Parlament

Bettina Stark-Watzinger: Steuer­ent­lastun­gen ,,mehr als unzu­reichend„

Bettina Stark-Watzinger, FDP

Bettina Stark-Watzinger (FDP), Vorsitzende des Finanzausschusses (© DBT/Schüring)

Heftige Kritik an dem von der Bundesregierung eingebrachten „Familienentlastungsgesetz“ übt die Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, Bettina Stark-Watzinger (FDP). In einem am Montag, 15. Oktober 2018, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ nennt sie insbesondere die geplanten Maßnahmen gegen die sogenannte kalte Progression „mehr als unzureichend“. Die Bundesregierung will die Eckpunkte, ab denen jeweils der Steuersatz steigt, erhöhen, um dem Effekt entgegenzuwirken, dass bei einer Lohnerhöhung die Steuerlast deutlich steigt, obwohl auch die Lebenshaltungskosten steigen. „Heute haben wir eine Steuererhöhung durch die Hintertür, die nun ein bisschen korrigiert werden soll, mehr aber auch nicht“, sagt Stark-Watzinger. Das Interview im Wortlaut:


Frau Stark-Watzinger, der Regierungsentwurf für ein Familienentlastungsgesetz, der jetzt zur weiteren Beratung bei Ihnen im Finanzausschuss liegt, sieht eine Reihe von Änderungen vor. Ganz oben steht die Erhöhung des Kindergelds um zehn Euro pro Kind und Monat ab Mitte nächsten Jahres. Sind Sie damit einverstanden?

Es ist natürlich schön, wenn Familien mit Kindern mehr Geld bekommen. Aber um Kinderarmut in unserem Land zu bekämpfen, ist es nur bedingt hilfreich, weil die Erhöhung wieder auf andere Sozialleistungen angerechnet wird. Insofern ist es für diejenigen, die es wirklich ganz dringend brauchen, ein Nullsummen-Spiel.

Wie üblich soll der steuerliche Kinderfreibetrag, der anstelle des Kindergelds in Anspruch genommen werden kann, im gleichen Verhältnis angehoben werden. Dieser Kinderfreibetrag stößt auf der linken Seite des Plenarsaals regelmäßig auf Kritik, weil Besserverdienende damit mehr an Steuern sparen, als sie an Kindergeld erhalten würden.

Heute steigt die Steuerlast bei kleinen und mittleren Einkommen besonders schnell an. Wenn wir es ernst meinen, Kinder als wichtigen Bestandteil einer Familie zu sehen, und ich habe selber zwei Kinder großgezogen, dann sichert nur ein Kinderfreibetrag im Einkommensteuertarif das verfassungsrechtlich gebotene Existenzminimum der Kinder. Es ist ja die Familie, die besteuert wird, und die Familie soll auch, wenn sie wächst, einigermaßen den Lebensstandard halten können.

Nicht nur Familien, sondern alle Steuerzahler sollen von der Erhöhung des Grundfreibetrags von 9.000 Euro auf 9.132 Euro im nächsten Jahr und auf 9.408 Euro 2020 profitieren. Freut Sie das?

Ich halte es für ein Placebo. Die Erhöhung ist festgelegt worden, bevor der Existenzminimumsbericht ein Bild verschafft hat, wie sich eigentlich die Lage der Menschen in unserem Land darstellt. Ich hätte mir gewünscht, dass man anhand von Fakten entscheidet. Das gilt auch für die Anpassung der Eckwerte des Einkommensteuertarifs mit Blick auf die Inflation. Das Lohnniveau ist deutlich geringer gestiegen als die Steuern, die der Staat einnimmt. Es wandert immer mehr Geld zum Staat, sodass immer weniger beim Bürger bleibt. Man dreht mit der Erhöhung kleine Stellschrauben und entlastet die Leute nicht wirklich.

Bei diesen Eckwerten geht es um die alte Forderung, die kalte Progression abzuschaffen, also das Phänomen, dass man mit Lohnerhöhungen in immer höher besteuerte Zonen rutscht, obwohl ja auch die Lebenshaltungskosten steigen. Ich verstehe Sie so, dass Sie das im Gesetzentwurf unzureichend erfüllt sehen.

Mehr als unzureichend. Wir haben uns immer dafür eingesetzt, die Eckwerte an die Inflation anzupassen. Aber es geht um mehr: Wir freuen uns, wenn die Menschen in unserem Land eine Lohnsteigerung bekommen. Aufgrund der Ausgestaltung unseres progressiven Tarifs im Steuersystem steigt der Steuersatz aber schnell an. Das heißt, dass die Menschen überproportional mehr Steuern zahlen, wenn sie einen Euro dazuverdienen. Ich kenne in meinem Bekanntenkreis viele Frauen, die arbeiten ein bisschen nebenher. Die lassen sich ihre Überstunden gar nicht auszahlen, weil sich das für sie nicht rentiert. Man muss im Steuersystem fair mit den Menschen umgehen. Wenn ich als Staat Mehreinnahmen brauche, dann muss ich dies diskutieren und Steuererhöhung beschließen. Heute haben wir eine Steuererhöhung durch die Hintertür, die nun ein bisschen korrigiert werden soll, mehr aber auch nicht.

