Parlament

Wagener: Es braucht ei­ne Verhandlungslö­sung im Bergkarabach-Kon­flikt

Robin Wagener sitzt an einem Tisch und ist im Gespräch

Robin Wagener, Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE PV) (© DBT/Thomas Köhler/photothek)

Allgegenwärtig ist der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien bei der Herbsttagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE gewesen, die vom 18. bis 20. November 2023 in Jerewan stattfand, berichtet Robin Wagener (Bündnis 90/Die Grünen), Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE PV). Während die Delegation Aserbaidschans ihre Teilnahme verweigerte, habe die armenische Seite ihr Interesse an einem tragbaren Friedensprozess mit dem Nachbarland glaubhaft unterstrichen. „Eine dauerhafte Friedenslösung zwischen beiden Ländern muss über Verhandlungen gefunden werden“, so der Außenpolitiker. Im Interview spricht Wagener über die Rolle der OSZE bei der Lösung des Konflikts, die destruktive Haltung Russlands und die Interessen Deutschlands sowie über die humanitäre Krise vor Ort. Das Interview im Wortlaut:

Herr Wagener, Sie kennen die Kaukasus-Region aus eigener Anschauung, sind „Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit dem Südlichen Kaukasus, der Republik Moldau und Zentralasien“. Wie hat sich Ihnen während der Konferenz in Jerewan die Lage nach dem kurzen aserbaidschanisch-armenischen Krieg vom September in dem Land dargestellt?

Ich bin dem armenischen Parlament zunächst sehr dankbar für die Gastfreundschaft und die Bereitschaft, eine internationale Konferenz in diesem Format durchzuführen. Das war angesichts der Lage im Land keine Selbstverständlichkeit und Armenien hat hier einmal mehr bewiesen, welch großen Wert das Land der europäischen Friedensordnung, unserer internationalen regelbasierten Ordnung, beimisst. Die Parlamentarische Versammlung der OSZE verlief reibungslos und inhaltlich auch weitestgehend harmonisch. Das mag auch damit begründet sein, dass mit Russland, Aserbaidschan und der Türkei leider drei Delegationen ihre Teilnahme verweigert haben.

… also eine der Konfliktparteien und die beiden sich in der Region gegenüberstehenden Großmächte …

Der Konflikt war trotzdem allgegenwärtig – vor allem in den Gesprächen mit anderen Delegationen. Die armenische Delegation hat ihr Interesse an einem tragbaren Friedensprozess mit dem Nachbarland glaubhaft unterstrichen und auch Premierminister Paschinjan bekräftigte beispielsweise mit seiner Initiative „Crossroads of Peace“ seine Bereitschaft zur Verbesserung der Beziehungen zu Aserbaidschan.

Was sind momentan die größten Probleme für das Gastgeberland der Tagung, Armenien?

Das zurückliegende Jahr war für Armenien vor allem durch den bewaffneten Konflikt mit seinem Nachbarland Aserbaidschan um Bergkarabach geprägt. Mitte September haben aserbaidschanische Streitkräfte die gesamte Region Bergkarabach wieder unter aserbaidschanische Kontrolle gebracht. Dem war eine lange Versorgungsblockade über den sogenannten Latschin-Korridor durch Aserbaidschan und eine humanitäre Krise vorausgegangen.

Eine humanitäre Krise, die andauert?

Als Folge der Blockade und der kriegerischen Auseinandersetzung flohen über 100.000 Menschen aus ihrer Heimat. Eine zentrale Herausforderung für Armenien ist es nun, diese Menschen zu versorgen, ihnen eine neue Heimat zu geben und über ein Rückkehrrecht beziehungsweise Eigentumsrechte in der Region Bergkarabach zu verhandeln. Eine dauerhafte Friedenslösung zwischen beiden Ländern muss über Verhandlungen gefunden werden. Dabei sind auch die genauen Grenzverläufe, der Umgang mit Exklaven und Verbindungsrouten zu klären. Wesentlich ist, dass es keine weitere militärische Eskalation geben darf.

Welche Rolle könnte der OSZE als internationaler und vermittelnder Organisation nach der kriegerischen Auseinandersetzung zukommen?

