Parlament

Michel Brandt: Anliegen progressiver Bewegungen im Bundestag platziert

Michael Brandt, Die Linke, geht an einem Bundestagsgebäude vorbei.

Michel Brandt zieht Bilanz seiner ersten Wahlperiode im Bundestag. (DBT/Achim Melde)

Michel Brandts Ziel war es, Bewegung ins Parlament bringen, als er 2017 zum ersten Mal für Die Linke in den Deutschen Bundestag gewählt wurde. Er wechselte vom Theater in Baden-Württemberg auf die politische Bühne nach Berlin und wurde vom Schauspieler zum Politiker. Im Sommer 2019 sprach er darüber, ob er das, was er sich bei seiner Kandidatur vorgenommen hatte, realisieren konnte, und zog in der Halbzeit Bilanz.

Kurz vor Ende der 19. Legislaturperiode schaut Michel Brandt erneut zurück, diesmal auf die vergangen vier Jahre. Konnte er die Ziele, die er sich gesetzt hatte, erreichen? Er sagt: „Ein pauschales Urteil möchte ich nicht abgeben, mein Rückblick ist ambivalent. Es gibt Bewegungsdynamiken, gerade von jüngeren Abgeordneten, die ihre Themen im Parlament platzieren konnten, und das ist positiv. Ich denke, wir haben es geschafft, viele Themen und Anliegen von progressiven Bewegungen im Bundestag zu platzieren.“

„Klimagerechtigkeit spielte lange kaum eine Rolle“

Als Beispiel nennt er das Thema Klimagerechtigkeit, das im Parlament lange Zeit kaum eine Rolle gespielt habe. „Wir haben außerdem viel dazu beigetragen, die Skandale um Frontex und die Verstrickung der Bundesregierung in der europäischen Abschottungspolitik aufzudecken und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bei Themen wie dem Lieferkettengesetz haben wir zusammen mit Initiativen den Druck auf die Bundesregierung aufrechterhalten. Eine starke linke Opposition ist heute so wichtig wie eh und je – und diese Rolle haben wir meines Erachtens sehr erfolgreich ausgefüllt.“

Seine Einschätzung lautet: „Je stärker der Druck von allen Seiten auf das Parlament ist – von Umweltverbänden, von außerparlamentarischen Bewegungen und der Zivilgesellschaft, desto mehr bilden sich progressive Themen im Parlament ab.“ Seine Aufgabe als Abgeordneter der Linken sieht er deshalb auch darin, immer zu versuchen, eine Wechselwirkung zu erzeugen und die Dynamik, die in der Gesellschaft entsteht, ins Parlament zu tragen.

Herzensangelegenheit Seenotrettung

Nach Ansicht von Michel Brandt, der Mitglied im Menschenrechtsausschuss ist, haben die Menschenrechte nicht nur durch die Corona-Pandemie massiv gelitten: „Ich sehe hier eine ganz klare und sehr negative Abwärtsspirale.“ Schon bei seinem Einzug ins Parlament waren Seenotrettung und der Kampf gegen die „Abschottungspolitik“ der EU eine besondere Herzensangelegenheit des Karlsruher Abgeordneten. „Mein Anspruch war von Beginn an, die Solidarität zu den Seenotrettern zu stärken, um Menschen zu retten. Unter den Mitgliedstaaten der EU gibt es allerdings keine Einigung“, stellt Brandt fest. 

In den letzten zwei Jahre hätten sich in Europa mehr als 600 Kommunen bereit erklärt, Menschen aufzunehmen, die im Mittelmeer gerettet wurden oder die in Lagern der Hotspots in Griechenland festsitzen. Die institutionelle EU-Ebene sei hier „offenbar in einem desolaten Zustand“. Wenn er sich die Solidarität und die Dynamiken „von unten“ anschaue, dann werde eine Bewegung in eine andere Richtung sichtbar: „Das stimmt mich auch positiv.“

„Corona-Maßnahmen hätten breiter debattiert werden müssen“

Im Rückblick auf mehr als anderthalb Jahre Corona-Pandemie sieht Michel Brandt das Parlament zu wenig in Entscheidungsprozesse der Regierung eingebunden. Zu Beginn habe es noch Bemühungen der Regierung gegeben, den Bundestag einzubeziehen. Dann sei es jedoch zu einem „klaren Bruch“ gekommen: „Nach dem ersten Lockdown standen nur noch Wirtschaftsinteressen im Vordergrund“, so die Einschätzung des Abgeordneten.

