Geschichte

Vor 100 Jahren: Weimarer Reichsverfassung verabschiedet

Weimarer Verfassung 1919 / Titelseite der Ausgabe 1921

Titelseite der Ausgabe 1921 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 (picture-alliance/akg-images)

Vor 100 Jahren, am 31. Juli 1919, verabschiedete die Weimarer Nationalversammlung nach hitzigen Debatten mit großer Mehrheit die „Weimarer Reichsverfassung“.

„Meine Damen und Herren! Durch Ihre eben beendete Abstimmung ist die Verfassung der deutschen Republik in Recht und Gültigkeit getreten“, verkündete der Präsident des Reichsministeriums (offizielle Amtsbezeichnung des Regierungschefs) Gustav Bauer (1870-1944) nachdem die Verfassunggebende Nationalversammlung in namentlicher Abstimmung mit 262 Ja- gegen 75 Nein-Stimmen und einer Enthaltung das Verfassungswerk angenommen hatte. „Das ist die wahre Geburtsurkunde des freien Staatswesens, das von nun an Form und Träger des deutschen Volkswesens bilden soll. Eine neue Zeit beginnt; möge sie auch eine bessere sein“, betonte der SPD-Politiker.

Knapp sechs Monate zuvor, am 6. Februar 1919, war die Verfassunggebende Versammlung der deutschen Nationen in Weimar im Deutschen Nationaltheater zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammengekommen. Zu ihren Hauptaufgaben gehörte die Ausarbeitung und Verabschiedung einer demokratischen Reichsverfassung und der Abschluss eines Friedensvertrages mit den alliierten Siegermächten des Ersten Weltkrieges. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, der Novemberrevolution 1918, der Ausrufung der Republik und dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches waren die Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 die ersten reichsweiten, allgemeinen, gleichen, freien und geheimen Wahlen. Erstmals konnten auch Frauen wählen und selbst gewählt werden.

Eine der liberalsten Staatsordnungen Europas

Mit der Verabschiedung der Verfassung hatte die Nationalversammlung die zweite große Aufgabe, die ihr gestellt war, gelöst, wie der Reichsminister des Innern Dr. Eduard David (1863-1930) in seiner Rede anlässlich der Verabschiedung der Verfassung betonte. „Die erste war die Herstellung des Friedens. Erst mit der Beendigung des Krieges wurde die Voraussetzung geschaffen, um den Frieden auch im Innern zu gewinnen. Diesem Ziel, dem inneren Frieden, soll das Verfassungswerk in erster Linie dienen. Es sei ein Friedenswerk im besten Sinne des Wortes! Das innerpolitische Leben unseres Volkes hat mit ihm neue feste Rechtsformen gefunden“, führte der SPD-Politiker dazu aus.

Die im Wesentlichen auf einem Entwurf des liberalen Staatsrechtlers und Mitglieds der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) Prof. Dr. Hugo Preuß (1860-1925) basierende parlamentarisch-demokratische Verfassung galt als eine der liberalsten Staatsordnungen Europas und enthält in den „Grundrechten und Grundpflichten der Deutschen“ auch viele sozialstaatliche Elemente. „Die Ordnung des Wirtschaftslebens muss den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen.“ heißt es in Artikel 151 der Verfassung und in Artikel 153 (3) heißt es: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste.“ In Artikel 155 wird sogar das Recht auf eine gesunde, den Bedürfnissen entsprechende Wohnung erwähnt.

„Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich“

Artikel 109 bestimmt: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ Zahlreiche Grundrechte wie Rechtsgleichheit, Freizügigkeit, Meinungs-, Presse-, Religions-, Versammlungs- und Gewerbefreiheit waren bereits in der „Paulskirchenverfassung“ vom 28. März 1849 enthalten und wurden nun endlich Realität. Auch die Unverletzlichkeit des Eigentums, die Freiheit der Person, das Briefgeheimnis, die Freiheit von Wissenschaft und Lehre und das Petitionsrecht gehörten dazu. Nicht ohne Grund formulierte der vormalige erste Präsident der Nationalversammlung David deshalb: „Die deutsche Republik ist fortan die demokratischste Demokratie der Welt. Meine Damen und Herren! Tragen wir nun das Bewusstsein hinaus in alle Schichten unseres Volkes: wir haben uns ein neues nationales Haus gebaut, neuzeitlich eingerichtet mit freiestem, weitestem Ausblick.“

Auch der Präsident der Nationalversammlung Constantin Fehrenbach (Zentrum) (1852-1926) verkündete abschließend feierlich: „So legen wir nun die Verfassung in die Hände des deutschen Volkes, das wir dadurch zum freiesten Volke der Erde gemacht haben. Nicht mehr von Herrschern wird es regiert. Seine Geschicke sind ausschließlich ihm selbst anvertraut. Ihm stehen nicht mehr Regierungen vor, auf deren Zusammensetzung es kaum einen Einfluss auszuüben hatte. Die politische Gewalt ruht bei der aus allgemeinsten und freiesten Wahlen hervorgegangenen Volksvertretung und dann schließlich in ganz besonders wichtigen Fällen beim Volke selbst. Die Grundlagen für freieste Betätigung aller im Volke schlummernden Kräfte im politischen und wirtschaftlichen Leben sind gelegt.“

Das Deutsche Reich als Republik

Die Verfassung des Deutschen Reichs [„Weimarer Reichsverfassung“] wurde am 11. August 1919 von Reichspräsident Friedrich Ebert (1871-1925) im thüringischen Schwarzburg unterzeichnet und trat mit ihrer Verkündung am 14. August 1919 in Kraft.

Sie machte das Deutsche Reich zu einer Republik (Artikel 1 Absatz 1), in der die Staatsgewalt vom Volke ausgeht (Absatz 2). Nicht nur die Abgeordneten des Reichstages, auch der Reichspräsident wurde direkt vom Volk gewählt. Daneben sah die Weimarer Verfassung auch die Möglichkeit von Volksbegehren und Volksentscheiden vor. Ein Volksentscheid musste stattfinden, wenn mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten mit ihrer Unterschrift das verlangten. Gesetzgebungskraft erlangen konnte ein Volksentscheid aber nur, wenn mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten daran teilnahmen und eine Mehrheit dafür stimmte.

Reichstag ersetzt Nationalversammlung

Nach den Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 trat der Reichstag an die Stelle der Nationalversammlung. Er wurde für vier Jahre gewählt. Zu den Aufgaben des Reichstages zählten die Gesetzgebung, die Verabschiedung des Haushalts und die Kontrolle der Regierung. Als Gegengewicht zum Reichstag war der Reichspräsident mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. Er wurde direkt vom Volk gewählt und seine Amtszeit betrug sieben Jahre. Er konnte den Reichstag auflösen, nach Artikel 48 der Verfassung bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit den Ausnahmezustand verhängen und Notverordnungen erlassen. Der Reichskanzler und auf dessen Vorschlag die Reichsminister wurden vom Reichspräsidenten ernannt und entlassen. Eine Bestätigung durch den Reichstag war nicht erforderlich. Der Reichskanzler und die Reichsminister waren jedoch in ihrer Amtsführung vom Vertrauen des Reichstages abhängig und mussten zurücktreten, wenn ihnen das Vertrauen entzogen wurde. Die Länder wurden durch den Reichsrat vertreten.

Noch heute sind die Bestimmungen der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 zu Religion und Religionsgesellschaften in den Artikeln 136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung Bestandteil des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (Artikel 140 des Grundgesetzes). (klz/24.07.2019)

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