Die OSZE war seit jeher für eine friedliche Lösung des Konflikts engagiert. Konfliktverhütung und Konfliktlösung zählen zu den zentralen Aufgaben der OSZE. Im Rahmen des Minsk-Prozesses sollte in der sogenannten Minsk-Gruppe (bestehend aus Frankreich, Russland und den USA) eine friedliche Lösung des Bergkarabach-Konflikts gefunden werden. Leider ohne Erfolg – auch weil Russland seine Interessen seit der Samtenen Revolution in Armenien änderte.

Wer oder was könnte der OSZE helfen?

Die Europäische Union ist sehr aktiv in der Region. Mit der EU-Beobachtungsmission (EUMA) unterstützen wir die zivile Krisenprävention. Die EUMA beobachtet die Situation vor Ort und berichtet zur menschlichen Sicherheit und trägt damit zur Vertrauensbildung in der Region bei. Damit unterstützen wir als EU die OSZE in ihren Fähigkeiten zu Konfliktverhütung.

Durch das Fernbleiben und die Blockade Russlands ist die Organisation gelähmt, Ämter können nicht besetzt werden. Was für einen Ausweg gibt es aus dieser Lage? Wie ist es um die Handlungsfähigkeit der OSZE bestellt?

In der OSZE werden die Entscheidungen einstimmig getroffen. Russland hat sich zum Ziel gesetzt, die internationale und europäische regelbasierte Ordnung zu zerstören. Das tut es als Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, das versucht es auch bei der OSZE, indem es deren Arbeit boykottiert. So verhindert es die Besetzung von zentralen Positionen oder blockiert das Budget der Organisation. Die OSZE ist eingeschränkt handlungsfähig. Durch Sonderbeiträge – vor allem auch aus Deutschland – bleibt die Organisation arbeitsfähig.

Was ist Deutschlands Interesse?

Die Außenministerin und das Auswärtige Amt haben auch klar für die konstante Besetzung der Spitzenposten geworben und ich freue mich, dass wir mit Helga Schmid eine so versierte Diplomatin als Generalsekretärin haben. Unsere Beiträge erwachsen aus der Überzeugung, dass internationale Organisationen zur Verhütung von Kriegen und Konflikten beitragen und damit essenziell für unseren Frieden sind. Ich freue mich, dass alle weiteren Mitgliedstaaten zu diesen Überzeugungen stehen und die Organisation stützen.

Die Versammlung hat sich auch allgemein mit der Rolle der OSZE in einer Zeit von Konflikten befasst. Was waren dabei für Sie die wichtigsten Punkte?

Das übergeordnete Thema der Herbsttagung lautete „Die OSZE in Zeiten der Krise: Die Rolle der parlamentarischen Versammlung bei der Bewältigung interner und externer Herausforderungen“. Ich habe bei der Tagung die Wichtigkeit internationaler Institutionen betont. Die OSZE ist aus der Konferenz für die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa entstanden. Eine Institution, die in Zeiten der Blockkonfrontation entwickelt wurde und die Grundsteine unserer Friedensordnung legte. Damals war Russland eine sogenannte Status-quo-Macht, die vor allem ihre Position stabilisieren wollte. Heute müssen wir Russlands Politik klar als revisionistisch einstufen – der Kreml will ein Ordnungsprinzip durchsetzen, in dem nicht das Recht, sondern die Gewalt oder Androhung von Gewalt herrscht. Das können wir nicht zulassen und sollten die OSZE – und ihre Organe – schützen.

Welche Rolle sollte dabei die Parlamentarische Versammlung spielen?

Die Aufgabe der Parlamentarischen Versammlung ist hier vor allem auch die Transmitter-Funktion in die nationalen Parlamente hinein. Die OSZE lebt von den Beiträgen ihrer Mitglieder und darüber entscheiden vor allem die Parlamente. Neben dem wichtigen Austausch verschiedener Perspektiven gilt es daher auch, sich der gemeinsamen Errungenschaften zu vergewissern. Dafür leistet die Parlamentarische Versammlung einen wichtigen Beitrag. 

(ll/20.12.2023)