Beispielhaft sei die „absurde Situation“ gewesen, dass Spielplätze geschlossen wurden und Autohäuser wieder öffneten. „Es hätte eine viel breitere Debatte im Parlament geben müssen zur Sinnhaftigkeit von Maßnahmen, welche Lebensbereiche eingeschränkt werden müssen. Wären die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie im Parlament anders diskutiert worden, hätte es eine breitere Zustimmung für viele Entscheidungen gegeben“, findet Michel Brandt.

„Geringverdienern reicht das Kurzarbeitergeld nicht“

Das Instrument Kurzarbeitergeld, um das Deutschland europaweit beneidet wird, sieht Michel Brand ebenfalls ambivalent: „Natürlich hat das Kurzarbeitergeld viele Menschen über die Pandemie gerettet, und es ist grundsätzlich auch ein positives Arbeitsmarktinstrument“, findet der Abgeordnete. „In den unteren Einkommensschichten hat die Quote aber einfach zum Leben nicht gereicht, da hätte es auf 90 Prozent mindestens aufgestockt werden müssen, damit Familien davon leben können.“

Zur Halbzeit im Parlament war das Wahlrecht ab 16 für Michel Brandt eine Möglichkeit, die Demokratisierung der Gesellschaft zu steigern. Wie denkt er heute darüber? Das Wahlrecht ab 16 ist seiner Meinung nach immer noch eine richtige Forderung. „Das allein führt allerdings nicht zu einer stärkeren Politisierung junger Menschen, aber es wäre eine richtige Maßnahme.“ Wer möchte, dass sich junge Menschen politisch engagieren, müsse das Bildungssystem umstellen und eine frühe politische Bildung integrieren.

Erneute Kandidatur für den Bundestag

Zur Bundestagswahl am 26. September kandidiert Michel Brandt erneut für Die Linke. Er verfolgt nach eigener Aussage weiterhin seine Inhalt und macht „keinesfalls schlapp“. für seine zweite Wahlperiode im Bundestag hat er klare Ziele im Blick. Die Folgekosten der Corona-Krise, die bewältigt werden müssen, sind für ihn ein ganz zentrales Thema: Diese müssten „gerecht“ verteilt und nicht „auf dem Rücken der Schwächsten“ finanziert werden.

Auch sei die Mietenentwicklung für viele Menschen existenziell. Er hofft deshalb, dass diese Wahl auch eine „Mietenwahl“ wird. Ein weiteres Ziel für ihn ist, dass Deutschland die richtigen Lehren aus der Pandemie zieht: „Die Themen Gesundheit, Pflegemangel sowie die Privatisierung und Schließung von Krankenhäusern werden wir als Linke und ich ganz persönlich auf die Tagesordnung setzen, denn Deutschland braucht endlich ein Gesundheitswesen in öffentlicher Hand“.

Nach vier Jahren im Bundestag hat Michel Brandt den parlamentarischen Betrieb sehr gut kennengelernt. „Die Opposition ist in einer Demokratie und im Deutschen Bundestag unglaublich wichtig, und meine Partei vertritt nun mal andere politische Standpunkte in Bezug auf das Wirtschaftssystem, in dem wir leben. Wir betrachten den Kapitalismus kritisch und stehen für ein demokratisches Wirtschaftssystem und eine solidarische Gesellschaft. Das gefällt den Kollegen einiger anderer Parteien nicht, aber das ist nicht überraschend und auch nicht dramatisch – dafür gibt es ja Debatten und Pluralismus.“ (bsl/02.08.2021)

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