Wirtschaft

Experten: Strom­kosten senken und digi­tale Infra­struktur ausbauen

Die Senkung der Stromkosten zum Nutzen von Wirtschaft und privaten Haushalten und der Ausbau der digitalen Infrastruktur zählten zu den gemeinsamen Befunden bei einer Sachverständigen-Anhörung zum Neustart für die Wirtschaft in der Corona-Pandemie am Mittwoch, 27. Mai 2020. Die Experten nahmen in einer Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie unter der Leitung von Klaus Ernst (Die Linke) zu dem Fragenkomplex Stellung, wie der Neustart für die Wirtschaft in Deutschland und Europa aussehen sollte.

„Energiepreise müssen runter“

Zum Maßnahmen-Katalog von Prof. Dr. Justus Haucap von der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität gehörte eine Reform der Unternehmenssteuern – insbesondere die Möglichkeit der Verlustverrechnung. 

Die Energiepreise müssten runter. Und Investitionen seien vor allem im Bereich der digitalen Infrastruktur nötig. Er mahnte dazu, in der Debatte nicht die Start-ups zu vergessen, die lieber zu großzügig als zu kleinlich unterstützt werden sollten.

„Unsinn und fiskalische Schäden minimieren“

Prof. Dr. Michael Eilfort (Stiftung Marktwirtschaft) mahnte zu möglichst wenig Wechseln auf die Zukunft der jungen Menschen. Er riet zu Strukturprogrammen insbesondere in den Bereichen Energiewende, Innovation, Bildung und Chancengerechtigkeit. Besonderes Augenmerk legte er auf den Ausbau der digitalen Infrastruktur.

Er kritisierte einen Wettlauf um Branchensubventionen, der mit dem Mehrwertsteuergeschenk für Gastronomen begonnen habe. Es gelte, Unsinn und fiskalische Schäden zu minimieren, um Spielräume für ein mögliches Konjunkturprogramm zu haben.

„Liquiditätskrise droht zu einer Solvenz-Krise zu werden“

Dr. Volker Treier (Deutscher Industrie- und Handelskammertag) machte kein Hehl daraus, dass es beim Weg aus der Corona-Krise noch Rückschläge geben werde – beispielsweise durch sinkende Nachfrage aus den USA. Nicht zuletzt die Unterbrechung der globalen Lieferketten habe zu nie dagewesenen Liquiditätsproblemen geführt. Bei zahlreichen Unternehmen gehe es wirklich um die Substanz.

Die Liquiditätskrise drohe zu einer Solvenz-Krise zu werden. Es sei durchweg nicht so, dass in den privaten Haushalten zu wenig Einkommen vorhanden sei. Vielmehr gebe es eine Konsumzurückhaltung, die mit Zukunftsängsten wie dem Erhalt des Arbeitsplatzes zu tun habe.

„Steuersenkungen müssen investierenden Betrieben nützen“

Prof. Dr. Jens Südekum (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) wies darauf hin, dass Konjunkturprogramme nicht sofort in Gang kämen. Umso wichtiger sei es, ihre Planung unverzüglich aufzunehmen. Er sprach sich gegen allgemeine Steuersenkungen aus. Sie müssten zielgenau jenen Betrieben nützen, die auch investieren.

Ohnehin warnte er vor einem Gießkannenprinzip bei den Corona-Hilfen. Besonderes Augenmerk legte er auf Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie den Schnittstellen hin zu Anwendung und Produktion. Wasserstoff sei einer der zentralen Bausteine bei ökologischen Investitionen.

„Neue Balance zwischen Märkten und Staat finden“

Dr. Andrä Gärber von der Friedrich-Ebert-Stiftung hielt Investitionen in Höhe von 450 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren für erforderlich. Um den Neustart der Wirtschaft in Deutschland und Europa erfolgreich zu gestalten, sei es erforderlich, eine neue Balance zwischen den Märkten und dem Staat zu finden.

