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Robin Wagener: Russland will die Friedensordnung in eine Konfliktordnung überführen

Porträtfoto von Robin Wagener (Bündnis 90/Die Grünen)

Robin Wagener (Bündnis 90/Die Grünen) ist Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE PV). (Lena Gerke)

Russland will unsere Friedensordnung in eine Konfliktordnung überführen, sagt Robin Wagener (Bündnis 90/Die Grünen), Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE PV). Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sei das alles dominierende Thema auf der Herbsttagung in Warschau vom 24. bis 26. November 2022 gewesen. Zentrales Ergebnis dort sei die große Entschlossenheit und Entschiedenheit gewesen, mit der die Parlamentarier den russischen Krieg gegen die Ukraine verurteilt hätten.

Im Interview spricht Wagener über die Folgen der russischen Invasion, die Voraussetzungen für einen Dialog mit den russischen Abgeordneten sowie den Beitrag der OSZE zur Dokumentation als Voraussetzung für die juristische Aufarbeitung der Kriegsverbrechen. Das Interview im Wortlaut:

Herr Wagener, der russische Angriff auf die Ukraine hat bei der Herbsttagung der OSZE PV alle anderen Themen und Aktivitäten in den Hintergrund gedrängt. Am 24. November war es genau 9 Monate her, dass Russland in sein Nachbarland einmarschiert ist. Was bedeutet Russlands Verletzung von Grundprinzipien der Charta von Paris und die Spaltung der Organisation und Nicht-Teilnahme der russischen Delegation für die Organisation, deren Ziele doch Versöhnung und Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen sind?

Sie sagen es. Ziel der OSZE ist Sicherheit und Zusammenarbeit – die Institution trägt diese Ziele sogar im Namen. Russlands Vollinvasion in die Ukraine ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechts und der europäischen Friedensordnung, wie sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt wurde. Die OSZE ist eine zentrale Institution dieser Friedensordnung und Putin hinterfragt auch sie und unsere gemeinsam vereinbarten Regeln. Russland ist als Rechtsnachfolger der Sowjetunion auch Signatarstaat der Schlussakte von Helsinki. Die Achtung der souveränen Gleichheit sowie der ihrer Souveränität innewohnenden Rechte von Staaten, der Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt, die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität, die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. All das sind Grundprinzipien die durch den Kreml massiv verletzt werden. Russland will unsere Friedensordnung in eine Konfliktordnung überführen. Eine Ordnung, in der unser Zusammenleben auf diesem Kontinent nicht mehr durch Kooperation organisiert wird, sondern durch Konfrontation.

Was hat das für Auswirkungen auf die Arbeitsweise der Versammlung und die Tagung gehabt?

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine war das alles dominierende Thema auf der Herbsttagung in Warschau. Zentrale Fragestellung unserer Sitzung waren unser geschlossener Umgang mit den Folgen des Krieges und wie man ihn schnellstmöglich beenden kann. Welche Mittel und Wege es gibt, die OSZE-Verpflichtungen einzuhalten, die Grundfreiheiten und Menschenrechte zu wahren und die wirtschaftliche und ökologische Sicherheit zu schützen. Putins Kriegs gegen die Ukraine hat zu zahlreichen Krisen geführt, nicht zuletzt zu den Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit. Weltweit sind die Auswirkungen auf die Inflation und den Energiesektor gravierend. Dies alles sind Themen, derer wir uns auch im Rahmen der OSZE widmen.

Polen als Gastgeber der Konferenz hat den Mitgliedern der russischen und der belarussischen Delegationen keine Visa zur Einreise gewährt. Gilt für die Parlamentarier dieser Länder dasselbe wie für den russischen Präsidenten Putin, dass ein Dialog sinnlos ist?

Dialog ist nie sinnlos. Sinnvoller Dialog geht aber von respektvollem Umgang aus. Nur das erreicht auch einen Austausch von Standpunkten und Perspektiven. Diesen respektvollen Umgang kann ich aktuell nicht von einem Parlament erwarten, das beschlossen hat, sein Nachbarland zu überfallen und zu unterwerfen. Die russischen Parlamentarier sind ebenso verantwortlich für diesen Krieg wie ihr Präsident. Vielleicht sehen vereinzelte Abgeordnete den Krieg und seine katastrophalen Folgen etwas klarer, aber eine Opposition zum Krieg gibt es nur außerhalb des russischen Parlaments. Die Duma hat für den Krieg votiert und sie hat ebenso für die illegale Annexion der teilweise besetzen Gebiete gestimmt. Nicht ohne Grund hat die EU daher auch Sanktionen gegen die Mitglieder der Duma erlassen.

Die Präsidentschaft legt nun, um die russische Blockade zu umgehen, parallel zum regulären Budget, Programme auf, die ohne Zustimmung Russlands funktionieren. Die Mitgliedstaaten stellen dafür extra Gelder bereit. Wie lange kann die Organisation mit einem solchen Übergangskonstrukt leben?

