Geschichte

Vor 100 Jahren: National­versamm­lung kon­stitu­iert sich in Wei­mar

Eröffnung der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung im Nationaltheater in Weimar am 6. Februar 1919. Der Vorsitzende des Rats der Volksbeauftragten Friedrich Ebert bei der Eröffnungsrede.

Der Vorsitzende des Rats der Volksbeauftragten Friedrich Ebert eröffnet die konstituierende Sitzung der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung im Nationaltheater in Weimer. (picture alliance/akg-images)

Vor 100 Jahren, am Donnerstag, 6. Februar 1919, trat in Weimar im Deutschen Nationaltheater die Verfassunggebende Versammlung der deutschen Nationen zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Zu ihren Hauptaufgaben gehörte die Ausarbeitung und Verabschiedung einer demokratischen Reichsverfassung, die Bildung einer Regierung und der Abschluss eines Friedensvertrages mit den alliierten Siegermächten des Ersten Weltkrieges.

Um 15.15 Uhr eröffnete Friedrich Ebert (1871-1925) als Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten die erste Sitzung der am 19. Januar 1919 gewählten Nationalversammlung. „Meine Damen und Herren, die Reichsregierung begrüßt durch mich die Verfassunggebende Versammlung der deutschen Nationen. Besonders herzlich begrüße ich die Frauen, die zum ersten Mal gleichberechtigt im Reichsparlament erscheinen. Die provisorische Regierung verdankt ihr Mandat der Revolution; sie wird es in die Hände der Nationalversammlung zurücklegen.“ Zuversichtlich rief er den gewählten Volksvertretern zu: „Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert in aller Zukunft sich selbst.“

Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung

Die Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 waren nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, der Novemberrevolution 1918, der Ausrufung der Republik und dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches die ersten reichsweiten allgemeinen, gleichen, freien und geheimen Wahlen. Erstmals konnten auch Frauen wählen und selbst gewählt werden. Einschließlich der Nachwahl am 2. Februar 1919 waren etwa 83 Prozent der wahlberechtigten Frauen und Männer zur Wahl gegangen. 

37 Frauen zogen am 6. Februar ins Parlament ein. Trotz anhaltender Unruhen hatten die Wahlen ordnungsgemäß durchgeführt werden können. Weil Berlin aufgrund der revolutionären Situation noch zu unruhig war, tagte die Nationalversammlung in Weimar.

Von zunächst 421 Mitgliedern der Nationalversammlung bildete die Mehrheits-SPD mit 163 Abgeordneten die größte Fraktion. Zentrumspartei (Z) und Bayerische Volkspartei (BVP), die bis 1920 in einer Fraktionsgemeinschaft verbunden blieben, wurden mit zunächst zusammen 91 Sitzen zweitstärkste Kraft. Diesen folgte die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) mit 75 Sitzen. 

Koalition aus SPD, Zentrum und DDP

SPD, Zentrum und DDP bildeten gemeinsam die Regierung der sogenannten Weimarer Koalition unter SPD-Reichsministerpräsident Philipp Scheidemann. Gemeinsam verfügten sie über eine komfortable Dreiviertelmehrheit. Die rechtskonservative Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die die parlamentarische Demokratie ablehnte, erhielt 44 Mandate, die republikskeptische nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP) 19 und die Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) 22. 

Die KPD hatte die Wahl boykottiert. Auf die übrigen Parteien entfielen sieben Mandate. Am 2. Februar 1919 wählten die Angehörigen der im Osten stehenden Truppenverbände zwei zusätzliche Abgeordnete. Die Mandatszahl erhöhte sich dadurch auf 423, die Zahl der SPD-Mandate auf 165.

„Konkursverwalter des alten Regimes

In seiner Rede wehrte sich Ebert gegen den Vorwurf, dass die Novemberrevolution für die Kriegsniederlage und die schwere Ernährungskrise in Deutschland verantwortlich gewesen sei. „Wir haben den Krieg verloren. Diese Tatsache ist keine Folge der Revolution. Meine Damen und Herren, es war die Kaiserliche Regierung des Prinzen Max von Baden, die den Waffenstillstand einleitete, der uns wehrlos machte. Nach dem Zusammenbruch unserer Verbündeten und angesichts der militärischen und wirtschaftlichen Lage konnte sie nicht anders handeln. Die Revolution lehnt die Verantwortung ab für das Elend, in das die verfehlte Politik der alten Gewalten und der leichtfertige Übermut der Militaristen das deutsche Volk gestürzt haben. Sie ist auch nicht verantwortlich für unsere schwere Lebensmittelnot.“

Ebert fuhr fort: „Meine Damen und Herren, die provisorische Regierung hat eine sehr üble Herrschaft angetreten. Wir waren im eigentlichsten Wortsinne die Konkursverwalter des alten Regimes: Alle Scheuern, alle Lager waren leer, alle Vorräte gingen zur Neige, der Kredit war erschüttert, die Moral tief gesunken. Wir haben, gestützt und gefördert vom Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte, unsere beste Kraft eingesetzt, die Gefahren und das Elend der Übergangszeit zu bekämpfen. Wir haben der Nationalversammlung nicht vorgegriffen. Aber wo Zeit und Not drängten, haben wir die dringlichsten Forderungen der Arbeiter zu erfüllen uns bemüht. Wir haben alles getan, um das wirtschaftliche Leben wieder in Gang zu bringen.“

„Alles für das Volk, alles durch das Volk!“

Im Anschluss übernahm der Sozialdemokrat Wilhelm Pfannkuch (1841-1923) als Alterspräsident die Leitung der Sitzung. „Jetzt ist das deutsche Volk sein eigener Herr, seine eigene oberste Gewalt geworden. Jetzt muss es die große Prüfung bestehen, ob es reif ist, in Freiheit zu leben, oder ob es wiederum unter die brutale Gewaltherrschaft einer Minderheit geraten soll.“ 

Die Abgeordneten rief er auf, sich in ihren Beratungen und Beschlussfassungen von dem Grundsatz „Alles für das Volk, alles durch das Volk!“ leiten zu lassen.

Eduard David zum Präsidenten gewählt 

Am 7. Februar 1919 wählten die Abgeordneten den Sozialdemokraten Eduard David (1863-1930) zum Präsidenten der Nationalversammlung und Constantin Fehrenbach (1852-1926) (Z), Hermann Dietrich (1856-1930) (DNVP) und Conrad Haußmann (1857-1922) (DDP) zu Vizepräsidenten

Bereits am 10. Februar 1919 verabschiedete die Nationalversammlung ein „Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt“. Auf Grundlage dieses Gesetzes wurde Friedrich Ebert am 11. Februar 1919 mit 277 von 328 gültigen Stimmen (abgegebene Stimmen 379) zum ersten Reichspräsidenten gewählt. In dieser Funktion beauftragte Ebert den SPD-Politiker Philipp Scheidemann (1865-1939) mit der Regierungsbildung. Zwei Tage später, am 13. Februar 1919, wurde die vorläufige Reichsregierung ernannt. Scheidemanns Bezeichnung als Regierungschef lautete „Präsident des Reichsministeriums“.

Von der Nationalversammlung zum Reichstag

Nach heftigen Auseinandersetzungen auch innerhalb der Regierungskoalition und dem Rücktritt Scheidemanns stimmte die Nationalversammlung am 23. Juni 1919 unter dem Druck der Alliierten dem Versailler Vertrag zu. Am 31. Juli 1919 verabschiedete die Nationalversammlung nach hitzigen Debatten mit großer Mehrheit die Verfassung der Weimarer Republik, die am 14. August 1919 in Kraft trat. 

Ab dem 30. September fanden die Sitzungen der Nationalversammlung nicht mehr in Weimar, sondern in Berlin, der Hauptstadt des Deutschen Reiches, statt. Nach den Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 trat der Reichstag an die Stelle der Nationalversammlung. (klz/30.01.2019)


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