Parlament

Robin Wagener: Russland muss wieder Interesse an Diplomatie entwickeln

Robin Wagener/Bündnis 90/Die Grünen, MdB am Rednerpult im Bundestag

Robin Wagener leitet die deutsche Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE PV). (thomas Imo/photothek)

„Ein Raum, die russischen Mythen nicht unwidersprochen stehen zu lassen“ und in dem sich Russland der Verantwortung für die Welt stellen muss, ist die OSZE für Robin Wagener (Bündnis 90/Die Grünen), Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE PV). Die Versammlung, deren Mitglieder sich vom 2. bis 6. Juli 2022 in Birmingham zu ihrer Jahrestagung trafen, stand ganz im Zeichen des russischen Angriffs auf die Ukraine. Die Organisation biete zudem „kleinere Räume für Austausch“, auch für einen Dialog mit Russland. Russland müsse aber wieder ein Interesse an Diplomatie und Gesprächen entwickeln. „Die Türen sind offen.“ Das Interview mit Robin Wagener im Wortlaut:

Herr Wagener, die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE, heute OSZE) wurde einst gegründet, um die Blockkonfrontation zwischen Ost und West zu überwinden. Gegen Putins Russland wird nach dessen Angriff auf die Ukraine vor allem Härte gefordert, für Verhandlungen scheint es überhaupt keinen Raum zu geben. Unter welchen Voraussetzungen könnte die Organisation an ihre vermittelnde Rolle anknüpfen?

Die OSZE kann eine wichtige Plattform sein. Auch Russland und Belarus sind dort vertreten. Vielleicht findet in den großen Formaten wie einer parlamentarischen Versammlung keine Überzeugungsarbeit statt, aber es ist ein Raum, die russischen Mythen nicht unwidersprochen stehen zu lassen und sie dem deutlichen Widerspruch auszusetzen. Und die OSZE bietet auch die kleineren Räume für Austausch. Dafür ist es aber erforderlich, dass auch Russland wieder ein Interesse an Diplomatie und Gesprächen entwickelt. Die Türen sind offen. Diplomatie heißt aber nicht freundlich lächeln und Verbrechen verschweigen. Es sind unangenehme Gespräche.

Im Gegensatz zu anderen Organisationen sehen die Statuten der OSZE nicht die Möglichkeit vor, einem Land die Mitgliedschaft zu entziehen. Zur Jahrestagung der OSZE PV konnte die russische Delegation jedoch nicht nach Großbritannien einreisen, weil ihnen von der Regierung in London die nötigen Visa verweigert wurden. Ist die Abwesenheit der russischen Delegation eine verpasste Chance, die russische Seite von einer Beendigung des Krieges zu überzeugen?

Ich halte es auch nicht für erstrebenswert, Russland die Mitgliedschaft zu entziehen. Wir brauchen internationale Formate in denen auch der Dialog mit Russland stattfindet und in denen Russland sich der Verantwortung für die Welt stellen muss. Und gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass die Handlungsfähigkeit nicht mutwillig blockiert und behindert wird, wie Russland es beispielsweise auch in der OSZE versucht. Darum halte ich den Vorstoß aus den Reihen der parlamentarischen Versammlung für sinnvoll, bei Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft das Stimmrecht zu entziehen, wenn sich ein Staat massiv über die europäische Friedensordnung hinweg setzt. Diese ist die gemeinsame Basis der Arbeit in der OSZE. Die parlamentarische Versammlung hat die russische und die belarussische Delegation eingeladen. Es ist aber die souveräne Entscheidung der Staaten, ob sie die Einreise erlauben. Die Parlamentarier sind aus guten Gründen mit Sanktionen versehen, weil sie Teil des verbrecherischen Systems sind und dieses tragen. Ich will darum nicht über die Entscheidung der britischen Regierung urteilen und gebe mich nicht der Illusion hin, dass wir sie in Birmingham vom Frieden überzeugt hätten. Wir müssen aber dafür sorgen im Kontext der OSZE auch in Zukunft die Formate für den Dialog zu haben.