Ich bin den Verantwortlichen bei der OSZE sehr dankbar, dass die Arbeit der OSZE und ihrer Institutionen fortgeführt werden kann. Hier ist es auch dem Engagement von Generalsekretärin Helga Schmidt zu verdanken, dass die Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung gerecht werden. Wir müssen aber auch sehen, dass Russland das Konsensprinzip dazu missbraucht, die Funktionen und Institutionen über den Haushalt zu schwächen. Deshalb müssen wir nun nach neuen Wegen suchen, die OSZE und ihre Organe zu schützen und dabei die Integrität der Organisation zu wahren. 

In drei Teilsitzungen, entsprechend der drei Dimensionen der OSZE Politik, Wirtschaft und Menschenrechte haben die OSZE-Parlamentarier über die Auswirkungen des Krieges gesprochen. Was ist Ihre Konklusion dieser Aussprache?

Die Parlamentarier haben mit großer Entschlossenheit und Entschiedenheit den abscheulichen russischen Krieg gegen die Ukraine und die zunehmenden Gräueltaten gegen die Bevölkerung und die gezielten Angriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine verurteilt. Diese Geschlossenheit war unübersehbar. Russland hat sich zunehmend isoliert und das ist auch für mich ein zentrales Ergebnis unserer Parlamentarierversammlung. Daran sollten wir mit aller Kraft und auf verschiedensten Ebenen weiterarbeiten. Dieser fatale Weg sollte nicht beispielgebend sein.

Was will die OSZE angesichts des Krieges zum Schutz der Menschenrechte in den betroffenen Gebieten tun?

Der Schutz von Menschenrechten ist dann am besten gewährleistet, wenn Russland seine Truppen vollständig aus den Gebieten der Ukraine abzieht. Russland verletzt fundamental die Grundprinzipien der Schlussakte von Helsinki. Russland ist für die Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlich. Die immer neuen Berichte über Folter und gezielte Vergewaltigungen in den russisch besetzten Gebieten unterstreichen, wie wichtig die Unterstützung der Ukraine zur Befreiung ihres Landes ist. Dafür trägt nicht nur die OSZE eine Verantwortung, sondern wir alle als Partner der Ukraine. Die OSZE ist kein Club von Gleichgesinnten, sondern ein Institution, die mittels verschiedenster diplomatischer Instrumente Kriege und Konflikte verhüten und beenden soll. Angesichts der eklatanten russischen Kriegsverbrechen gegen die Ukraine sollten wir die OSZE als verbliebene Plattform nutzen, um die russische Delegation zu konfrontieren und ihnen die Stärke der Prinzipien der Schlussakte von Helsinki vorzuführen und die OSZE-Verpflichtungen einzufordern – auch das schützt die Menschenrechte.

Werden ausreichende Anstrengungen unternommen, um die Kriegsverbrechen zu ahnden?

Nach der russischen Vollinvasion hat die OSZE ihre Sonder-Beobachtungsmission (SMM) aus dem Donbas abgezogen. Das Risiko wurde für die Beobachterinnen und Beobachter zu groß. Trotzdem wird die Situation in der Ukraine weiter verfolgt. In einem Bericht der OSZE wurden die Verbrechen durch russische Streitkräfte in der Ukraine genau dokumentiert, die auch Tatbestand von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllen. Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung, Entführung oder massive Deportation von Zivilisten werden in dem Bericht als systematische Angriffe gegen die Zivilbevölkerung gewertet und verurteilt. Die OSZE trägt damit neben vielen anderen Organisationen dazu bei, die russischen Kriegsverbrechen zu dokumentieren. Nur durch diese Beweisaufnahme kann es zu juristischen Verfahren kommen, an deren Ende eine klare Verurteilung der Gewalt und der Täter steht.

Was wären die Bedingungen, um wieder in einen Dialog mit Russland und der russischen Delegation zu kommen?

Es ist nicht so, als würde kein Dialog stattfinden. Mit diesem Mythos sollten wir aufräumen. Es gibt den Austausch mit dem russischen Präsidenten, zuletzt auch durch den deutschen Bundeskanzler. Auch im Rahmen der OSZE gibt es Formate, an denen die Russen ihre Position darstellen können. Auf dem Ministerkomitee war der russische Botschafter bei der OSZE anwesend. Ich gehe davon aus, dass die russische Delegation auf der Wintertagung in Wien anwesend sein wird. Dort werden wir den Duma-Abgeordneten dann in geeigneter Form darstellen müssen, dass sie für den Krieg und die Menschenrechtsverbrechen verantwortlich sind. Dort werden wie sie auch mit der Situation in Russland konfrontieren müssen, wo knapp 19.500 Menschen willkürlich in politischer Haft sitzen. Dies werden sicher keine ganz einfachen Gespräche werden, aber wir sollten die russischen Abgeordneten aus ihrer Informationsblase, ihrer Scheinwelt, ihrer Komfortzone holen und mit den Verbrechen konfrontieren, für die sie und ihre Soldaten verantwortlich sind.

(ll/07.12.2022)

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