Parlament

Marcus Faber für Unter­stützung der Ukraine mit schweren Waffen

Marcus Faber (FDP) steht hinter dem Rednerpult im Plenarsaal des Bundestages und spricht.

Dr. Marcus Faber (FDP), Leiter der deutschen Delegation zur Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (IPC GASP/GSVP) (© picture alliance/dpa | Britta Pedersen)

„Einer Kapitulation vor dem diktatorischen Russland Putins“ komme es gleich, würde man der Ukraine „schwere Waffen“ verweigern, sagt Dr. Marcus Faber (FDP), Leiter der deutschen Delegation zur Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (IPC GASP/GSVP), anlässlich der Herbsttagung der IPC GASP/GSVP am 4. und 5. September 2022 in Prag. Die Parlamentarier hätten unterstrichen, dass die Ukraine weiter unterstützt werden müsse. Im Interview spricht der FDP-Verteidigungspolitiker über die gestiegene Integrationsbereitschaft der Europäer im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sowie darüber, was die Verteidigungsfähigkeit der EU noch behindert, und mahnt eine verstärkte Kooperation und eine verlässliche europäische Perspektive für die östlichen Nachbarn der EU an. Das Interview im Wortlaut:

Herr Dr. Faber, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, begonnen am 24. Februar 2022, dauert nun schon über ein halbes Jahr. Der Waffengang unterstreicht auf drastische Weise die Bedeutung des Politikbereichs der Sicherheit und Verteidigung. Wie haben Sie als Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker aus allen EU-Ländern bei der Herbsttagung in Prag das russische Vorgehen diskutiert?

Wir haben den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auf das Schärfste verurteilt und intensiv diskutiert, welche Unterstützungsleistungen wir der Ukraine bei der Verteidigung ihres Landes zukommen lassen können. Wir als europäische Fachpolitiker waren uns einig: Die Ukraine verteidigt nicht nur ihr eigenes Territorium, sondern auch unsere europäischen Werte. Hierfür benötigt sie die bestmögliche Ausrüstung, die wir ihr aus unseren Beständen liefern können. Eine Verweigerung schwerer Waffen käme einer Kapitulation vor dem diktatorischen Russland Putins gleich.

Gibt der Angriff auf die Ukraine dem Handlungsfeld der GASP/GSVP neuen Schub? Zeichnet sich bei den Mitgliedstaaten möglicherweise eine größere Bereitschaft ab, zum Verfahren der Mehrheitsentscheidung zu kommen?

Das Einstimmigkeitsprinzip hat sich bei vielen Entscheidungen als äußerst hinderlich erwiesen und hat die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union in diesen Politikbereich massiv beeinträchtigt. Der politische Wille, im Bereich der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik mehr gemeinsam zu machen und hierfür auch die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, ist durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine definitiv gewachsen. Die strategische Souveränität der EU muss zu einem ganzheitlichen Ansatz für die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik werden.

Sie sind Mitglied im Verteidigungsausschuss. Werden nationale Sicherheitspolitik und gemeinsames europäisches Engagement in diesem Bereich ausreichend zusammengedacht und -gemacht? Die Waffenlieferungen an die Ukraine geben ja eher ein fragmentiertes Bild ab, jedes Land schaut, was es nicht mehr braucht …

Ich sehe Verbesserungen in diesem Bereich, bin aber der Meinung, dass es Optimierungspotenzial und Nachbesserungsbedarf gibt. Dass jedes Land jenes Material abgibt, das es aus seinen Beständen entbehren kann, halte ich für sinnvoll. Der Ringtausch war hier ein erster richtiger Schritt, um mit europäischen Partnern die Waffenlieferungen an die Ukraine zu koordinieren. Da sich dieses Verfahren letztlich als zu langwierig erwiesen hat, war der Übergang zur direkten Lieferung schwerer Waffen schlussendlich die bessere Alternative.

Jahrelang haben die Mitgliedstaaten für den Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik an einem neuen sicherheitspolitischen Rahmenwerk gearbeitet und sich schließlich Anfang dieses Jahres auf einen neuen „Strategischen Kompass“ geeinigt. Ist der nach dem russischen Angriffskrieg noch up to date oder muss das Ding in den Reißwolf? Wo muss nachgebessert werden?

Der „Strategische Kompass“ ist eine wichtige Maßnahme gewesen angesichts der mangelnden europäischen Handlungsfähigkeit im militärischen Bereich, die auf die fehlende strategische Ausrichtung, Prioritätensetzung und entsprechenden Fähigkeitsaufbau zurückzuführen ist. Der Krieg in der Ukraine, der sich auch auf die Bedrohungslage der osteuropäischen Staaten auswirkt, macht aber eine Anpassung des Kompasses erforderlich. Die EU muss zukünftig stärker gemeinsam und geschlossen mit der Nato agieren; auch die Landes- und Bündnisverteidigung muss wieder stärker in den Fokus.

