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Wadephul sieht zentrale Rolle Deutschlands an der Nato-Ostflanke

Porträtaufnahme von Johann Wadephul (CDU/CSU) an einem Geländer stehend

Johann Wadephul (CDU/CSU), Leiter der deutschen Delegation zur Nato PV (Laurence Chaperon)

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine geht in die siebte Woche. Am Sonntag, 10. April 2022, kam der Ständige Ausschuss der Parlamentarischen Versammlung der Nato (Nato PV) zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen und hat eine Entschließung zur Lage in der Ukraine angenommen. Diese enthalte drei klare Botschaften, erläutert Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU), Leiter der deutschen Delegation zur Nato PV, an Russland, an die Ukraine und an die Nato selbst: Man müsse die russische Regierung zur Verantwortung ziehen, der Ukraine solidarisch zur Seite stehen und als Nato Geschlossenheit demonstrieren. Im Interview fordert der Unions-Politiker „schnelle und effektive Waffenlieferungen“ an das osteuropäische Land. Um der Aggression Russlands etwas entgegenzusetzen brauche es aber „kurz- und mittelfristig mehr Verbände und Fähigkeiten an der Ostflanke“ des Bündnisses. „Deutschland muss hier eine zentrale Rolle spielen.“ Das Interview im Wortlaut:

Herr Dr. Wadephul, was für eine Botschaft wollen die Nato-Parlamentarier mit der jetzt angenommenen Erklärung zur Ukraine senden?

Mit der Erklärung senden wir als Nato-Parlamentarier mehrere Botschaften. Die erste ist die scharfe Verurteilung des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein Angriff auf unsere gemeinsame Friedensordnung, nicht nur in Europa sondern weltweit. Er betrifft uns als Nato-Partner alle gleichermaßen. Darum sind wir entschlossen, das Regime von Präsident Putin für diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zur Verantwortung zu ziehen. Die zweite wichtige Botschaft ist das Signal an unsere ukrainischen Partner, dass wir ihnen in ihrem heroischen Abwehrkampf gegen die russische Aggression geschlossen und solidarisch zur Seite stehen. Wir haben deutlich gemacht, dass wir ihnen die notwendige Unterstützung zukommen lassen werden. Die dritte Botschaft ist, dass wir als Nato-Partner vereint und geschlossen agieren. Denn gerade unsere Geschlossenheit und Entschlossenheit im transatlantischen Bündnis ist unsere größte Stärke.

Haben Sie seitens der östlichen Nato-Mitglieder Druck verspürt, den Hilfegesuchen der Ukraine wie beispielsweise nach einer Flugverbotszone oder Waffenlieferungen noch stärker entgegen zu kommen? Im Interparlamentarischen Rat Nato-Ukraine war Deutschland ja für seine anfangs zögerliche Haltung heftig kritisiert worden.

Wir haben viel darüber gesprochen, was ein zusätzliches „Mehr“ an Unterstützung für die Ukraine sein kann. Schnelle und effektive Waffenlieferungen an die Ukraine sind absolut notwendig. Diese Bitte wurde auch deutlich von Seiten der Ukraine geäußert. Dem sollte gerade Deutschland schnellstmöglich nachkommen. Eine Flugverbotszone birgt das Risiko einer direkten militärischen Konfrontation der Nato mit Russland. Eine Alternative bestünde jedoch darin, die Ukraine verstärkt mit Flugabwehr auszustatten, um ihren eigenen Luftraum noch besser schützen zu können.

Zudem fordern die Parlamentarier nun in ihrer Entschließung die Regierungen der Nato-Mitglieder auf, die militärische Unterstützung für Nato-Partner und -Aspiranten zu erhöhen. Muss die Bundesregierung mehr tun?

