Wochenzeitung „Das Parlament“ – Ökonomie-Professor Rüdiger Bachmann im Interview: „Ich mache mir mehr Sorgen um die Demokratie als um den Kapitalismus“
Meldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 30. Dezember 2023)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Eine wachsende Rolle des Staates erwartet der Ökonomie-Professor Rüdiger Bachmann. Im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ begründet er dies mit Verweis auf den Kampf gegen den Klimawandel, den Anstieg des globalen Autoritarismus und der wachsenden Gefahr von Pandemien.
Als entscheidendes Mittel zur Erreichung einer klimaneutralen Wirtschaft plädiert Bachmann in der Themenausgabe „Kapitalismus“ für weiter steigende CO2-Preise. „Ob die Wirtschaft unter diesen Bedingungen dann noch wachsen wird, werden wir dann sehen, daran sollte man aber nicht wie an einem Fetisch festhalten, genauso wenig wie an Degrowth als Ziel per se“, erklärt Bachmann. Dies sei durchaus mit dem kapitalistischen System vereinbar. „Der Kapitalismus ermöglicht Wachstum, aber als System benötigt er es nicht“, führt der Ökonom aus und sagt weiter: „Wachstum ist natürlich schön, weil es der Politik ermöglicht, gesellschaftliche Verteilungskonflikte zu befrieden. Das geht nicht so einfach, wenn eine Volkswirtschaft schrumpft. Die Frage lautet also eher, ob das politische System Nullwachstum durchhält. Ich mache mir mehr Sorgen um die Demokratie als um den Kapitalismus.“
Das Interview im Wortlaut:
Das Parlament: Herr Professor Bachmann, warum denken Sie als Ökonom ständig nur an Wachstum in einer endlichen Welt?
Rüdiger Bachmann: Das tue ich doch gar nicht. Kein seriöser Ökonom, keine seriöse Ökonomin denkt immer nur an Wirtschaftswachstum. Aufgabe der wissenschaftlichen Ökonomik ist es zunächst, wirtschaftliche Dinge zu beschreiben, Fakten zu sammeln, um sie dann mit Hilfe von Modellen zu erklären. Ein Faktum ist, dass bestimmte Länder in den vergangenen 200 Jahren massiv an materiellem Wohlstand gewonnen haben. Ökonominnen und Ökonomen versuchen, den Grund für dieses menschheitsgeschichtlich doch bemerkenswerte Phänomen zu erklären. Zugleich suchen wir nach den Gründen, warum diese Länder zuvor nicht in dieser Form gewachsen sind und weshalb Länder sehr unterschiedliche Wachstumsdynamiken zeigen.
Das Parlament: Inwiefern sehen Sie Probleme im gestiegenen materiellen Wohlstand?
Rüdiger Bachmann: Mit dem Wachstum der Wirtschaft sind die Konsummöglichkeiten für die breite Bevölkerung deutlich gestiegen. Nach allem, was wir wissen, beurteilen die Menschen diesen Zuwachs an materiellem Konsum sehr positiv. Das Wachstum in den westlichen Industrieländern ging aber eben zum Teil auch auf Kosten anderer Länder, auf Kosten der Umwelt und teils auf Kosten von Verteilungsgerechtigkeit.
Das Parlament: Können wir uns heute Wachstum noch leisten, wenn wir die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung begrenzen wollen?
Rüdiger Bachmann: Das wissen wir noch nicht, denke ich. Was wir wissen, ist, dass wir den menschengemachten Klimawandel bekämpfen müssen. Wir müssen verhindern, dass Teile der Welt unbewohnbar werden. Die Klimawissenschaft ist da eindeutig. Die Wirtschaftswissenschaft hat Instrumente entwickelt, wie das erreicht werden kann, nämlich primär durch die Bepreisung von CO2-Emissionen, also dem wichtigsten Klimagas, das durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe wie Öl, Kohle und Gas entsteht. Je höher der Preis, desto stärker sinken die Emissionen und desto höhere Anreize gibt es für klimafreundliche Innovationen, bis wir zu einer Situation kommen, in der die Wirtschaft klimaneutral funktioniert. Ob die Wirtschaft unter diesen Bedingungen dann noch wachsen wird, werden wir dann sehen, daran sollte man aber nicht wie an einem Fetisch festhalten, genauso wenig wie an Degrowth als Ziel per se.
