Geschichte

Vor 70 Jahren: Bundesrepublik tritt dem Europarat bei

Der Europapalast (französisch Palais de l’Europe) ist der Sitz des Europarats in Straßburg.

Der Europapalast, französisch Palais de l'Europe, ist Sitz des Europarates in Straßburg. (Europarat/Ellen Wuibaux)

Vor 70 Jahren, am Donnerstag, 13. Juli 1950, trat die Bundesrepublik dem Europarat zunächst als assoziiertes Mitglied bei und konnte bereits Parlamentarier in die Versammlung entsenden. Am 2. Mai 1951 wurde sie vollberechtigtes Mitglied und konnte dann auch Vertreter in das andere Hauptgremium des Europarats, das Ministerkomitee, schicken. Am 1. Mai 1951 beschloss seinerseits der Europarat die Aufnahme Deutschlands als Vollmitglied.

Der Europarat war die erste zwischenstaatliche Organisation, die in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, am 5. Mai 1949, von zehn europäischen Staaten gegründet wurde. Noch Jahre bevor es zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, der heutigen EU, kam. Gründer und Mitglieder des Europarates hatten und haben den Anspruch, nach Krieg, Diktatur und nationaler Abschottung, Europa zu einen und gemeinsam über Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung der Menschenrechte zu wachen.

Auch Deutschland wurde ein Jahr später, nur fünf Jahre nach dem Nationalsozialismus und kurz nach seiner staatlichen Neugründung, von seinen ehemaligen Gegnern eingeladen mitzumachen. Der Europarat war die erste internationale Organisation, in die die Bundesrepublik aufgenommen wurde – ein wesentlicher Schritt zurück in die Völkergemeinschaft.

Debatte im ersten Deutschen Bundestag

Mitte Juni 1950 aber war die Stunde der Parlamentarier, sich über den außenpolitischen Schritt der Bundesregierung in einer Plenardebatte auszutauschen. Am 30. Mai desselben Jahres hatte die Bundesregierung ihren „Entwurf eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Europarat“, dem einige Tage zuvor bereits der Bundesrat zugestimmt hatte, dem Bundestag übermittelt (Bundestagsdrucksache 1/984).

Die erste Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) war nicht nur mit dem staatlichen und wirtschaftlichen Wiederaufbau beschäftigt. Sie trieb auch die Wiedereingliederung Deutschlands in die Staatengemeinschaft voran. Nach dem Krieg war Deutschland zunächst ohne eigene Souveränität und unter Zwangsverwaltung der Siegermächte. Doch richteten sich die Blicke sowohl auf deutscher Seite als auch auf Seiten der Alliierten schon bald nach vorne. Pläne für neue Formen der internationalen Zusammenarbeit nahmen Gestalt an.

Mit den Stimmen der Regierungsmehrheit aus CDU/CSU, FDP und DP (Deutsche Partei) beschloss der Bundestag in der dritten Lesung am 15. Juni 1950 dann den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Europarat. Die Verabschiedung des Gesetzes und die vorwegnehmende Ratifizierung des völkerrechtlichen Vertrages wurden in einem Schritt vollzogen.

Adenauer versus Schumacher

Die Plenardebatte über eine Mitgliedschaft Deutschlands im Europarat und den Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde in der ersten Lesung am Dienstag, 13. Juni 1950, beherrscht von den gegensätzlichen Positionen Konrad Adenauers (CDU) und des SPD-Vorsitzenden Dr. Kurt Schumacher. Zwar strebten beide Politiker eine rasche Wiedererlangung der Souveränität, eine gleichberechtigte internationale Mitwirkung Deutschlands sowie die Einheit des gerade geteilten Deutschlands an. Aber darüber, welcher Weg dahin der richtige wäre, gingen ihre Meinungen auseinander.

Während Adenauer diese Ziele über den Weg der europäisch-atlantischen Integration erreichen wollte und für die Pläne der Bundesregierung warb, lehnte Schumacher einen Beitritt Deutschlands zum Europarat, ohne zuvor die volle Gleichberechtigung und Souveränität erlangt zu haben, ab. Dieser Schritt werde nicht nur die Teilung Deutschlands zementieren, sondern auch die Spaltung Europas vertiefen.

Plenardebatte am 15. Juni 1950

In der dritten, entscheidenden Beratungsrunde über den Gesetzentwurf der Bundesregierung befasste sich zunächst der Abgeordnete Dr. Günther Henle (CDU/CSU) als Berichterstatter mit einer von der Zentrumspartei eingebrachten Entschließung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. 

Darin forderte das Zentrum, Deutschland solle von den Mitgliedern des Europarates verlangen, dessen beratende parlamentarische Versammlung rasch zu einem „unabhängigen europäischen Parlament auszugestalten.“ Aber das sei „ein Entwicklungsprozess, der sich allmählich vollziehen“ müsse, „nicht überstürzt werden sollte“, und außerdem nicht von einem neu eingeladenen Mitglied zur Vorbedingung für dessen Beitritt gemacht werden könne, hielt Henle dem entgegen.