Haben Sie den Eindruck, dass mit dem 100-Milliarden-Ertüchtigungspaket für die Bundeswehr die Verteidigungsfähigkeiten auch für das deutsche Territorium verbessert werden können?

Das Sondervermögen und die damit verbundenen massiven Investitionen in die Ausrüstung unserer Bundeswehr wird die materielle Einsatzbereitschaft unserer Streitkräfte stark verbessern. Jeder Soldat und jede Soldatin bekommt nun die volle persönliche Schutzausrüstung. Unsere Streitkräfte werden so ausgestattet, dass sie ihren Kernauftrag in vollem Umfang erfüllen können: Unsere Bündnispartner und unser eigenes Land zu verteidigen.

Was sagen die EU-Partner zum Sondervermögen der Bundeswehr? Und wird bei den anstehenden Investitionen genügend auf die innereuropäische Abstimmung und auf „Interoperabilität“ von Strukturen und Waffensystemen geachtet?

Unsere EU-Partner sind sehr beeindruckt von den finanziellen Kraftanstrengungen, die wir zwecks Einsatzbereitschaft der Bundeswehr unternehmen. Interoperabilität von Strukturen und bei Beschaffungsprojekten ist natürlich – insbesondere wenn wir die europäische Kooperation im Bereich Verteidigung stärken wollen – ein wichtiges Anliegen. Mit unseren niederländischen und belgischen Nachbarn, mit denen wir eng zusammenarbeiten, funktioniert das beispielsweise schon sehr gut.

Was für Fähigkeiten fehlen der EU aus heutiger Sicht zu ihrer Verteidigungsfähigkeit?

Eines der Probleme, die die Verteidigungsfähigkeit der EU behindern, sind die Investitionslücken im Verteidigungsbereich, aber auch nationale Alleingänge bei der Beschaffung militärischer Ausrüstung und die mangelnde strategische Verteidigungsplanung zur Festlegung klarer Prioritäten. Auch die industrielle und technologische Basis Europas muss dringend gestärkt werden.

Sollte sich die EU zu einem einzigen großen Partner in einer globalen Nato entwickeln?

Langfristig verfolgen wir das Ziel, gemeinsame europäische Streitkräftestrukturen aufzubauen, in die sich die EU-Mitgliedstaaten integrieren würden. Mit einer europäischen Armee würde sich die EU zu einem einzigen großen Block innerhalb der Nato entwickeln. Das wäre also eine wünschenswerte Entwicklung, die aber langfristig ausgelegt ist.

Wie gehen die Parlamentarier der anderen Mitglieder mit dem Anliegen der tschechischen Präsidentschaft und weiterer östlicher EU-Mitglieder um, den Beitrittsprozess der Westbalkanländer zu beschleunigen?

Die europäische Perspektive für die Länder des Westbalkans ist ein wichtiges Anliegen, das wir vorantreiben sollten. Allerdings haben einige dieser Länder massive Rückschritte in vielen wichtigen Reformbereichen gemacht. Die Länder des Westbalkan, hier sind sich die Parlamentarier einig, brauchen dennoch eine verlässliche europäische Perspektive; die Region steht unter verstärkter Einflussnahme von Akteuren wie Russland, China, der Türkei, Saudi-Arabien und Katar. Deshalb ist die Stärkung der europäischen Werte in der Region durch einen glaubwürdigen und berechenbaren Beitrittsprozess dringend angeraten. Feste Zeitpläne und Automatismen darf es jedoch nicht geben.

Sollte es ein strategisches Ziel der EU sein, dass diese sich um die südosteuropäischen Länder, aber auch um die Ukraine, Moldau, Georgien erweitert?

Die Kooperation mit den östlichen Nachbarn der EU muss dringend verstärkt werden. Der Balkan, aber auch die Ukraine, Moldau und Georgien gehören zu Europa. Die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien haben bereits im Rahmen der EU-Nachbarschaftspolitik Assoziierungsabkommen angenommen. Einige der Länder des Westbalkans sind bereits Beitrittskandidaten und führen Verhandlungen mit der EU. Diese vertiefte Zusammenarbeit muss weiter ausgebaut werden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass eine Vollmitgliedschaft der Ukraine, Moldaus und Georgiens noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Es ist deshalb richtig und wichtig, wenn die EU die betroffenen Länder bereits heute bei Reformen im Justizsystem, bei der Rechtsstaatlichkeit oder der Korruptionsbekämpfung unterstützt.

(ll/09.09.2022)