Parlament

Delegationsreise im Zeichen von 140 Jahren deutsch-koreanischer Beziehungen

Eine Gruppe steht vor blauen Baracken in der entmilitarisierten Zone an der Grenze zu Nordkorea.

Die Deutsch-Koreanische Parlamentariergruppe zu Besuch in Panmunjom, der entmilitarisierten Zone an der Grenze zu Nordkorea. Außer etwa um internationale Sicherheit und Handel gehe es bei Treffen beider Länder auch regelmäßig um die Erfahrungen Deutschlands mit der Wiedervereinigung, sagt Delegationsleiterin Heike Baehrens (fünfte v.r.). (© Franco Liccione)

Es liegt so fern von Deutschland und hat doch eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit ihm: Korea, mit seiner mehr als 70 Jahre dauernden Teilungsgeschichte zwischen dem kommunistischen Norden und dem demokratischen Süden. Südkorea zählt heute zu den führenden Industrienationen der Welt und steht als Handelsgroßmacht vor ähnlichen Herausforderungen wie Deutschland. Beide Volkswirtschaften sind eng miteinander verflochten, es gibt einen regen Austausch auf zivilgesellschaftlicher und kultureller Ebene, der sogenannte K-Pop ist ein globaler Erfolg.

Im Deutschen Bundestag pflegt die deutsch-koreanische Parlamentariergruppe die Beziehungen zu dem asiatischen Land, zu Südkorea sowie, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, zum Norden der Halbinsel. Einmal pro Wahlperiode macht sich eine Delegation der Gruppe auf den Weg, um in direktem persönlichem Austausch die deutsch-koreanische Partnerschaft zu festigen. Vom 29. Oktober bis 4. November 2023 fand die jüngste Delegationsreise von fünf Bundestagsabgeordneten zu politischen Gesprächen nach Seoul und Busan statt. „Sie stand ganz im Zeichen des runden Jubiläums von 140 Jahren deutsch-koreanischen diplomatischen Beziehungen“, sagt Heike Baehrens (SPD), die Vorsitzende der Parlamentariergruppe, und berichtet von den Gesprächsergebnissen und ihren Eindrücken.

Wichtiger Handels- und Wertepartner

In einem fraktionsübergreifenden Antrag hatte der Bundestag in der Woche vor der Reise die Partnerschaft zwischen beiden Ländern gewürdigt und bekräftigt. „Korea ist neben Japan unser wichtigster Handels- und Wertepartner im indopazifischen Raum“, unterstreicht Baehrens die Bedeutung der Beziehungen zu dem ostasiatischen Land. Sämtliche Themen, die beide Länder aktuell beschäftigen, kamen bei dem Besuch zur Sprache: von der internationalen Sicherheitspolitik und dem globalen Handel über sozialpolitische Fragen bis zur Lage der Menschenrechte im Norden. 

Dazu trafen die Bundestagsabgeordneten mit ihren Kolleginnen und Kollegen der Deutschland-Freundschaftsgruppe des koreanischen Parlaments, aber auch mit Regierungsvertretern sowie Angehörigen von Nichtregierungsorganisationen und Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammen und besuchten zudem das 21. Deutsch-Koreanische Forum.

Gemeinsame Werte, gemeinsame Sicherheit

Zusammen mit den deutschen Parlamentariern haben die koreanischen Abgeordneten „mit eindrucksvoller Klarheit“ die Aggression Russlands gegenüber der Ukraine sowie den terroristischen Angriff der Hamas auf Israel verurteilt sowie sich der gemeinsamen Werte der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und einer regelbasierten, multilateralen Weltordnung versichert, so Baehrens. „Südkorea hat ein hohes Interesse an einer verbindlichen Partnerschaft.“ In verschiedenen Gesprächen hätten beide Seiten die gemeinsamen Sicherheitsinteressen unterstrichen.

So wie wir in Europa die Freiheit durch den russischen Angriff auf die Ukraine bedroht sehen, sähen sich auch die Koreaner durch das russische Vorgehen, aber auch durch den großen Nachbarn China und den kommunistischen Norden des Landes bedroht, skizziert Baehrens die Perspektive des südasiatischen Landes. Seoul fürchte vor allem eine Allianz aus China, Russland und Nordkorea und setze darauf, dass Deutschland, ebenso wie die USA, an seiner Seite stehe. Vor allem das Verhältnis zu China werde nicht nur in Berlin, sondern auch in Seoul einer Neubewertung unterzogen. Beide Länder loteten seit einiger Zeit aus, wie man von Peking unabhängiger werden könne. Die Wirtschaftsbeziehungen seien zunehmend politisch belastet.

