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Faber: Russland hat die Ver­teidigung wieder zur realen Notwendigkeit gemacht

Dr. Marcus Faber, FDP

„Der Ukraine hilft alles und davon viel“, sagt Verteidigungspolitiker Marcus Faber im Interview. (© picture alliance / photothek | Thomas Imo)

Noch vor der barbarischen Attacke der Hamas auf Israel war die außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Herbsttagung der Europäischen Union – IPK GASP/GSVP, vom 1. bis 3. Oktober in Madrid – beendet. Diese stand ganz im Zeichen des andauernden Russland-Ukraine-Konflikts. Wie der Ukraine am besten geholfen werden kann, wie der Krieg in Osteuropa die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa beeinflusst und wie sich die Löcher bei den Sanktionen gegen Russland stopfen lassen, darüber spricht Dr. Marcus Faber, Leiter der deutschen Delegation zur Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (IPK GASP/GSVP), im Interview. Der russische Überfall „hat die Verteidigung wieder zu einer realen Notwendigkeit gemacht“, sagt Faber. Arbeiteten die EU-Länder zusammen, werde es für alle günstiger. Das Interview im Wortlaut:

Herr Faber, der Überfall Russlands auf die Ukraine war das alles überlagernde Thema auch beim diesjährigen außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Herbsttreffen der Parlamentarier der EU-Länder. Nach eineinhalb Jahren macht sich bei den Unterstützern Kriegsmüdigkeit breit, die ukrainische Gegenoffensive verläuft zäh. Wie lässt sich die Unterstützung aufrecht erhalten und was würde Kiew jetzt militärisch am besten helfen? 

Die Ukrainer sind nicht kriegsmüde, das könnten sie sich auch nicht leisten. Wir sollten nicht müde werden, sie zu unterstützen. Einfach gesagt hilft der Ukraine alles und davon viel. Ein paar Beispiele: Die langfristige Versorgung mit Munition, beim Gepard-Panzer oder der Artillerie läuft das auch schon. Der Ausbau von Fertigungs- und Wartungskapazitäten in der Ukraine. Mehr Flugabwehr ist wichtig, aber auch neue Fähigkeiten wie der Taurus [Anm. d. R.: Lenkflugkörper] werden benötigt. Und auch Ausbildung, Logistik, Sanitätsmaterial, Minenräumung und so weiter. Wie Sie sehen, es ist leider nicht mit der Lieferung von ein oder zwei sogenannten „Gamechangern“ getan. Die Summe aller Hilfen aller Staaten, Hilfsorganisationen und privater Initiativen und so weiter, das ist der echte „Gamechanger“.

Wie hat der Krieg gegen die Ukraine die sicherheitspolitische Agenda in Europa beeinflusst?

Sehr, er hat die Verteidigung wieder zu einer realen Notwendigkeit gemacht. Die Umsetzung der vom Bundeskanzler als Reaktion auf die russische Invasion der Ukraine ausgerufenen Zeitenwende steht aber erst am Anfang. Generalmajor Christian Trull sagte im Jahr 2005, als die Verkleinerung der Bundeswehr in vollem Gange war: „Diese Verbände kann man mit einem Federstrich auflösen, aber man wird zehn Jahre und mehr brauchen, um sie wieder aufzustellen.“ Diese Einsicht, dass ein Sondervermögen und eine Reform der Beschaffung nicht ausreichen, scheint vielerorts im politischen Betrieb überhaupt erst zu reifen. Der Ersatz alten Geräts und die Anschaffung von Ausrüstung für alle Soldaten sind noch keine Zeitenwende, sondern lediglich das Minimum.

Gewinnt die Europäische Union angesichts des aktuellen Konflikts in Osteuropa als sicherheitspolitischer Akteur an Profil? Sind Mehrwerte und Entlastungen erkennbar, wenn die Mitgliedstaaten sich stärker zusammentun? 

Ja, etwa durch Skaleneffekte bei gemeinsamer Forschung und Beschaffung. In der EU gibt es aktuell zu viele verschiedene Waffensysteme in meist sehr geringer Stückzahl, wie beispielsweise bei Kampfpanzern. Das macht Anschaffung, Unterhalt oder Ersatzteilversorgung unnötig teuer. Auch für die Ukraine wäre es besser, sie könnte mehrere hundert Kampfpanzer eines Typs erhalten, stattdessen sorgen viele „Kleinstflotten“, nicht nur bei Kampfpanzern, für einen hohen Extraaufwand beispielsweise bei Ausbildung und Wartung. 

