Parlament

Wagener: Frieden nur durch Unterstützung der Ukraine und Druck auf Russland

Robin Wagener spricht am Rednerpult im Plenarsaal.

Robin Wagener (Bündnis 90/Die Grünen), Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE PV) (DBT/Thomas Imo/photothek)

Ein nachhaltiger Frieden in Osteuropa gelingt nur mit einer Mischung aus sehr starker Unterstützung der Ukraine und Druck auf Russland, sagt Robin Wagener (Bündnis 90/Die Grünen), Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE PV), nach der OSZE-Wintertagung, die vom 22. bis 24. Februar 2023 in Wien stattfand. Die Versammlung habe den russischen Angriffskrieg und russische Verbrechen klar verurteilt, die internationale Isolation des Kremls und seiner Propaganda eindrucksvoll unterstrichen und ihre ungebrochene Solidarität mit der Ukraine bekundet. Dennoch sei es „wichtig, internationale Formate zu haben, an denen auch Russland teilnehmen kann. Sollte sich die Politik des Kremls ändern, kann die OSZE wieder zu einem Schlüsselinstrument der Vermittlungen werden.“ Im Interview spricht der grüne Außenpolitiker über die russische Delegation in Wien, Sanktionen gegen Moskau, erfolgreiche Diplomatie auch während des Krieges sowie die Abschreckende Wirkung eines Kriegsverbrechertribunals. Das Interview im Wortlaut:

Herr Wagener, seit dem russischen Angriff auf die Ukraine meiden die Delegationen der Ukraine oder auch Litauens den Tagungsort, weil dort nach wie vor eine russische Delegation dabei ist. Ist die OSZE als Forum des Dialogs und der Konfliktbeilegung in der Krise? Oder liegt gerade in der Teilnahme der russischen Delegation und der weiteren Mitgliedschaft Russlands in der Organisation eine, wenn auch nur winzige, Chance?

Zunächst einmal habe ich großes Verständnis für die ukrainische Position, die russischen Delegierten tragen als Abgeordnete Verantwortung für den Angriffskrieg und russische Verbrechen in der Ukraine und sind auch zum Teil mit menschenverachtenden Äußerungen öffentlich in Erscheinung getreten. Und auch wir anderen Delegationen erleben, dass ein Dialog mit den Vertretern der Regime in Russland und in Belarus derzeit nicht möglich ist, da diese außer Lügen und Propaganda nichts anzubieten haben. Auch in der parlamentarischen Versammlung wird deutlich, dass das russische Regime kein Interesse an Diplomatie für den Frieden hat. Und auch in der OSZE selbst kann man an den russischen Blockaden die Verachtung für regelbasierte Kooperation sehen. Die OSZE ist aber im letzten kalten Krieg bewusst über Systemgrenzen hinweg gegründet worden. Und auch in der aktuellen Lage ist es wichtig, internationale Formate zu haben, an denen auch Russland teilnehmen kann. Für bestimmte Fragen braucht es gemeinsame Foren. Sollte sich die Politik des Kremls ändern, kann die OSZE wieder zu einem Schlüsselinstrument der Vermittlungen werden. Und dafür werden wir hoffentlich in Zukunft dieses Forum wieder nutzen können. Aktuell sind wir aber leider weit davon entfernt. In der derzeitigen Situation war es immerhin ein Ort, an dem die russischen Delegierten sich die deutliche Verurteilung der russischen Verbrechen durch die internationale Gemeinschaft anhören mussten. Russland hat sich selbst durch seinen Angriff auf die Ukraine und die internationale Friedensordnung isoliert.

Der Einmarsch russischer Streitkräfte in die Ukraine jährte sich am 24. Februar 2023. In allen drei Ausschüssen und der Debatte der Versammlung war der russische Überfall das Thema. Was für Vorschläge gibt es, um den Konflikt zu einem Ende zu bringen, ohne der Ukraine einen unfairen Deal aufzunötigen?

Vor dem 24. Februar des letzten Jahres haben viele, auch die deutsche Bundesregierung mit dem Bundeskanzler und der Außenministerin, sehr intensiv versucht, diplomatisch Russland von der Invasion abzuhalten. Es war ausschließlich die Entscheidung des Regimes im Kreml alle diese diplomatischen Versuche in den Wind zu schlagen. Und auch heute sieht man keine Bereitschaft des Regimes für ernsthafte Verhandlungen. Die intensive Unterstützung für die Ukraine stand ganz oben auf der Agenda von allen Ausschüssen und die parlamentarische Versammlung hat noch mal deutlich gemacht, dass die große Mehrheit der OSZE die Ukraine als Opfer in diesem Angriffskrieg unterstützt. Diese Verdeutlichung der Isolation Russlands in internationalen Foren, seien es die Vereinten Nationen oder die OSZE, ist ein wichtiges diplomatisches Mittel und passiert auch nicht von alleine. Vorschläge zur Lösung des Krieges kommen in aller ersten Linie von der Ukraine. Sie hat im UN-Rahmen einen Friedensplan vorgelegt, der auch im OSZE-Rahmen besprochen wurde. Im Kern geht es darum, dass die Ukraine – auch mit unserer Hilfe – die Bedingungen für einen nachhaltigen Frieden schaffen kann. Das gelingt nur mit einer Mischung aus sehr starker Unterstützung der Ukraine und Druck auf Russland. Das Putin-Regime muss verstehen, dass die Pläne, die Ukraine zu zerstören und zu unterwerfen, nie gelingen werden. Nur so können echte Friedensverhandlungen beginnen. Und nur wenn Russland militärisch keinen Erfolg hat, wird auch unsere gemeinsame Friedensordnung geschützt.