Das Parlament: Die Publizistin Ulrike Herrmann sagt, dass unter dieser Bedingung die Wirtschaft nicht mehr wachsen kann, und dass damit auch der Kapitalismus zu einem Ende käme. Sie plädiert deshalb für eine staatliche gelenkte Wirtschaft und nennt als Vorbild die Kriegswirtschaft Englands im Zweiten Weltkrieg.
Rüdiger Bachmann: Ulrike Herrmann unterliegt einem Irrtum. Ich kenne kein Modell des Kapitalismus, das voraussetzt, dass die Wirtschaft wächst, weder absolut noch pro Kopf. Wir werden übrigens unabhängig von der Frage der Klimaneutralität gegen Ende dieses Jahrhunderts sehr wahrscheinlich schrumpfende Wirtschaften erleben infolge des demografischen Wandels. Die Bevölkerungszahl Chinas wird sich nach Prognosen bis zum Jahr 2100 fast halbieren und dabei stark altern. Ich weiß nicht, ob dies durch ein entsprechend hohes Produktivitätswachstum kompensiert werden kann, so dass das Land absolut weiter wächst. Für Deutschland hängt die Frage des Wachstums auch davon ab, welche Immigrationspolitik es verfolgt. Die Demografie ist mitentscheidend für das Wachstum der Wirtschaft. Für die Fortexistenz des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist das aber irrelevant.
Das Parlament: Es ist egal, ob die Wirtschaft wächst oder schrumpft?
Rüdiger Bachmann: Natürlich nicht. Aber es ist dem Kapitalismus egal. Der Kapitalismus ermöglicht Wachstum, aber als System benötigt er es nicht. Wachstum ist natürlich schön, weil es der Politik ermöglicht, gesellschaftliche Verteilungskonflikte zu befrieden. Das geht nicht so einfach, wenn eine Volkswirtschaft schrumpft. Die Frage lautet also eher, ob das politische System Nullwachstum durchhält. Ich mache mir mehr Sorgen um die Demokratie als um den Kapitalismus.
Das Parlament: Wäre es nicht besser, wenn dann der Staat die Verteilung der Ressourcen übernimmt, wie Hermann es vorschlägt?
Rüdiger Bachmann: Warum soll Sozialismus diesen Anpassungsprozess besser organisieren können? Was hilft es, wenn wir den Leuten die Freiheit nehmen? Ich sehe nicht, dass die staatlich gelenkten Systeme erfolgreicher darin waren, die nötigen Innovationen zu schaffen für den gesellschaftlichen Fortschritt. Das sehe ich übrigens auch nicht für China, das bisher vor allem dank eines wirtschaftlichen Aufholprozesses gegenüber dem Westen gewachsen ist, was ja auch keine Kleinigkeit ist. Ob es mit einer politisch unfreien Gesellschaft aber auch dauerhaft Innovationsführer sein kann, ist meines Erachtens noch nicht ausgemacht.
Das Parlament: Haben Ökonomen nicht zu viel blindes Vertrauen in den Marktmechanismus?
Rüdiger Bachmann: Nein, meine Kollegen aus der Mikroökonomik analysieren sehr genau, wann Märkte nicht gut funktionieren und welche Regeln sie benötigen. Die Rolle des Staates in wird in diesem Jahrhundert wachsen.
Das Parlament: Inwiefern?