Definitiv. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist auch eine direkte Bedrohung für uns Europäer und für uns als Nato-Partner, insbesondere im Baltikum und an der östlichen Flanke. Unsere Sicherheit baute in den vergangenen Jahren auf der Verlässlichkeit der europäischen Friedensordnung auf, die von Putins militärischer Aggression in Frage gestellt wird. Sicherheit in Europa bedeutet darum künftig noch stärker, Sicherheit vor und gegenüber Russland zu schaffen. Geschlossenheit im Bündnis, Abschreckung und militärische Stärke werden dafür unsere Instrumente sein. Eine Erhöhung militärischer Unterstützung unserer Partner und Nato-Aspiranten ist darum folgerichtig.

Gibt es für Sie eine rote Linie bei militärischen Hilfszusagen an die Ukraine?

Lieferungen an die Ukraine sollten dreierlei Maßstäben folgen. Erstens: was erbittet die Ukraine? Irgendwelche Ferndiagnostik ist fehl am Platze. Die Ukraine kämpft um ihr eigenes Überleben und sie tut dies erfolgreich. Sie weiß, was sie braucht, um den Kampf fortzusetzen. Zweitens: was kann schnell geliefert werden. Da Russland eine zweite Phase der Offensiven vorbereitet, brauchen die ukrainischen Streitkräfte jetzt zusätzliche Waffen und Munition und nicht erst in Monaten oder Jahren. Und drittens: es müssen Material und Gerät unkompliziert integriert werden können, denn es fehlt die Zeit umfangreicher Ausbildung oder für den Aufbau komplexer Ersatzteilketten.

Hält die ukrainische Armee nun bereits Waffen aus Deutschland zu ihrer Verteilung in den Händen? Und wie kann man noch effektiver helfen?

Die Bundesregierung hat unter anderem bereits Flugabwehr- und Panzerabwehrwaffen in die Ukraine geliefert. Angesichts des Überlebenskampfes der ukrainischen Nation müssen diese Lieferungen fortgesetzt und ausgeweitet werden. Vor allem aber müssen sie schneller und effizienter erfolgen. Angesichts neuer russischen Offensiven im Donbas hat die Ukraine weder die Zeit, noch das Verständnis für überbordende deutsche Rüstungsbürokratie. Innerhalb des Rechtsrahmens muss darum noch schneller und mit Priorität geprüft werden. Dass dies möglich ist, zeigt ja die rasche Entscheidung von Minister Habeck, die Lieferung von Panzerabwehrwaffen durch die Industrie direkt an die Ukraine freizugeben. Die Ukrainer brauchen jedoch auch gepanzerte Fahrzeuge oder Brückenlegepanzer, um bestehen zu können. Die Industrie hat umfangreiche Bestände an Systemen im eigenen Besitz, die sie liefern könnten und auch wollen. Hier sollte gehandelt werden.

Hätte eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine jetzt geholfen?

Das ist eine ahistorische Diskussion, denn 2008 war die Lage eine andere. Damals war die Frage einer Nato-Aufnahme Georgiens und der Ukraine die Diskussion einer Güterabwägung. Zum einen stellte sich die Frage, ob man beide Staaten auch hätte verteidigen können und ob ihr Beitritt der Stärkung der Nato gedient hätte. Beide Grundsätze sind Kern einer jeden Erweiterungsentscheidungen. Und zu beiden Fragen gab es keine klare gemeinsame Antwort der Nato-Mitgliedstaaten. Denn zum anderen war damals schon klar, dass der Nato-Beitritt eine drastische Verschlechterung der Beziehungen zu Russland bedeutet hätte. Man ist damals zu einer Kompromisslösung gekommen. Sie hat sich für die Ukraine nicht als tragfähig erwiesen.

Ist es mit der Perspektive einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine jetzt aus und vorbei? Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat ja diese Perspektive jetzt als verhandelbar hingestellt. Immerhin aber ist die euroatlantische Integration Bestandteil der ukrainischen Verfassung und in ihrer Entschließung zur Ukraine unterstreichen die Abgeordneten nun, das Land auf seinem Kurs der euro-atlantischen Integration weiter zu unterstützen. Wohin sollte das denn führen?