Die Versammlung hat bei der Frühjahrstagung auch den von Laurynas Kasčiūnas vorgelegten Bericht über die „Verteidigung der Prinzipien und Verpflichtungen der OSZE inmitten beispielloser militärischer Feindseligkeiten in der OSZE-Region“ als Resolution angenommen. Was für Vorschläge macht der litauische Berichterstatter zur Überwindung der Konfrontation?

In dem Bericht wird deutlich, wie sehr die Ukraine nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Werte der OSZE kämpft. Und er weitet den Blick und betont auch Russlands Aktivitäten und Bedrohungen in Moldau und Georgien, die weiterhin schlimme Lage in Afghanistan und den Konflikt im Südkaukasus. Mit diesem angenommenen Bericht haben wir deutlich gemacht, wie wichtig die Einhaltung des Völkerrechts ist und unterstützen die Strafverfolgung für Kriegsverbrechen. Eine neue Beobachtermission durch die OSZE wäre hilfreich. In Russland und Belarus gibt es Demokratiebewegungen, die massiv unterdrückt werden. Die parlamentarische Versammlung hat ihnen die Solidarität erklärt. Neben dem Schutz und der Stärkung der Zivilbevölkerung – und insbesondere von Frauen, Jugendlichen und Kindern als besonders gefährdete Gruppen in den Konflikten – betont der Bericht auch die Notwendigkeit von Resilienz gegen Cyberangriffe, die eine erhebliche Gefahr darstellen.

Hat die Staatengemeinschaft, und auch die OSZE, den russischen Präsidenten zu lange gewähren lassen? 2014 hat er bereits die Halbinsel Krim annektiert…

Ja, aber das ist gar kein spezifisches OSZE-Problem. Und nicht nur die Staatengemeinschaft, sondern auch wir in Deutschland, gerade wir. Wir sehen ja jetzt, wie stark und wie problematisch und gefährlich die Abhängigkeiten sind und welche Fehler wir in der deutschen Russlandpolitik in den letzten Jahren gemacht haben. Das müssen wir dringend sehr ehrlich aufarbeiten. Und auch die internationale Staatengemeinschaft hätte viel früher und deutlicher das Stoppzeichen senden müssen. Die russische Aggression ging ja auch nicht erst 2014 los. Georgien war noch deutlich früher.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse der Tagung in Bezug auf den Russland-Ukraine-Konflikt?

Erstmal ist es kein Russland-Ukraine-Konflikt, denn das würde klingen, als hätte die Ukraine das, was geschieht, mit zu verantworten. Es ist ein völkerrechtswidriger Angriffs- und Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine. In vielen Debatten und Beschlüssen wurde deutlich, dass die Mitglieder der Versammlung in Solidarität mit den Angegriffenen sind. Wir betrachten den russischen Angriff als nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen die Werte der OSZE, gegen Demokratie und Freiheit insgesamt gerichtet. Deswegen fordern wir den vollständigen Rückzug der russischen Truppen, Strafverfolgung für die begangenen Kriegsverbrechen, eine neue OSZE Mission, und den dringend notwendigen Schutz für die Zivilbevölkerung.

Wie ist es um den Schutz der ukrainischen Parlamentarier bestellt? Kann die OSZE hier irgendeine Hilfe bieten?

Es ist beeindruckend wie die Ukraine die Demokratie im Krieg hoch hält. Während Russland und Belarus ihre Diktaturen immer weiter ausbauen, hat die Ukraine von Anfang an Wert darauf gelegt, dass das Parlament weiter arbeitet und auch international agiert. Auch in Birmingham waren die ukrainischen Abgeordneten mit viel Engagement dabei, genau wie wir regelmäßig ukrainische Delegationen im Bundestag empfangen. Ich bin nicht nur Leiter der Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, sondern auch Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe im Bundestag und im regelmäßigen Austausch auch zur Frage, wie wir die Arbeit des ukrainischen Parlaments unterstützen können. 

Demokratie und Menschenrechte sind allerorten im OSZE-Raum unter Druck, heißt es in dem ebenfalls angenommenen Bericht über „Menschliche Sicherheit für alle als Grundlage für europäische Sicherheit“. Es gehe darum, Sicherheit auf ihrer grundlegendsten Ebene, nämlich der vollen Achtung der Menschenrechte und demokratischen Grundsätze, zu stärken. Wo sehen Sie, abgesehen von den aktuellen russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine, den dringendsten Handlungsbedarf?

Wir sind im Moment in einer Phase eines immer deutlicheren Konflikts zwischen Autokratien und Demokratien. Dieser findet auf der internationalen Ebene statt, aber auch in den Staaten selbst. Gerade am Beispiel des russischen Vorgehens kann man auch deutlich sehen, wie versucht wird durch gezielte Desinformation demokratische Systeme zu destabilisieren. Eine Aufgabe der OSZE ist die Stärkung der Demokratie in den Staaten. Dazu gehören die Wahlbeobachtungsmissionen, aber auch Menschenrechtsarbeit, Gleichstellung und weiteres. Zu gefestigten Demokratien gehören notwendigerweise auch freie Medien und eine unabhängige Justiz. Sogar in der Europäischen Union sehen wir, dass dies nicht selbstverständlich ist, sondern immer wieder Engagement dafür nötig ist. Diese wichtige Arbeit der OSZE verbessert das Leben von vielen Millionen Menschen und stärkt unsere demokratischen Systeme gegen Destabilisierung. Keine Freiheit ohne Menschenrechte, unabhängige Justiz, freie Medien, Gleichstellung.

Gab es Streit um die Annahme dieses Resolutionstextes und wie geht die Versammlung damit um, wenn Mitglieder Menschenrechte und Demokratie missachten?

Wir haben in den Ausschüssen eine kontinuierliche Arbeit an diesen Themen. Das findet ja nicht erst bei der jährlichen Versammlung im Plenum statt. Und die ständige Arbeit der OSZE besteht ja auch in der Präsenz vor Ort, dem Austausch mit und zwischen den Staaten nicht nur in der parlamentarischen Versammlung, sondern natürlich ganz wesentlichen im Ständigen Rat, den Ministerräten. Auch die Generalsekretärin ist sehr aktiv, genau wie ODIHR, das Büro für Menschenrechte und demokratische Institutionen. Diese tägliche Arbeit findet oft unterhalb des Radars statt, aber ist sehr wichtig.

Thema der Tagung waren auch die Kriegsverbrechen im ukrainischen Butscha. Was will die OSZE tun?

Es bleibt ja nicht bei Butscha. Russland begeht weiter Kriegsverbrechen. Deswegen wäre eine neue, robuste, OSZE Mission wichtig. Gleichzeitig ist es notwendig, die Ukraine beim Sammeln der Beweise für die begangenen Verbrechen zu unterstützen. In den Beschlüssen wird die internationale Staatengemeinschaft hierzu sehr deutlich aufgefordert.

Was haben Sie sich für Ihre Arbeit als neuer Delegationsleiter der deutschen Abgeordneten zur Parlamentarischen Versammlung der OSZE für die laufende Wahlperiode vorgenommen?

In den Veränderungen der internationalen Ordnung durch den russischen Angriffskrieg ist mir wichtig, die multilateralen Formate zu erhalten und sie trotz Zeitenwende nutzbar zu machen für den Frieden und das Zusammenleben. Das gilt für den Europarat – bei dem ich den Ausschluss Russlands wegen der eklatanten Missachtung der Werte und des Menschenrechtsgerichtshofs für sehr richtig halte – und für die OSZE. Diese Rolle möchte ich mitgestalten. Dazu kann auch deutsches Engagement für kleinere und direktere Austauschformate gehören, genauso wie Initiativen im Plenum. Und natürlich immer wieder auch in Deutschland auf die Rolle der OSZE hinzuweisen und mich für die nötigen Mittel im Haushalt einzusetzen. (ll/14.07.2022)

Marginalspalte