Rüdiger Bachmann: Der Staat wird im Kampf gegen den Klimawandel einen Instrumentenmix benötigen aus Ordnungsrecht, also Geboten und Verboten, aus CO2-Bepreisung und Subventionen. Als Ökonom bin ich der festen Überzeugung, dass es nur mit einem CO2-Preis geht, der in Verbindung mit einem intelligenten Klimageld soziale Härten vermeidet. Neben dem Klimawandel und übrigens auch dem globalen Artensterben gibt es eine weitere große Bedrohung, nämlich den Anstieg des Autoritarismus weltweit. Dagegen muss sich die westliche Welt wappnen. Auch das bedeutet mehr Staat, zum Beispiel höhere Verteidigungsausgaben und Investitionen in Cybersecurity. Bisher haben das für die Europäer vor allem die Amerikaner übernommen. Aber diese Zeit geht zu Ende. Europa wird mehr in seine Sicherheit investieren müssen. Neben Ökologie und Sicherheit sehe ich einen dritten Bereich, in dem der Staat gefordert ist, und das ist, wie wir erlebt haben, die wachsende Gefahr von Pandemien.
Das Parlament: Wo bleibt bei so viel Staat der Markt?
Rüdiger Bachmann: Wir bleiben selbstverständlich ein marktwirtschaftliches System, auch wenn der Staat an Bedeutung gewinnt. Und wir haben gerade in Deutschland noch viele Möglichkeiten, unser Wachstumspotenzial zu steigern. Wenn wir endlich stärker in Bildung investieren, vor allem in frühkindliche Bildung, wird sich das auch wirtschaftlich auszahlen. Bildung ist die Basis für Innovationen und Produktivitätswachstum. Wir benötigen endlich eine effiziente digitale Verwaltung. Das betrifft nicht zuletzt das Justizsystem. Auf europäischer Ebene ist ein vereinheitlichter Kapitalmarkt nötig, damit Unternehmen hier vergleichbar gute Finanzierungsmöglichkeiten haben wie in den USA. Und eine Föderalismusreform, die endlich die organisierte Verantwortungslosigkeit der Länder untereinander und gegenüber dem Bund abschafft, wäre auch nicht schlecht.
Das Parlament: Woran erkennt man eigentlich einen guten Wirtschaftswissenschaftler?
Rüdiger Bachmann: Ich beurteile die Qualität von Wissenschaftlern zunächst einmal anhand ihres Forschungsoutputs, anhand ihrer einschlägigen Publikationen. Deswegen habe ich in der Coronakrise Christian Drosten vertraut. Er ist die wissenschaftliche Instanz auf dem Gebiet der Virologie von Coronaviren. Alexander Kekule dagegen hatte aus meiner Sicht als Virologe in Talkshows nichts verloren. Er hat kaum publiziert, verfügt kaum über wissenschaftliche Reputation. Bei der Volkswirtschaftslehre ist es da ganz ähnlich. Dann schaue ich mir an: Wo hat dieser Ökonom, diese Ökonomin studiert und promoviert? An welcher Fakultät forschen und lehren sie? Sind sie immer noch forschungsaktiv, oder liegt die letzte internationale Publikation schon Jahre zurück? Werden die Arbeiten des Kollegen, der Kollegin einschlägig zitiert? Nichts davon ist alleine ausschlaggebend, aber alles gehört zum Gesamtbild. Und zum Schluss natürlich: Was schreibt und sagt der betreffende Ökonom, die betreffende Ökonomin? Sind wirtschaftspolitische Forderungen nahezu deckungsgleich mit Parteiprogrammen oder Lobbygruppen? Dann bin ich sofort skeptisch. Bekommt man auch einmal unerwarteten Rat? Sind verschiedene Aussagen miteinander logisch konsistent und in Übereinstimmung mit den bekannten Fakten? Es erfordert etwas Mühe bei denjenigen, die sich Expertenrat von Ökonominnen und Ökonomen holen, aber es lohnt sich.
Rüdiger Bachmann ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der University of Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana.