Parlament

Krichbaum: Harte Grenze zwischen Irland und Nordirland vermeiden

Gunther Krichbaum, CDU/CSU.

Gunther Krichbaum, Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (DBT/Melde)

Der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestages, Gunter Krichbaum (CDU/CSU), spricht sich dafür aus, im Zusammenhang mit dem anstehenden Austritt Großbritanniens aus der EU „eine harte Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland“ unbedingt zu vermeiden. „Das würde den sehr fragilen Friedensprozess schwer belasten“, sagt der Unionsabgeordnete, der die deutsche Delegation bei der Konferenz der Europaausschüsse der Parlamente in der EU (Cosac) in Bukarest vom 23. bis 25. Juni 2019 geleitet hat. Mit Blick auf die Suche nach einem neuen Präsidenten der EU-Kommission zeigt sich Krichbaum im Interview enttäuscht darüber, „dass sich die Fraktionen der Sozialdemokraten und der Liberalen im Europäischen Parlament weigern, den Wählerwillen zu respektieren“. Damit schafften sie das Prinzip der Spitzenkandidaten für die nächsten Wahlen 2024 faktisch ab, was sehr schade sei. Das Interview im Wortlaut:

Herr Krichbaum, ein Tagesordnungspunkt auf der Cosac-Tagung waren die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien. Stand heute ist doch aber noch völlig unklar, ob und wenn ja, welche Art von Brexit es geben wird. Über welche Szenarien haben Sie mit den Vertretern anderer europäischer Parlamente mit welchem Ergebnis diskutiert?

Sie haben völlig Recht: Die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich können erst dann verhandelt werden, wenn das Vereinigte Königreich die EU verlassen hat und zu einem Drittstaat geworden ist. Auf der Cosac-Tagung wurde die Austrittsentscheidung insgesamt bedauert, da sie beiden Seiten – auch bei Zustandekommen des Austrittsabkommens – schadet. Über das konkrete Austrittsszenario kann derzeit aufgrund der unübersichtlichen innenpolitischen Lage im Vereinigten Königreich nur spekuliert werden. Zentral bleibt die Solidarität mit Irland. Eine harte Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland würde den sehr fragilen Friedensprozess schwer belasten. Das sollten wir unbedingt vermeiden.

Boris Johnson gilt als Favorit für das Amt des britischen Premierministers und hegte eindeutige Sympathien für einen No-Deal-Ausstieg der Briten aus der EU. Welche Erwartungen verbinden Sie mit einem Premierminister Johnson im Hinblick auf den EU-Ausstieg?

Die Entscheidung über den nächsten Premierminister wird in Kürze von den Mitgliedern der Konservativen Partei in Großbritannien getroffen, und aus Respekt vor dem Entscheidungsprozess möchte ich als ausländischer Parlamentarier hier nicht spekulieren, wer gewinnt. Aber ganz gleich, wer das Rennen macht, wird man an einem nicht vorbeikommen: Das über 500 Seiten umfassende Austrittsabkommen, das zwischen der EU-Kommission und der britischen Regierung ausgehandelt wurde, liegt auf dem Tisch und wird ganz sicher nicht nachverhandelt. Die Alternative dazu ist nur der so genannte „No Deal“, also ein ungeregelter Austritt. Dieser hätte aber für alle ganz erhebliche negative Folgen. Deshalb hoffe ich sehr, dass sich nach dem parteiinternen Wahlkampf in Großbritannien die Vernunft durchsetzt.

Und wie geht es weiter?

Nach einem geregelten Austritt könnten dann in einem weiteren Abkommen die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien geregelt werden. Wir alle haben ein hohes Interesse daran, dass diese sehr eng und freundschaftlich bleiben. Großbritannien wird auch nach einem EU-Austritt ein Teil Europas und ein wichtiger Partner bleiben. Das gilt für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik genauso wie für die Zusammenarbeit bei der inneren Sicherheit und natürlich bei den vielfältigen wirtschaftlichen Beziehungen. Dabei ist allerdings entscheidend, dass die Integrität des Binnenmarktes und die Unteilbarkeit der vier Grundfreiheiten gewahrt bleiben.

Auch fünf Wochen nach der Europawahl ist noch völlig unklar, wer künftig Kommissionspräsident wird. Hat EVP-Kandidat Manfred Weber noch eine Chance auf den Job?

