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Klein: Wirtschaftlich verlieren alle, wenn wir nicht kooperieren

Portrait Volkmar Klein, CDU/CSU, Mitglied des Deutschen Bundestag

Volkmar Klein, Leiter der deutschen Delegation zur Interparlamentarischen Union (IPU). (© picture alliance / Geisler-Fotopress | Jean MW/Geisler-Fotopress)

Austausch und Zusammenarbeit mit allen Regionen der Welt sind unerlässlich, sagt Volkmar Klein (CDU/CSU), Leiter der deutschen Delegation zur Interparlamentarischen Union (IPU). In Anbetracht von Krieg, Terrorismus und der Pandemie, aber auch angesichts der globalen Vernetzung, gelte es die Perspektive anderer Länder stärker zu berücksichtigen, „um zu wirksamen und tragfähigen Lösungen zu kommen“, sagt Klein nach der IPU-Tagung, die vom 22. bis 27. Oktober in der angolanischen Hauptstadt Luanda stattgefunden hat. In Zukunft müsse man „gerade die afrikanischen Länder sehr viel mehr in die Gespräche einbeziehen“. Im Interview spricht Klein vom hohen Wert der IPU für die internationale Zusammenarbeit und als Netzwerk für Deutschland, und erklärt, was er sich als frisch gewählter Leiter der Delegation vorgenommen hat. Das Interview im Wortlaut:

Herr Klein, der russische Angriff auf die Ukraine, die Schläge der Terrororganisation Hamas gegen Israel, der Konflikt um Bergkarabach – mehrere brisante Krisenherde der Welt liegen rund um Europa. Wie blicken Ihre Kolleginnen und Kollegen aus anderen Erdteilen auf diese Konflikte? Welche sicherheitspolitischen Prioritäten haben die anderen?

Die Sichtweisen sind sehr unterschiedlich und das ist oft sehr ernüchternd. Ziemlich viele folgen dem russischen Narrativ, dass gestiegene Preise für Lebensmittel und Dünger an den westlichen Sanktionen und nicht an Wladimir Putins Krieg liegen. Dabei müsste doch jedem klar sein, dass der Krieg den Anbau von Getreide massiv reduziert und das reduzierte Angebot die Preise steigen lässt. Das russische Embargo der ukrainischen Häfen kommt dann noch dazu aber diese Realität wird von vielen verdrängt. Beim Hamas-Terror sind die Unterschiede noch größer und viele nicht bereit, diesen Terror auch als solchen zu benennen und zu verurteilen. 

Was bedeutet die Perspektive der anderen Weltregionen für Ihr politisches Handeln?

Die Globalisierung hat die Welt so klein und die Lieferketten so vernetzt werden lassen, dass wir bei der Bewältigung fast aller Herausforderungen die Perspektive jeder Weltregion einbeziehen müssen, wenn wir zu wirksamen und tragfähigen Lösungen kommen wollen. Das hat uns die Pandemie leidvoll vor Augen geführt – und dann kurz danach der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, dessen Auswirkungen zum Beispiel auf die Energie- und Nahrungsmittelpreise die ganze Welt betroffen haben und weiterhin betreffen. Mit allen Regionen im Austausch zu sein, ist daher unerlässlich. Abschottung kann für fast kein Problem eine Lösung sein. Und wirtschaftlich verlieren alle, wenn wir nicht kooperieren. Also müssen die Regionen miteinander reden. Dabei lernt man immer.

Rücken gleichgesinnte Länder angesichts der vielen Krisenherde zusammen?

Ich glaube, in jeder Krise rücken gleichgesinnte Länder zusammen. Das müssen aber nicht immer die gleichen Koalitionen sein. In der Finanzkrise waren fast alle gleichgesinnt, und haben mit koordinierter Geld- und Haushaltspolitik den Schaden eingedämmt. Damals war auch die G20-Gruppe erfolgreich, in der es bei den heutigen Krisen zur Frontstellung zwischen dem Westen und den Brics-Staaten kommt. Russlands Angriffskrieg hat dann seinerseits zu einer lange nicht erlebten Geschlossenheit Europas, der USA und der asiatisch-pazifischen Demokratien geführt. Die jüngsten schwierigen Debatten um UN-Resolutionen und auch EU-Erklärungen nach den fürchterlichen Anschlägen der Hamas auf Israel zeigen leider, dass selbst die Demokratien hier nicht ganz einig sind.

Was für bilaterale Gespräche hat die deutsche Delegation in diesem Sinne geführt? 

Mit zwei dieser gleichgesinnten Länder hatten wir offiziell verabredete bilaterale Gespräche: Bereits traditionell ist das mit Japan der Fall und diesmal auch mit Australien. Darüber hinaus ergeben sich aber am Rande der Konferenz unglaublich viele Gelegenheiten für individuelle bilaterale Gespräche. Ich denke, alle Delegationsmitglieder haben intensiv davon Gebrauch gemacht. Solche Kontakte machen deutlich, dass Gespräche mit den gleichgesinnten Ländern auch weiterhin ausgesprochen wichtig bleiben. Allerdings wird es in Zukunft sinnvoll sein, gerade die afrikanischen Länder sehr viel mehr in die Gespräche mit einzubeziehen. 

Was für einen Beitrag leistet die vor eineinhalb Jahren eingerichtete Task Force zur Konfliktbeilegung in der Ukraine?

Gerade weil es überhaupt keine Perspektive für Frieden gibt ist jedes Format wichtig, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Da hat die Task Force gute Arbeit geleistet, auch wenn sich das konkret bisher nicht ausgewirkt hat. 

Welche drängenden Themen hat sich die IPU jenseits der Krisenbewältigung noch vorgenommen?

