Parlament

Claudia Roth trifft „Brücken­bauer“ aus neun ara­bischen Län­dern

Sitzende und stehende junge Menschen mit Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth in der Mitte in einem Sitzungssaal des Paul-Löbe-Hauses

Die arabischen IPS-Stipendiatinnen uind -Stipendiaten mit Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (hinten in der Mitte). (DBT/Simone M. Neumann)

Claudia Roth ist eine weitgereiste Politikerin. Acht der neun Teilnehmerländer am diesjährigen vierwöchigen Sonderprogramm des Internationalen Parlamentsstipendiums (IPS) für arabische Staaten – Ägypten, Algerien, Jordanien, Marokko, die Palästinensischen Gebiete, Syrien, den Libanon und Tunesien – hat die Bundestagsvizepräsidentin in den vergangenen Jahren bereist. Einzig Kuwait fehlt auf ihrer Liste. Mit dieser Landeskenntnis und ihrer langjährigen Erfahrung als Bundestagsabgeordnete ausgestattet zeigte sich die Grünen-Politikerin am Freitag, 7. September 2018, während ihres einstündigen Treffens mit den 24 Stipendiaten als kompetente Antwortgeberin. Wenig überraschend überragte das Migrationsthema das Gespräch, in dem es auch um Religionsfreiheit, Frauenrechte, lebendige Parlamente, Zivilgesellschaften in Nordafrika und Roths große Leidenschaft Fußball ging.

Leidenschaftliche Debatten

„Die Debatten im Bundestag sind leidenschaftlicher geworden“, sagte die Bundestagsvizepräsidentin mit Blick auf das Sechs-Parteien-Parlament. Die Sitzungsleitung – Aufgabe der Bundestagsvizepräsidenten – sei infolgedessen auch schwerer. Kein Grund zur Klage für Roth. „Ich begrüße leidenschaftliche Debatten“, betonte sie. Diese dürften aber nicht wichtige Werte, wie etwa den Umgang mit deutscher Geschichte, die Würde des Hauses und den Respekt gegenüber Menschen infrage stellen. 

Was die Vizepräsidentin schnell zur Glaubens- und Religionsfreiheit kommen ließ.  Der Islam als zweitgrößte Religionsgemeinschaft gehöre zu Deutschland, betonte sie. Darüber dürfe es keine Debatte geben.

Grundrecht auf Asyl nicht infrage stellen

Ebenso wenig dürfe das Grundrecht auf Asyl infrage gestellt werden, betonte die Grünen-Politikerin. Der Anspruch darauf, einen Asylantrag stellen zu können, müsse gewahrt werden. „Derzeit wird aber das Thema Migration genutzt, um Ängste zu erzeugen“, kritisierte sie mit Blick auf die AfD. Aber auch demokratische Parteien – diesmal meinte sie die CSU – glaubten, wenn sie den Populismus bedienen würden, könnten sie davon profitieren. Am 14. Oktober seien die „ganz spannenden Landtagswahlen“ in Bayern. „Stand jetzt“ sehe es so aus, als würde dieses Kalkül nicht verfangen, sagte sie.

Von einer Stipendiatin gefragt, wie denn idealerweise die Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands aus Sicht von Claudia Roth aussehen solle, machte diese klar: „In keinem Falle darf dem Motto gefolgt werden: Wir geben Geld an Autokraten, damit die dann die Grenzen dicht machen.“ Es müsse vielmehr darum gehen, Entwicklungschancen in diesen Ländern zu erhöhen. Nicht zielführend seien dabei Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien oder in die Türkei. Kritisch zu bewerten sei auch die Agrarpolitik der Europäischen Union, die mit ihrer Überproduktion regionale landwirtschaftliche Strukturen in afrikanischen Ländern zerstöre.

Doppelbödige Kritik an Özil

Auf das Thema Mesut Özil und dessen Rassismusvorwürfe  eingehend, sagte Roth, sie habe die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan kurz vor der Fußball-WM und vor dem Hintergrund, dass Deutschland und die Türkei um die Ausrichtung der Europameisterschaft 2024 konkurrieren, für nicht so schlau gehalten. Andererseits sei aber auch die Kritik an Özil seitens der Politik doppelbödig, wenn mit Erdoğan nach wie vor Waffengeschäfte gemacht würden.

An die Frauenrechtlerin Claudia Roth ging die Frage, ob es nicht sinnvoll sei, eine reine Frauenpartei zu gründen, um die Rechte von Frauen besser durchsetzen zu können. Die Forderung „Frauen an die Macht“ halte sie für richtig, so Roth. Eine reine Frauenpartei hätte in Deutschland zumindest aber keine Chance, schätzte sie ein. „Es braucht in den Parteien Strukturen, damit Frauen Macht erhalten können.“ Ihre Partei sei da Vorreiter gewesen und habe die Quote eingeführt. „Quoten sind erfolgreich“, befand Roth.

„Europawahl wird Richtung zeigen“

Sehr nachdenklich wurde die Bundestagsvizepräsidentin, als sie danach gefragt wurde, welche Entwicklung ihrer Ansicht nach Deutschland und Europa in den nächsten fünf Jahren nehmen. Es sei derzeit viel schwerer noch als von einigen Jahren, Voraussagen zu treffen. 

„Bei der Europawahl im kommenden Jahr wird sich zeigen, in welche Richtung sich Europa entwickelt“, sagte sie. An die IPS-Teilnehmer gewandt fügte sie hinzu, es sei auch wichtig, „wie sich Ihre Länder entwickeln und wie sich die Zivilgesellschaft bei Ihnen entwickelt“. Sie wünsche sich, dass die jungen Leute „Brückenbauer sind in einer Welt, in der es viele Sprengmeister gibt“. (hau/07.07.2018)

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