Seit 30 Jahren versuchen EU-Mitgliedstaaten unter dem Label der „GASP“ zusammenzuarbeiten. Gibt es da etwas zu feiern? 

Ja, beispielsweise die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (Permanent Structured Cooperation, PESCO) oder den Europäischen Verteidigungsfonds (EVF). PESCO ist eine Plattform, auf der sich Länder – das ist übrigens nicht nur auf EU-Mitgliedstaaten begrenzt – zu Projekten im Verteidigungsbereich zusammentun können. Im Rahmen des Projekts „Military Mobility“ wird unter anderem der deutsche Güterzugverkehr „740m-fähig“ gemacht. Denn Deutschland ist für die Nato auch ein Transitland. Das heißt, im Krisen- oder Kriegsfall muss schnell viel Material verlegt werden, das geht am besten auf langen Güterzügen. 740m sind hier der Standard, aber noch nicht in Deutschland. Das Projekt kommt übrigens auch der zivilen Logistik zugute. 

Die EU-Sanktionen gegen Russland sind löchrig, es werden Umgehungsgeschäfte auch deutscher Unternehmen vermutet. Was schlagen die Parlamentarier den Regierungen vor, um dieses Problem anzugehen?

Hier brauchen wir Lösungen wie zum Beispiel eine Endverbleibserklärung für sogenannte „Dual-Use“-Güter, die sich auch in der Praxis kontrollieren lässt. Da seitens der deutschen Unternehmen nur in absoluten Ausnahmefällen Absicht vorliegt, sollten wir die Wirtschaft bei der Erarbeitung der Regelungen eng einbeziehen. 

Wie sehen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen Europas Rolle auf dem Nachbarkontinent Afrika, wo Frankreich zunehmend die sicherheitspolitischen Zügel entgleiten? 

Bei unserem zukünftigen Engagement in Afrika sollten Partnerschaften auf Augenhöhe im Vordergrund stehen. Wir müssen besser im Zuhören werden, denn die Menschen vor Ort wissen meist am besten, was sie benötigen. 

Gibt es einen europäischen Plan für die Sahel-Zone?

Ja, seit 2021 gibt es die „Integrierte Strategie der EU“ für die „G5 Sahel“ – seit Austritt von Mali 2022 technisch gesehen „G4 Sahel“. Der Wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments hat in einem Bericht kürzlich den Erfolg der Strategie durch die vielen Staatsstreiche in der Sahelzone und Umgebung, Gabun in Zentralafrika, natürlich in Frage gestellt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede zur Lage der Union eine neue Afrikastrategie angekündigt, ein Strategiekonzept soll bis zum nächsten EU-Afrika-Gipfel vorliegen. Der Diskussionsbedarf ist hier in Bezug auf die Strategie zur Sahelzone enorm. Zugleich gibt es Zeitdruck: Im Juni 2024 sind die EU-Wahlen, und: Staaten wie Russland oder China warten nicht auf eine neue Strategie aus Brüssel.

Wie wird die neue China-Strategie der Bundesregierung von den EU-Partnern aufgenommen? 

Gar nicht. Unsere Partner messen uns an Taten, nicht an Strategien. Natürlich wird es begrüßt, dass wir jetzt eine China-Strategie haben. Die Strategie zieht grundsätzlich die richtigen Schlüsse. Beim Thema Taiwan wird die Intensität der Bedrohung durch die Kommunistische Partei zwar nicht in ihrer Schärfe erfasst, im Gegenzug ist aber jeder in der Strategie erwähnte Ausbau unserer Beziehungen zu Taiwan ein Gewinn. Die China-Strategie wird natürlich nur ein Erfolg, wenn wir auch danach handeln und mit daran arbeiten, als EU mit einer starken Stimme gegenüber der Volksrepublik zu sprechen. 

Herr Faber, EU-Chefdiplomat Josep Borell war wieder nicht beim Treffen der Parlamentarier. Er hat auch keine Grußbotschaft geschickt, wie man hört. Eigentlich soll sich doch der hohe Vertreter dort den Fragen der Angeordneten stellen. Was entgegnen Sie seinem Schweigen und seiner Abwesenheit? 

Die Arbeitsverweigerung von Herrn Borrell ist bedauerlich, hat zur kommenden Europawahl aber auch ein Ende. (ll/13.10.2023)

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