Parlament

Austausch über Digita­li­sie­rung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz

Ein Mann und eine Frau sitzen an einem Tisch und blicken auf eine Monitore während einer Videokonferenz.

Lorenz Müller, Direktor beim Deutschen Bundestag, und Ute Rettler, Direktorin des Bundesrates, beim virtuellen Treffen der Generalsekretäre und Generalsekretärinnen der Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments (DBT/Ute Grabowsky)

Dachbegrünung, Papierrecycling und Bienenstöcke. Die Bemühungen in den nationalen Parlamenten Europas, um zu mehr Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit im Parlamentsbetrieb zu gelangen, sind ausgesprochen vielfältig. Das ist eine Erkenntnis des virtuellen Treffens der Generalsekretärinnen und Generalsekretäre der Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments am Montag, 29. März 2021, in Berlin. Eine zweite ist die, dass die Corona-Pandemie die Parlamente in Sachen Digitalisierung einen Schritt nach vorn machen lassen hat – gezwungenermaßen sozusagen, ließen doch die Corona-Einschränkungen einen regulären Parlamentsbetrieb nicht zu.  Ein Schritt, der wichtig war und aus Sicht der Beteiligten auch gelungen ist.

Die Arbeitsfähigkeit sämtlicher Parlamente war nach Aussage ihrer Generalsekretärinnen und Generalsekretäre auch in den vergangenen 14 Monaten zu jeder Zeit gewährleistet. Nicht ganz einig war man sich bei dem von der Direktorin des Bundesrates, Staatssekretärin Dr. Ute Rettler, und dem Direktor beim Deutschen Bundestag, Staatssekretär Dr. Lorenz Müller, geleiteten Treffen, das auch der Vorbereitung auf die Konferenz der Parlamentspräsidenten der EU-Mitgliedstaaten im Mai diente, über das Verhältnis zwischen physischen Treffen und Videokonferenzen in Nach-Pandemie-Zeiten.

Müller: Digitalisierung hat ordentlichen Schub erfahren

Als Folge der Einschränkung von persönlichen Kontakten habe die Digitalisierung in allen Bereichen einen ordentlichen Schub erfahren, „natürlich auch in den Parlamenten“, sagte der Direktor beim Deutschen Bundestag. Manche Parlamente seien schon im Vorfeld gut aufgestellt gewesen.

„Die meisten wurden aber doch von der Tragweite der Pandemie und ihren Konsequenzen überrascht und mussten innerhalb kurzer Zeit die Möglichkeiten für virtuelle Ausschuss- und Plenarsitzungen oder gar Abstimmungen schaffen“, sagte Müller.

Welle: Telearbeit auch nach Corona eine Option

Klaus Welle, Generalsekretär des Europäischen Parlaments, erläuterte einige Maßnahmen, die in Brüssel und Straßburg ergriffen wurden. Das Europäische Parlament, so sagte er, habe drei Prioritäten gesetzt. Es sei darum gegangen, Mitarbeiter und Abgeordnete zu schützen, die Arbeitsfähigkeit des Parlaments zu erhalten und „praktische Solidarität“ zu zeigen. Mitarbeiter mit Vorerkrankungen seien zu 100 Prozent und die anderen Mitarbeiter zu 90 Prozent in die Telearbeit geschickt worden, sagte Welle. 10.000 Hybrid-Computer seien angeschafft und so der ohnehin geplante Ersatz der Desktop-Rechner vorgezogen worden.

Außerdem gibt es laut Welle im Europäischen Parlament schon seit Längerem ein Testzentrum und seit vergangener Woche ein eigenes Impfzentrum. Um weiter arbeitsfähig zu sein, sei schon sehr früh entschieden worden, auf das Dolmetsch-System eines europäischen Start-up-Unternehmens „und nicht auf den amerikanischen Marktführer“ zu setzen. Auch, so Welle, mit Blick auf die europäischen Datenschutzrichtlinien. Etwa 200.000 Teilnehmer seien bisher über die Plattform miteinander verbunden worden. „Alle Ausschuss- und Fraktionssitzungen sind so gelaufen“, sagte der Generalsekretär des Europaparlaments. Mit einer Verdolmetschung in bis zu 13 Sprachen.

Welle zeigte sich überzeugt davon, dass auch nach der Corona-Krise die Telearbeit für ein bis drei Tage pro Woche eine Option sein werde. Auch sei die hybride Teilnahme der Abgeordneten an Sitzungen ein großer Vorteil. Zudem sei es leichter, Experten aus aller Welt für eine kurze Videoschalte zu bekommen als sie zu einem siebenstündigen Flug über den Atlantik zu überreden.

Erfahrungen aus den Parlamenten

In den nationalen Parlamenten sind die Einschätzungen dazu unterschiedlich. Albino de Azevedo Soares, Generalsekretär der portugiesischen Assembleia da República, sagte, seit April 2020 hätten nur noch ganz wenige Ausschusssitzungen im Präsenzformat stattgefunden. Anhörungen habe es grundsätzlich im Videoformat gegeben.

Das polnische Parlament habe im März 2020 seine Geschäftsordnung den Umständen angepasst, sagte Agnieszka Kaczmarska, Generalsekretärin des polnischen Sejms. In der Folge sei es möglich gewesen, Ausschuss- und Plenarsitzungen virtuell stattfinden zu lassen. Interessanter Nebeneffekt dessen: Laut Kaczmarska gab es bei den virtuellen Sitzungen eine durchschnittliche Teilnahme von 75 Prozent im Gegensatz zu 25 Prozent in den üblichen Formaten.