Was schlagen Sie dann anstelle der Eckpunkte-Regelung im Gesetzentwurf vor?

Ich befürworte einen dauerhaften Einstieg in eine regelmäßige Anpassung des Steuertarifs einschließlich der Freibeträge, Freigrenzen und Pauschbeträge an die Inflation – der Tarif wird also „auf Räder gestellt“. Dann hätten wir nicht immer nur eine Anpassung nach Gutdünken des Parlamentes und nach Kassenlage, sondern es wäre klar: Es besteht ein Anrecht darauf.

Und was ist mit einer richtigen Tarifsenkung für alle, einer echten Steuersenkung?

Wenn wir so etwas fordern, haben wir sofort den Rest des Hauses gegen uns. Aber es ist richtig, eigentlich muss man die Steuertarife anpassen, damit nicht gerade die unteren und mittleren Einkommen überproportional mit jedem Euro mehr belastet werden. Dafür finden Sie derzeit keine Mehrheit, denn dann könnte die Regierung den Wunschzettel der Großen Koalition nicht mehr abarbeiten. Deshalb wäre es ein erster Schritt, den Tarif auf Rädern einzuführen, um zumindest die Mehrbelastung durch die heimliche Steuererhöhung abzuschaffen. Das wäre ein Anfang, nicht das Ende einer notwendigen Überarbeitung unseres Steuersystems.

Wenn man mit Fachpolitikern spricht, egal aus welchem Ausschuss, erzählen fast alle von Finanzierungslücken. Bei Ihnen im Finanzausschuss ist das der Zoll, dem Personal zur Bekämpfung von Schwarzarbeit und Lohndumping fehlt, und so ist es in fast allen anderen Bereichen. Wie wollen Sie da Steuersenkungen gegenfinanzieren?

Vorweg: Warum ist es so wichtig, dass wir die Leute entlasten? Gehen Sie einmal in die Großstädte: Wohnen wird teurer. Mit Blick auf eine alternde Gesellschaft müssen wir an Altersvorsorge und Gesundheitskosten denken. Und was macht der Staat jetzt? Statt zu sagen, ich lasse dir mehr, damit du vorsorgen kannst, nimmt er es den Leuten weg und macht stattdessen Wohnungsbauprogramme. Nur: Dass im Augenblick zu wenige Wohnungen gebaut werden, liegt nicht primär am Geld. Es gibt viele staatliche Förderprogramme. Da ist aber auch der mangelnde Wille, Land auszuweisen. Ebenso haben wir ein komplexes Planungsrecht und stetig steigende Bauvorschriften. Warum sage ich das alles in diesem Zusammenhang? Weil Steuersenkung der einfachste Weg wäre, den Menschen ein Stück Erleichterung zu verschaffen. Die Finanzierungslücken entstehen ja, weil wir Ausgabenwünsche haben und immer wieder Programme auflegen, Subventionen versehen wir kaum mit einem Ablaufdatum. Wir haben gerade wieder große Rentenversprechen gemacht. Das wird dann zum großen Teil steuerfinanziert werden, was künftige Generationen bezahlen müssen. Stattdessen sollte man überlegen, wie wir heute Menschen entlasten, damit sie selber Vorsorge betreiben können.

Sehen Sie denn die Chance, das Familienentlastungsgesetz im parlamentarischen Verfahren noch in Ihrem Sinne zu verändern?

Wir bekommen das Gesetz jetzt planmäßig in den Ausschuss. Wir werden dort die entsprechende Anhörung haben. Das ist ein schönes Instrument auch für uns, die verschiedenen Meinungen mit Experten zu beraten. Unser Ziel ist, deutlich mehr zu fordern. Zum Beispiel sehen wir Änderungsbedarf bei den Eckpunkten des Einkommensteuertarifs. Wir wollen in die Diskussion einsteigen, wie wir denn zu so etwas kommen wie dem Tarif auf Rädern. Das klare Signal an die Menschen, das wir senden möchten: Ihr werdet durch den Staat nicht mehr stärker belastet als nötig.

Wie finden Sie eigentlich den Namen „Familienentlastungsgesetz“?

Der Name ist ein Marketing-Tool. Aber wir wollen keine Marketing-Tools oder Ankündigungslyrik, sondern wir wollen endlich eine wirkliche Entlastung der Menschen in unserem Land.

(hle/15.10.2018)

Marginalspalte