlegung auf einen in der Regel Acht-Stunden-Tag den Wünschen der Arbeitnehmer nach mehr Flexibilität entgegen. Die Abgeordneten verlangen deshalb in einem Antrag (20/10387) von der Bundesregierung, einen Gesetzentwurf, „der die Wünsche nach stärkerer Arbeitszeitflexibilisierung aufgreift und der zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf flexiblere Arbeitszeiten und Arbeitszeitmodelle für verschiedene Lebensphasen ermöglicht“. Auch solle damit eine wöchentliche statt der täglichen Höchstarbeitszeit eingeführt und diese im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie ausgestaltet werden.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sieht eine Umstellung von der täglichen auf die wöchentliche Höchstarbeitszeit als hilfreich für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer an. Flexible Arbeitszeiten entsprächen den betrieblichen Erfordernissen im globalen Wettbewerb und könnten zugleich den Beschäftigten helfen, Lösungen für familiäre Anforderungen zu finden, sagte BDA-Vertreter Roland Wolf. „Es geht nicht darum, mehr zu arbeiten. Es geht darum, anders zu arbeiten“, betonte er.

Die Arbeitszeit sei im Handwerk ein großes Thema, sagte Birgit Schweer vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer würde es einen deutlichen Flexibilisierungsgewinn darstellen, „wenn wir die derzeitige gesetzliche Regelung von der täglichen Höchstarbeitszeit in eine wöchentliche Höchstarbeitszeit variabler und praxisgerechter umgestalten könnten“, betonte sie. In Österreich, so die ZDH-Vertreterin, werde dies schon so gehandhabt.

Vom Modell des Acht-Stunden-Arbeitstages sollte auf eine Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden umgestellt werden, „ohne, dass dies zu einer Erhöhung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit führt“, befand Adél Holdampf-Wendel vom IT-Branchenverband Bitkom. Gerade um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, brauche es mehr Flexibilität, sagte sie. Insbesondere in der Digitalwirtschaft sei dies immens wichtig. IT-Unternehmen stünden beim Kampf um Fachkräfte in einem internationalen Wettbewerb, bei dem bürokratische Hürden die Chancen des Standorts Deutschland weiter schmälern würden, sagte Holdampf-Wendel.

Die EU- Arbeitszeitrichtlinie lege ausdrücklich eine wöchentliche und gerade keine tägliche Höchstarbeitszeit fest, sagte David Beitz vom Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie. Folglich wäre die vorgeschlagene Umstellung auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit durch den deutschen Gesetzgeber „europarechtlich geboten“. Es gehe dabei nicht um längeres Arbeiten. „Es geht um die bessere Verteilung einer vertraglich festgelegten Arbeitszeit“, betonte Beitz. Möglich sei dies ohnehin nicht bei Fließbandarbeit, sondern eher bei Tätigkeiten, „die sich nicht nach Stechuhr richten lassen“.

Ein klares Nein zu den Forderungen der Union kam von Verdi-Vertreter Stephan Teuscher. Schaffe man die täglichen Grenzen bei der Arbeitszeit ab, seien die Belastungen zweifelsfrei höher, sagte er. Es sei im Übrigen ein Irrglaube, dass lange Arbeitszeiten dazu führen, dass es insgesamt mehr Freizeit gebe. Angesichts von Beschäftigtenmangel stelle sich die Frage, wer die Mitarbeiter vertreten solle, die ihre Überstunden abwickeln. Teuscher sprach sich stattdessen dafür aus, die Einhaltung der täglichen Arbeitszeiten stärker zu kontrollieren. „Der Acht-Stundentag muss auch tatsächlich als Acht-Stundentag durchgesetzt werden“, forderte er.

Lange Arbeitszeiten von mehr als acht Stunden am Tag wirkten sich negativ auf die Gesundheit aus, sagte Nils Backhaus von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Zudem steige das Unfallrisiko bei der Arbeit. Der täglichen Begrenzung von Arbeitszeiten sowie den bestehenden Regelungen zu Ruhezeiten komme eine zentrale Bedeutung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten zu, sagte Backhaus. Vorhersehbarkeit und Planbarkeit von Arbeitszeiten sowie die Einflussnahme auf die Gestaltung flexibler Arbeitszeiten würden die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben verbessern sowie die Leistungsbereitschaft und das allgemeine Wohlbefinden erhöhen.

Für die Einzelsachverständige Anja Olbe, Betriebsrätin im Einzelhandel, ist eine stärkerer Arbeitszeitflexibilisierung nicht im Sinne der Beschäftigten. „Wir brauchen feste Pläne, eine Struktur und Verlässlichkeit, damit wir unser Privatleben mit der Arbeit verbinden können“, sagte sie. Die bisherigen Möglichkeiten, die Arbeitszeit zu flexibilisieren, würden den Beschäftigten erschwert oder auch verweigert, „sofern sie nicht im Interesse des Arbeitgebers liegen“, beklagte Olbe.

Flexiblere Arbeitszeiten würden keineswegs zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen, sagte die Einzelsachverständige Amélie Sutterer-Kipping. „Bei einem Modell, bei dem die tägliche Arbeitszeit von acht Stunden regelmäßig überschritten wird, werden Betreuungskonflikte nicht gelöst, sondern verschärft“, befand sie. Die Vorhersehbarkeit und Planbarkeit von Arbeitszeiten stellten wichtige Schlüsselfaktoren in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dar.

Die Variationsmöglichkeiten bei der Arbeitszeit sind aus Sicht des Einzelsachverständigen Professor Jens M. Schubert schon jetzt auskömmlich. Das deutsche Arbeitszeitgesetz stehe mitnichten isoliert dar. Auch mit einer Anknüpfung an die tägliche Arbeitszeit seien - und das zeigten unzählige tarifliche und betriebliche Regelungen - flexible Gestaltungen möglich.

Der Einzelsachverständige Professor Gregor Thüsing sagte, wo ein Arbeitnehmer freiwillig und aus guten Gründen vorübergehend länger arbeiten will als bisher erlaubt, sollte es ihm möglich sein. Gerade den Tarifvertragsparteien obliege es hier, sinnvolle Modelle zu entwickeln. Das europäische Arbeitszeitrecht lasse Spielräume, die es zu nutzen gelte. Insbesondere die Ausgleichszeiträume für den Zehn-Stundentag könnten flexibler bestimmt werden, als dies bislang der Fall sei.

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