„Der europäischen Bewegung wohnt ein Schwung inne“

Aber der deutsche Beitritt könne sich als Umstand erweisen, der diese Entwicklung beschleunige. Erhöhe man doch das Gewicht der Parlamentarischen Versammlung, indem die Bundesrepublik zunächst lediglich der Versammlung, nicht aber dem Ministerkomitee angehören werde. Zu Pessimismus sehe er keinen Anlass. „Der europäischen Bewegung wohnt ein Schwung inne … Er soll und muss eines Tages das erstrebte europäische Parlament bringen.“

Auch die Errichtung einer „Europäischen Föderation“, wie sie der Schuman-Plan vorsah, könne man nicht wie von der Zentrumsfraktion gefordert gleichsam zu einer Vorbedingung des deutschen Beitritts machen. Der Europarat selbst stelle den Rahmen dar, innerhalb dessen dieses Thema behandelt werden müsse.

„Die große Gelegenheit“ für Deutschland

Deutschland dürfe nun keine weitere Zeit mit Beratungen verlieren, mahnte Henle, sondern müsse erkennen, „dass durch die Einladung nach Straßburg dem deutschen Volke die große Gelegenheit geboten ist, bereits jetzt in den Kreise der freien Völker Europas zurückzukehren, und dass diese Gelegenheit von uns auch genutzt werden muss“. Henle weiter: „Dieser Haltung liegt die tiefe Überzeugung zugrunde, dass das, was Europa heute dringend not tut, der Zusammenschluss ist, ein Brechen mit der bald tausendjährigen Überlieferung nationaler Rivalitäten, und dass es sich dabei für Europa um eine Frage von Sein und Nichtsein handelt.“

Ohne Deutschland könne es kein wirkliches Europa geben, „aber auch uns Deutschen tut zur Sicherung unserer eigenen Zukunft und unseres Daseins nichts mehr not als eine möglichst enge Anlehnung an, ja ein möglichst rascher Einbau in dieses werdende neue Europa“, betonte der CDU-Abgeordnete und fuhr fort: „Wir können uns deshalb diesen Gedankengängen gar nicht eifrig genug verschreiben und auch unserer Jugend kein positiveres Ziel im politischen Felde aufzeigen als eben diese Verwirklichung des europäischen Zusammenschlusses. Der Weg dahin aber führt, wie die Dinge liegen, über den Straßburger Europarat.“

Henle empfahl im Namen des Ausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten dem Bundestag die unveränderte Annahme des Gesetzentwurfs der Bundesregierung.

Mit oder ohne Bundesrat?

Es ging im weiteren Verlauf der Debatte darum, ob die Versammlung lediglich mit Vertretern der Länderkammer, also des Bundesrates, beschickt werden solle statt mit Bundestagsabgeordneten, wie es Dr. Gebhard Seelos von der Bayernpartei vorschlug. Das lehnte August-Martin Euler von der FDP ab, da Deutschland dann in der Parlamentarischen Versammlung durch weisungsgebundene Repräsentanten seiner einzelnen Länder vertreten würde.

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (DP) empfahl aus staatsrechtlichen Überlegungen und „damit unsere deutsche Stimme in Straßburg das richtige Gewicht erhält, die Vertretung so zusammenzusetzen, dass sie durch die beiden Faktoren, die nun einmal die Grundlagen unseres bundesstaatlichen Aufbaues sind, legitimiert ist. Ich empfehle, in diese Delegation auch Vertreter des Bundesrats aufzunehmen“.

Zentrum wünscht weitere Verhandlungen

Zahlreiche Bedenken, die ihre Partei gegen einen unmittelbaren Beitritt Deutschlands zum Europarat habe, blieben nach den Ausführungen des Berichterstatters und in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ungeklärt, sagte Helene Wessel von der Zentrumspartei.

So, ob die deutschen Vertreter im Europarat im Namen und Auftrag Gesamtdeutschlands sprächen. Und auch, ob mit der Mitgliedschaft Deutschlands im Europarat eine Einbeziehung der Bundesrepublik in das Verteidigungssystem Westeuropas einhergehe, beschäftigte die Zentrumsfraktion in diesem Zusammenhang.

Ungeklärt sei zudem die Frage, „ob der Europarat ein Instrument der nationalen Regierungen oder ein echtes unabhängiges europäisches Parlament sein wird, das auch über die wirtschaftliche Einigung, wie sie im Schuman-Plan angestrebt wird, die unerlässliche Kontrolle ausübt.“ Die Zentrumsfraktion wünschte sich darüber Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten des Europarates und lehnte den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab.

KPD hat grundsätzliche Bedenken

Walter Fisch (KPD) brachte die grundsätzlichen Bedenken der Kommunistischen Partei gegenüber der Politik der europäischen und Westintegration der Bundesregierung und der SPD zum Ausdruck und lehnte den Europarat und das Gesetz als Schritt in die falsche Richtung ab. Er warf Regierung und SPD vor, sich der „Politik des Westens, das heißt der Politik der amerikanischen Konzerne und seiner Kriegsstrategie“ zu unterwerfen: „Sie betreiben nicht eine europäische Politik, sondern eine Politik der Zerfleischung, der Spaltung Europas.“

„Sie sprechen für das Alte, Rückständige in der deutschen Geschichte“, sagte Fisch, „als Vertreter der Konzern-Herren“ und des „adligen Großgrundbesitzes“, „die die alten längst überholten Zustände verewigen möchten.“ Man sage daher zu diesem „Akt der deutschen Einbeziehung in die amerikanische Kriegsstrategie“ nein. Bei 151 Gegenstimmen und neun Enthaltungen votierten in namentlicher Abstimmung schließlich 218 Abgeordnete für den Gesetzentwurf der Bundesregierung. (ll/06.07.2020)

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