Sollten die Ukraine und ihre Verbündeten erst die territoriale Integrität des Landes wiederherstellen und muss die Diplomatie solange eine Pause einlegen? Welche Rolle sieht die Versammlung dabei für sich?

Russland führt seit nunmehr neun Jahren Krieg gegen die Ukraine. Vor dem 24. Februar 2022 hielt es knapp sieben Prozent besetzt. Heute sind es fast 20 Prozent. Wir Deutsche müssen verstehen, dass die illegal annektierten Gebiete von der Krim bis nach Donezk für die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der Ukraine wichtig sind. Die Menschen in den besetzten Gebieten warten auf die Befreiung. Russische Besatzung bedeutet für viele Tod, Leid, Folter, Hinrichtung, Vergewaltigung, Umerziehung oder Deportation. Dennoch schließen die Selbstverteidigung der Ukraine und Diplomatie einander nicht gänzlich aus. Diplomatie findet täglich statt: im Rahmen der OSZE, der UNO oder der G20. Im Kleinen gerade wenn es um Gefangenaustausche oder den Korridor für den Weizenexport geht, kann Diplomatie sogar im Krieg erfolgreich sein. Die OSZE-Versammlung kann an diplomatischen Beziehungen mitwirken. Derzeit besteht aber auf russischer Seite kein echtes Interesse an ehrlichen Gesprächen mit uns. Daher sind unsere Möglichkeiten als Parlamentarier, aber auch der Regierungen, begrenzt.

Reichen die bisherigen Sanktionen gegen Russland?

Es muss kontinuierlich geprüft werden, welche Schritte noch möglich und sinnvoll sind.  Neben neuen Sanktionen gegen das Unternehmen Rosatom oder den Uran-Export, den gerade wir Grünen stark befürworten, ist der Fokus auf die strikte Umsetzung der Sanktionen. Jetzt gilt es die Umsetzung der Exportverbote und Versuche, die Sanktionen über Drittländer zu umgehen, entschlossener umzusetzen. Der deutsche Bundeswirtschaftsminister hat dazu kürzlich einen Aktionsplan vorgelegt, den ich sehr begrüße.

Wo müsste ein Kriegsverbrechertribunal angesiedelt sein und wie müsste es funktionieren?

Idealerweise in Den Haag. Der dort ansässige Internationale Strafgerichtshof ermittelt bereits in verschiedenen Fällen von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und auch in der Frage des möglichen Völkermords. Dennoch müssen wir eingestehen, dass es eine Rechenschaftslücke gibt. Das Verbrechen des Angriffskrieges kann vom Internationalen Strafgerichtshof im Falle Russland gegen die Ukraine nicht verhandelt werden. Es bedarf eines internationalen Kriegsverbrechertribunals, das das Verbrechen Russlands, die Ukraine anzugreifen, verurteilt. Das soll auch eine abschreckende Wirkung für Autokraten in der Welt haben, die darüber nachdenken ihre Nachbarn zu überfallen.

Gemeinsam mit den Delegationsleitern der französischen, britischen und amerikanischen Delegation haben Sie die ukrainische Delegation außerhalb des Konferenzzentrums der Hofburg getroffen. Worüber haben Sie gesprochen?

Zusammen unter gleichgesinnten Freunden haben wir beraten, wie wir die Ukraine kurz- bis langfristig unterstützen können. Und in gemeinsamen und sehr konstruktiven Beratungen ging es um den Umgang mit der russischen Delegation und Möglichkeiten der Reaktion innerhalb der Parlamentarischen Versammlung auf eine so klare und krasse Verletzung des Geists von Helsinki und der europäischen Friedensordnung, also der Grundlage der Zusammenarbeit in der OSZE.

Was setzen die OSZE-Parlamentarier der russischen Propaganda entgegen?

Durch alle Debatten und eine überwältigende Zahl der Redebeiträge zog sich eine klare Verurteilung des russischen Angriffskrieges und der Verbrechen. Die Solidarität mit der Ukraine und die internationale Isolation des Regimes im Kreml und seiner Vertreter wurde sehr deutlich. Ähnlich wie im Europarat oder im UN-Menschenrechtsrat verließen Delegierte den Saal als die russische Delegation anfing ihre unerträglichen Hasstiraden zu verbreiten. Andere blieben im Saal und hielten zum Beispiel ukrainische Fahnen währenddessen hoch. Russland ist in diesem Krieg der Aggressor und darf die OSZE-Versammlung nicht für seine Propaganda nutzen.

In der OSZE-Welt gären noch weitere Konflikte, die in der Öffentlichkeit nun in den Hintergrund geraten sind - aber nicht bei den OSZE-Parlamentariern, oder?

Andere Konflikte im OSZE-Raum spielen bei den Diskussionen der OSZE-Parlamentarier immer eine Rolle. Von den russischen Versuchen Moldau, Georgien und andere OSZE-Mitglieder zu destabilisieren bis zum Konflikt um Berg-Karabach. Wegen der russischen Blockadehaltung zum Beispiel beim Haushalt der Organisation ist die OSZE stark herausgefordert. Dennoch spielen die Konfliktverhütung und Deeskalation, die jahrelange Erfahrung der OSZE-Feldmissionen und die wichtige Arbeit beispielsweise von ODIHR, dem Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, eine wichtige Rolle. 

(ll/14.03.2023)

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