Besuch

DDR-Wappen

`Ich glaube, es war an einem Montagmorgen, in der Dämmerung. Sie haben es 'mit einer Brechstange heruntergerissen. Jetzt ist es verschwunden und damit wohl auch die Möglichkeit, sich zu erinnern. Ein Wappen war da drin. In dem Kreis waren eine Gerstenähre, ein Hammer und ein Zirkel, aus edlem Material gemacht, Kupfer glaube ich. Ich fand das ziemlich grässlich.'

`Na klar war das schön! Man konnte darin sehen, was man jetzt in der neuen Gesellschaftsform nicht mehr sieht. Wie Sie sehen, steht das sowieso leer.'

`Das war das Staatsemblem der DDR. Der Hammer symbolisierte die Arbeiterschaft, der Zirkel stand für die Intelligenz und die Gerstenähren für die Bauern. Am Schreibtisch erdachte Symbolik. Das hat mich nicht weiter interessiert'

`Hammer und Sichel. Ach nee, halt, Hammer und Zirkel in einem Lorbeerkranz. Es muss im Frühjahr 1990 entfernt worden sein. Ob es fehlt oder nicht, darüber kann man nicht streiten, es war ein Staatswappen. Es hätte ruhig dortbleiben können. Immerhin hat es auch unser Geld gekostet ... Die wollten das nicht mehr ansehen, also haben sie es einfach verschwinden lassen.'

`Es war sehr ausgewogen. Es war logisch. Es war deutsch. Wir haben es so oft gesehen, dass wir es nicht mehr in Frage stellten. Es sah ziemlich gut aus. Es hat uns nicht gestört.'

`Es war ein Schandfleck. Ein Zeichen aus der Klamottenkiste der Geschichte. Hammer, Sichel, Lorbeerkranz. Mist. Mir ist das wurscht, dass das weg ist. Die üblichen Embleme: Hammer, Sichel und ein Schriftzug, irgendwas mit Arbeit und Handwerk ... Ungefähr zwei Meter groß. Aus sehr schwerem Metall. Für mich war die bloße Dekoration. Es hat keinen tiefen Hintersinn gehabt. Wir werden da wohl etwas anderes finden müssen.'

`Wenn ich dort vorbeigehe, fehlt es mir, ich sehe diesen komischen Kranz, der als Konstruktion da hängt. Man hätte es ganz abnehmen sollen. Diese einst notwendige Halterung sieht jetzt sinnlos aus.'

`Die Lächerlichkeit wird durch die leere Halterung besonders sichtbar. Es kommt mir vor, als ob man einen alten Mann lächerlich macht, der gebrechlich ist. Was bleibt, sind diese nicht zusammengehörenden Formen: Kreis und Sechseck. Wie die Quadratur des Kreises.'

`Der leere Rahmen ist jetzt ein Verweis auf die gesamte Situation. Ich finde nicht, dass man immer alles erhalten und rekonstruieren muss. Man kann die Dinge auch einfach belassen, wie sie sind. Als Spuren. Statt nur noch Coca-Cola Reklame aufzuhängen.'

`Da ist Widerstand in diesem Loch. In meinem Kopf ist es ja noch da. Ich kann es dort sehen, wie einen Geist.'

`Da war ein Zirkel. Zirkel ziehen Kreise. Die vollkommene Form. Die Werkzeuge der Utopie sind nun verschwunden. Was bleibt, ist die Utopie, aber eine leere. Man sieht nur die Leere.'

 

Aus: Calle, Sophie: Die Entfernung, Dresden 1996 (vergriffen).