Die oftmals blinde Marktgläubigkeit sei kritisch zu hinterfragen und die wichtige Rolle des Staates in der Wirtschaft anzuerkennen. Die deutsche und europäische Innovationsförderung bezeichnete er als sehr themenoffen und zu wenig strategisch.

„Schwarze Null hat Deutschland geschadet“

Prof. Dr. Max Otte hob auf sofortige und massive staatliche Investitionen ab. Dies sei in den letzten Jahren vernachlässigt worden. Kaum ein wirtschaftspolitisches Dogma habe Deutschland in den letzten Jahren so geschadet wie das Dogma von der schwarzen Null.

Erforderlich sei eine halbe Billion Euro in den nächsten zehn Jahren. Das könne nur über Schulden finanziert werden. Der Staat erhalte jetzt die Chance, lange versäumte Infrastrukturmaßnahmen nachzuholen und insgesamt die Staatsausgaben in Richtung mehr Produktivität und Wachstum umzubauen.

„Stromsteuer senken“

Prof. Dr. Gabriel Felbermayr vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) setzte sich für eine Senkung der Stromsteuer ein. Die Mittel aus der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG-Umlage) sollten in den Bundeshaushalt fließen. Unternehmen sollten etwa durch günstigere Regelungen bei Abschreibungen unterstützt werden.

Er nannte es ein Problem, dass bei den Hilfen der Bundesregierung Unternehmen hinsichtlich ihrer Größe unterschiedlich behandelt würden und nicht auf die tatsächliche Betroffenheit geschaut werde. Zudem liege der Fokus auf der Gewährung von Krediten, nicht aber auf eigenkapitalstabilisierenden Maßnahmen.

„Solidaritätszuschlag nicht abschaffen“

Stefan Körzell (Deutscher Gewerkschaftsbund) stellte fest, der Weg zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Stabilisierung führe nicht über pauschale Steuersenkungen, Deregulierung oder gar Sozialabbau. Er sprach sich gegen die Abschaffung des Solidaritätszuschlags aus.

Körzell verlangte, dass bei der Krisenbewältigung Löhne und Beschäftigung gesichert werden. Tarifbindung und steigender Mindestlohn seien dafür unerlässlich. Wichtig sei es, die Kommunen handlungsfähig zu halten. Die öffentliche Hand tätige die meisten Investitionen.

„Jede Investition muss Klimaschutz in den Blick nehmen“

Dr. Patrick Graichen (Agora Energiewende) mahnte, jetzt nicht gleich die nächste Krise zu bauen. Der Klimawechsel gehe ja nicht weg. Die Klima-Herausforderung treffe zwar nicht so plötzlich ein wie die Corona-Pandemie. Sie sei aber ebenso akut.

Jede Investition müsse den Klimaschutz in den Blick nehmen. Konkret verwies er auf Elektromobilität und Wasserstoff, die als Zukunftstechnologien gefördert werden müssten. Insgesamt sei ein 100-Milliarden-Euro-Programm erforderlich. (fla/27.05.2020)

Liste der Sachverständigen

  • Prof. Dr. Justus Haucap, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE)
  • Prof. Dr. Michael Eilfort, Stiftung Marktwirtschaft
  • Dr. Volker Treier, Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V. (DIHK)
  • Prof. Dr. Jens Südekum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU)
  • Dr. Andrä Gärber, Friedrich-Ebert-Stiftung e. V.
  • Prof. Dr. Max Otte, Unternehmer, Investor und Philanthrop – Ehemaliger ordentlicher Professor für quantitative und qualitative Unternehmensanalyse und -diagnose an der Universität Graz, ordentlicher Professor a.D. für internationale und allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Worms
  • Prof. Dr. Gabriel Felbermayr, Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel)
  • Stefan Körzell, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)
  • Dr. Patrick Graichen, Agora Energiewende

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