Niemand kann sagen, ob die Ukraine nicht irgendwann in der Zukunft Nato-Mitglied wird. Doch natürlich ist die Aufnahme eines Staates, der sich in einem aktuellen Territorialkonflikt befindet, eigentlich für die Nato nicht möglich. Welche Kompromisse, oder um es härter zu sagen, welche Opfer, die Ukraine bereit ist, um einen Frieden mit Russland zu erzielen und dann somit die Voraussetzung zu schaffen, der Nato beitreten zu können, liegt allein in den Händen der Ukrainer selbst. Es muss jedoch Ziel der Nato sein, die Ukraine zu unterstützen, damit sie diese Wahl überhaupt treffen kann.

Was muss die Bundesregierung mit dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr anfangen? Den Nato-Mitgliedsbeitrag erhöhen? Einen Raketenschutzschild errichten? Die Grundausstattung verbessern?

Das Sondervermögen für die Bundeswehr sollte seinem Namen gerecht werden, indem es ausschließlich der Bundeswehr zufließt. Ziel sollte die Wiederherstellung voll einsatzbereiter Streitkräfte sein. Da geht es um die Herstellung der vollen Einsatzbereitschaft bestehender Fähigkeiten und Strukturen, die Schließung von Fähigkeitslücken und den Aufbau gänzlich neuer, moderner Fähigkeiten. Dass damit die Ausgaben für Verteidigung nach Nato-Kriterien für einige Jahre über zwei Prozent liegen werden und 20 Prozent in Investitionen fließen, ist ein wichtiger, bündnispolitisch relevanter Nebeneffekt. Zentral aber ist es, die Bundeswehr zu stärken. Und zwar quer durch die Last.

In der Entschließung betonen die Abgeordneten, dass der russische Einmarsch in die Ukraine und der aggressive Revisionismus der russischen Führung eine unmittelbare und wesentliche Bedrohung sowie eine neue strategische Realität bedeuten, an die sich die Nato unmittelbar und auf lange Sicht militärisch anpassen müsse, unter anderem mit signifikanten Kräften an der Ostflanke des Bündnisgebietes. Was bedeutet das genau? Und was für einen Beitrag muss Deutschland leisten?

Die Nato besitzt ungeheure Fähigkeiten in Form der vielen Streitkräfte seiner Mitgliedstaaten. Doch zugleich ist das Territorium der Nato riesig, selbst wenn man Kanada und die USA nicht mit einbezieht. Das bedeutet, die Fähigkeiten der Nato sind breit verteilt, bilden bisher jedoch keinen Schwerpunkt an der Ostflanke. Deswegen muss die Nato kurz- und mittelfristig mehr Verbände und Fähigkeiten an die Ostflanke bringen. Die können dort dauerhaft oder auch rotierend stationiert sein. Nur so wirkt die Abschreckung gegenüber Russland glaubhaft und nur so können unsere östlichen Bündnispartner glaubhaft erleben, dass wir als Bündnis jeden Meter Bündnisgebiet auch wirklich verteidigen wollen. Deutschland muss hier eine zentrale Rolle spielen und bedeutende eigene Kontingente beisteuern.

Muss sich die Nato stärker auf die Verteidigung des Bündnisgebietes konzentrieren?

Selbstverständlich! Das ist die große Herausforderung unserer Zeit. Wir werden bedroht. Völlig unverblümt. Auch wenn der Einsatz der russischen Streitkräfte eine Überraschung für im Grunde alle Experten ist, weil sie entsetzt sind über die Fehler und die schlechte Leistung, so müssen wir die Potenziale Russlands, auch Nato-Gebiet anzugreifen sehr, sehr ernst nehmen. Es verlangt eine große Kraftanstrengung aller Nato-Staaten, dem eine glaubhafte und einsatzbereite Verteidigung und Abschreckung gegenüber zu stellen.

(ll/12.04.2022)

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