Kosteneinsparungen bei internationalen Konferenzen

Im niederländischen Senat hätten die Ausschusssitzungen überwiegend digital stattgefunden, sagte Remco Nehmelman, Generalsekretär des niederländischen Senats. Die Plenarsitzungen hingegen hätten vor Ort stattgefunden, aber in einem größeren Saal.

Das maltesische Repräsentantenhaus befinde sich in einem sehr neuen Gebäude mit einer robusten IT-Struktur, sagte dessen Generalsekretär Raymond Scicluna. Daher seien benötigte Modifizierungen ohne allzu viel Schwierigkeiten durchführbar gewesen. Scicluna verwies zugleich darauf, dass gerade bei internationalen Konferenzen im Videoformat viele Kosten eingespart werden könnten.

Videokonferenzen ungeeignet für persönliche Kontaktaufnahmen

Eric Tavernier, Generalsekretär des französischen Senats, ist dennoch der Ansicht, dass die physischen Treffen die Norm und die Videokonferenzen lediglich als zusätzliches Instrument, etwa für Vorbesprechungen, betrachtet werden sollten. „Die politischen Gespräche sollten nach wie vor im Präsenzformat abgehalten werden“, sagte er. Videokonferenzen könnten schließlich nicht für persönliche Kontaktaufnahmen genutzt werden.

Luigi Gianniti als Vertreter des italienischen Senats sagte, er sei stolz, dass es gelungen sei, Plenar-, aber auch Ausschusssitzungen trotz aller Einschränkungen im Präsenzformat stattfinden zu lassen. Auf Videokonferenzen sei lediglich bei Sachverständigenanhörungen zurückgegriffen worden.

Rettler:  Pragmatische Lösungen finden

Die Direktorin des Bundesrates machte darauf aufmerksam, dass offene Plattformen für Videokonferenzen ein Einfallstor für Cyberangriffe sein können. Der Bundesrat habe daher pragmatisch entschieden, dass die Kolleginnen und Kollegen, die extern mit Systemen wie Webex oder Zoom arbeiten, besondere Laptops nutzen, die nicht mit dem internen Netzwerk des Bundesrates verbunden sind, sagte Rettler.

Ohne Videokonferenzen wäre aber gerade die interparlamentarische Zusammenarbeit während der Pandemie zum Erliegen gekommen. Daher seien Videokonferenzen grundsätzlich ein Gewinn, betonte die Bundesratsdirektorin. Entscheidend dabei sei aber weniger die Festlegung auf eine einheitliche Plattform, sondern die Interoperabilität der Systeme. Auch hier plädierte Rettler für pragmatische Lösungen.

Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit im Parlamentsbetrieb

Die Diskussion zum Thema Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit im Parlamentsbetrieb eröffnete Rettler mit der Feststellung, dass diese Themen von der Corona-Pandemie an den Rand gedrängt worden seien. Gleichwohl müsse dies auf der Agenda stehen bleiben, denn: „Der Klimawandel ist leider nicht in den Lockdown gegangen.“ Die Europäische Union habe sich daher einen ehrgeizigen Green Deal verordnet, der die Parlamente als Gesetzgeber aber auch als Parlamentsbetrieb fordere.

Claes Mårtensson, stellvertretender Generalsekretär des schwedischen Riksdag, machte zu Beginn der Diskussion deutlich, dass das schwedische Parlament schon seit 2009 mit einem Umweltzertifikat ausgestattet sei. Die umweltbezogenen Ziele der Verwaltung gehen seiner Aussage nach in Richtung einer Senkung der Treibhausgasemissionen und des Energieverbrauches, zu weniger Müll und einer nachhaltigen Beschaffung. Der Riksdag habe eine Dachbegrünung vornehmen lassen, den Einsatz von Druckerpapier erheblich gesenkt und eine „Vier-Stunden-Regel“ bei Reisen eingeführt. Soll heißen: Mit dem Flugzeug darf nur geflogen werden, wenn der Zeitgewinn dadurch mehr als vier Stunden beträgt.

Ausgezeichneter Honig aus dem polnischen Sejm

Auf die eigene Honigproduktion setzt der Sejm – neben der papierlosen Arbeit, der Mülltrennung und dem Papierrecycling, wie Generalsekretärin Kaczmarska sagte. „Wir sind stolz darauf, dass wir Honigbienen im Sejm haben“, sagte sie. Das Parlament habe sich den Schutz der Bienen auf die Fahnen geschrieben. Von ausgezeichneter Qualität sei zudem der gewonnene Honig.

Seit 2009 sei im dänischen Parlament die Umweltarbeit stark ausgebaut worden, sagte dessen Generalsekretärin Marie Hansen. Versucht werde, den ökologischen Fußabdruck zu verringern und das Abfallaufkommen zu senken. Außerdem werde derzeit ein Energiescreening aller Parlamentsgebäude durchgeführt. Ein weiterer Ansatzpunkt sei die Beleuchtung, sagte Hansen. LED und Lichtmanagementsysteme seien hier zu nennen.

„Impulse für die eigene Parlamentsverwaltung mitnehmen“

Beispiele für klimabewusstes und nachhaltiges Handeln kamen auch von Harald Dossi, Direktor des österreichischen Parlaments, und Manuel Cavero, Generalsekretär des spanischen Senats. Für Bundesrat-Direktorin Rettler war im Anschluss klar: Die Themen sind nicht innerhalb einer einzigen Sitzung abzuhandeln.

„Wir sollten das Thema Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit im Parlamentsbetrieb künftig regelmäßig aufgreifen und uns über Neuerungen und aktuelle Erfahrungen austauschen“, schlug sie ihren Kolleginnen und Kollegen vor. So könne man miteinander lernen und Impulse für die eigene Parlamentsverwaltung mitnehmen. (nn/31.03.2021)

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