Es wäre sehr wichtig gewesen, im Rahmen des jeweils kurzfristig aufgesetzten Emergency Items den Hamas-Terror zu verurteilen und für eine nachhaltige Friedenslösung einzutreten. Für die Aufsetzung eines entsprechenden Antrags hat sich allerdings keine Mehrheit gefunden. Allerdings konnte glücklicherweise auch die Aufsetzung eines Antrags verhindert werden, der den Hamas-Terror nicht mal als solchen benannt hat, aber Israel verurteilen wollte. Eine andere Resolution der IPU-Versammlung ruft zu einer engeren Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Kinderhandel auf. Insbesondere der Handel mit Waisenkindern ist leider weit verbreitet; und es geht auch um die Bekämpfung von Missbrauch und sexueller Ausbeutung von Kindern. Ich halte das für ein wichtiges Signal. 

Das Thema der Generaldebatte lautete: „Parlamentarisches Handeln für Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen (SDG 16)“. Was waren dabei für Sie die wichtigsten Punkte?

Die IPU-Versammlung hat sich in der sogenannten Luanda-Erklärung zur hohen Bedeutung von guter Regierungsführung für die wirksame Bekämpfung von Armut, Ungleichheit und Klimawandel bekannt. Die Resolution schließt auch klare Bekenntnisse zu Rechtsstaatlichkeit, der Bekämpfung von Korruption und von unabhängigen Menschenrechtsorganisationen ein. Genau das habe ich auch in meinem Redebeitrag in der Generaldebatte unterstrichen. Ohne verlässliche Rahmenbedingen wird nicht investiert, haben Menschen keine Perspektiven, entstehen keine Jobs. Investitionen sind aber bitter nötig, gerade auch um Umweltziele zu erreichen und fossile Energie zu ersetzen. Notwendige Investitionen in Solar, Wind oder Wasserstoff wird es nur dort geben, wo auch langfristig Vertrauen in die Gültigkeit von „Rule of Law“ besteht.

Die Versammlung hat eine neue Präsidentin gewählt. Welche Erwartungen haben Sie an sie? 

Die Parlamentspräsidentin von Tansania Dr. Tulia Ackson ist mit überzeugendem Ergebnis bereits im ersten Wahlgang gegen drei weitere afrikanische Kandidatinnen gewählt worden. Ich bin überzeugt, dass sie mit großer Souveränität die IPU führen wird. Dieser Auftrag und der damit verbundene enorme Vertrauensbeweis wird hoffentlich auch helfen, dass sie kraftvoll für Demokratie in ihrem eigenen Land eintreten wird. Dort hat kürzlich noch Oppositionsführer Freeman Mbowe, ein persönlicher Freund von mir, wegen fadenscheiniger Vorwürfe einige Monate im Gefängnis verbracht. Ich hoffe, die Wahl von Tulia Ackson bringt neue Perspektiven für die IPU und für Tansania. Dafür wünsche ich ihr alles Gute und Gottes Segen. 

Sie selbst wurden kurz vor der diesjährigen Herbsttagung der IPU zum neuen Leiter der deutschen Delegation gewählt, da Ihr Vorgänger, Ralph Brinkhaus, die Funktion abgegeben hat. Was haben Sie sich für Ihre Vorsitzzeit mit der deutschen Delegation in der IPU vorgenommen?

Zwei Punkte sind mir wichtig: Als deutsche Delegation sollten wir die IPU ganz intensiv nutzen, um unser Netzwerk zu pflegen und weiter auszubauen. Das dient unserem deutschen Interesse und ist auch ganz persönlich ermutigend. Darüber hinaus ist mir SDG 16 als Generalthema der Tagung in Luanda auch langfristig wichtig. Das ist entscheidend für Demokratie und Freiheit, aber auch für Perspektiven und Jobs. Als Abgeordnete wissen wir mit unserer Grassroot-Erfahrung, wie wichtig die langfristig verlässliche „Rule of Law“ ist. Daran international zu arbeiten und sich mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen und sich gegenseitig zu stärken, muss unser Ziel sein.

Was für einen Mehrwert bringt die Welt-Versammlung der Parlamentarier aus Sicht der deutschen Abgeordneten? 

Gute Zusammenarbeit von Ländern und Regionen erfordert Dialog und Vertrauen. IPU-Tagungen sind eine hervorragende Gelegenheit für Parlamentarier aller Regionen und Mitgliedsländer, sich persönlich und die Positionen anderer Länder kennenzulernen. Man wird sich nicht in allem einigen können, aber in jedem Falle wird das Verständnis für die Haltung anderer Länder wachsen. Das verbessert die Möglichkeiten für künftige Kompromisse. Die IPU-Weltversammlung hat daher einen erheblichen Mehrwert aus Sicht der teilnehmenden Abgeordneten, die alle mit einem großen Stoß neuer Visitenkarten nach Hause fahren und diese Kontakte künftig nutzen können. 

Wie hat sich Angola als Gastgeberland der Konferenz präsentiert? 

Viel von Angola hat man natürlich leider nicht gesehen, aber das Land hat sich ausgesprochen positiv dargestellt. Viele in Deutschland denken bei Angola noch an die kommunistische MPLA-Diktatur oder bei Luanda an die im Ölboom vor zehn Jahren teuerste Stadt der Welt. Beides ist Vergangenheit. Heute ist Angola ein sehr stabiles und sicheres Land, das großes Interesse am Austausch gerade auch mit Deutschland hat. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen aus Deutschland sind in Angola aktiv und mit dem Vertreter der Auslandshandelskammer Vandré Spellmeier in Luanda hat auch die deutsche Wirtschaft einen permanenten Vertreter vor Ort. (ll/01.11.2023)

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