Vor den Europawahlen 2011 bestand großes Einvernehmen, dass die EU mehr „Gesichter“ braucht, um der Europaskepsis entgegenzuwirken. So wurde das Prinzip der Spitzenkandidaten entwickelt. Die Bürgerinnen und Bürgern sollten im Vorfeld wissen, wer für die Präsidentschaft in Frage kommt. Nach der Wahl 2011 hatte Martin Schulz als Kandidat der Europäischen Sozialdemokraten sofort akzeptiert, dass der Wahlsieger Jean-Claude Juncker Kommissionspräsident werden sollte. An dieser Einigkeit kam der Europäische Rat nicht vorbei. Jetzt weigern sich die Fraktionen der Sozialdemokraten und der Liberalen im Europäischen Parlament aber, den Wählerwillen zu respektieren. Damit schaffen sie das Prinzip der Spitzenkandidaten für die nächsten Wahlen 2024 faktisch ab. Das finde ich sehr schade, denn die Notwendigkeit, Europa mehr „Gesichter“ zu geben, besteht ja nach wie vor. Hier geht es gar nicht um Manfred Weber, sondern um die Frage, ob der Wählerwille respektiert wird oder ob der Kommissionspräsident wieder in den Hinterzimmern des Europäischen Rats bestimmt wird.

In der Außenwahrnehmung ist es so, dass nicht das EU-Parlament, sondern die Regierungschefs darüber streiten und am Ende wohl auch entscheiden, wer welches Amt in der Kommission übernimmt. Muss dieses Verfahren geändert werden, damit die Wähler auch tatsächlich Einfluss auf die Ämterbesetzung nehmen können?

Nach den Europäischen Verträgen schlägt der Europäische Rat unter Berücksichtigung des Wahlergebnisses dem Parlament einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten vor, der anschließend vom Parlament gewählt werden muss. Der Rat täte gut daran, die „Berücksichtigung des Wahlergebnisses“ sehr ernst zu nehmen. Wichtig ist aber auch, dass es in überschaubarer Zeit zu einer Einigung kommt, denn Europa darf nicht durch eine monatelange Hängepartie gelähmt werden. Die weiteren Mitglieder der Kommission werden von den nationalen Regierungen nominiert und dann ebenfalls vom Parlament bestätigt. Welches Ressort sie für die kommenden fünf Jahre übernehmen, entscheidet anschließend der Kommissionspräsident.

Beraten haben Sie auf der Tagung auch darüber, wie die nationalen Parlamente die New Economy in der EU besser fördern könnten. Mit welchem Ergebnis?

Die Digitalisierung, die Nutzung künstlicher Intelligenz und der technische Fortschritt verändern unabhängig von nationalen Grenzen alle Bereiche des Zusammenlebens. Damit Europa global wettbewerbsfähig bleiben kann, sollten Investitionen in Forschung, Innovation, Bildung und Ausbildung Schwerpunkte des neu zu verhandelnden Mehrjährigen Finanzrahmens der EU bilden. Aber auch die Gesetzgebung muss mit den rasanten Entwicklungen einer zunehmend digitalisierten Welt Schritt halten, um die Einhaltung ethischer Grenzen und der hohen europäischen Standards, etwa in den Bereichen Umwelt und Soziales, zu wahren.

Ein weiteres Thema war der Gemeinsame Europäische Bildungsraum, der zu einem Motor bei der Stärkung des Binnenmarktes werden soll. Auch wenn der Bologna-Prozess als etabliert gelten kann – kann man sich tatsächlich Gedanken um eine gemeinsame europäische Schulpolitik machen, wenn schon in Deutschland das Thema nicht zentral sondern föderal aufgehängt ist?

Europa ist durch eine große Vielfalt seiner nationalen Kulturen geprägt. Es heißt nicht umsonst „Europa – in Vielfalt vereint“. Das macht uns aus, und die Menschen in der EU wollen auch, dass das so bleibt. Deshalb wird es auch kein einheitliches Schulsystem geben können. Denken Sie nur an die Frage, welche erste Fremdsprache gelernt wird oder welche Schwerpunkte im Geschichtsunterricht behandelt werden sollen. Bei den naturwissenschaftlichen Fächern ist eine Annäherung vermutlich einfacher, damit in ganz Europa bestimmte Mindestlehrinhalte gelten. Das würde bei der Mobilität der Schulabgänger helfen.

(hau/28.06.2019)

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