Auf Kriegsfuß mit dem Norden

Zu dem erschütternden Hintergrund der koreanischen Lebensrealität gehöre, dass sich Nord- und Südkorea seit Jahrzehnten formal weiterhin im Kriegszustand befinden, da es seit 1953 lediglich ein Waffenstillstandsabkommen gibt. Nach vorsichtigen Schritten der Annäherung hatten die politischen und militärischen Spannungen zwischen beiden Landesteilen in den vergangenen Jahren wieder zugenommen.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen und sicherheitspolitischen Spannungen auf der koreanischen Halbinsel sei ein Abstecher der deutschen Delegation in den Norden im Gegensatz zu einer Reise im Jahr 2015 „derzeit undenkbar“. Zu dreist seien die Provokationen des Kim-Regimes, zu stark die sicherheitspolitischen Spannungen mittlerweile. Die deutsche Botschaft in Pjöngjang ist bis auf Weiteres geschlossen. Ein Besuch wäre gleichwohl „von hohem Interesse gewesen“, sagt Baehrens. „Wir wissen momentan nur wenig über die Situation im Norden und fürchten eine humanitäre Notlage.“

Während der kommunistische Diktator sein Land hochrüste und immer wieder durch Nuklear- und Raketentests Schlagzeilen mache, suche der demokratische Süden als westlich geprägte Handelsnation Anschluss und Schutz bei Partnern wie den USA und in Europa. Auch die Beziehungen zu Japan intensiviere Seoul.

Wiedervereinigung als abstraktes Ziel

Einen Besuch abgestattet hat die Delegation jedoch den internationalen Soldaten aus Schweden und der Schweiz in der von den Vereinten Nationen überwachten entmilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea. Seit dem Ende des Koreakrieges vor 70 Jahren sichern neutrale Kräfte im Auftrag der Staatengemeinschaft die Einhaltung des Waffenstillstands in dem 241 Kilometer langen und vier Kilometer breiten Grenzstreifen.

Bei dem Gespräch mit dem Vereinigungsminister habe sie den Eindruck gewonnen, dass der Süden wegen der zunehmend feindseligen Haltung des Nordens das Ziel einer möglichen Wiedervereinigung „nicht mehr mit demselben Nachdruck verfolgt wie noch vor ein paar Jahren“. Die Wiedervereinigung beider Landesteile sei als ein „immer abstrakteres Ziel“ in eine „unbestimmbare Ferne“ gerückt. Seoul befinde sich in einer Art Wartestellung gegenüber der Entwicklung im Norden. Dennoch seien „unsere deutschen Erfahrungen“ mit der Wiedervereinigung nach wie vor von hohem Interesse und würden bei allen Begegnungen regelmäßig thematisiert, so Baehrens.

„Sehr aufwühlende Gespräche“ habe die Delegation mit Menschenrechtsorganisationen wie „Korea Future“ und „Data Base Center for North Korean Human Rights“ geführt, die sich um Geflüchtete aus dem Norden kümmern, deren Erfahrungen öffentlich machen und versuchen, das Unrecht der kommunistischen Diktatur aufzubereiten. „Durch die Berichte der Geflohenen haben wir überhaupt einen Einblick in die abgeschottete Parallelwelt des Nordens“, beschreibt Baehrens die schwierige Informationslage.

Deutsch-Koreanisches Forum

In Busan, der zweitgrößten Stadt und dem größten Hafen im Süden des Landes, haben die Bundestagsabgeordneten am Deutsch-Koreanischen Forum teilgenommen, bei dem Fachexperten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft jährlich abwechselnd in beiden Ländern zusammenkommen. Mit der Teilnahme der gesamten Delegation habe man ein „Zeichen gesetzt“ und deutlich gemacht, welchen Stellenwert man den Beziehungen zu dem asiatischen Land beimesse, erläutert Baehrens. 

Das hochrangig besetzte Forum greife aktuelle Themen der Zeit auf und setze konkrete Impulse. „Dort tauschen wir uns über alles aus, was beide Länder als große Industrie- und Handelsnationen gemeinsam bewegt“, so Baehrens, die auch die Stellvertreterin des deutschen Co-Vorsitzenden des Forums ist.

Handlungsempfehlungen und Jugendaustausch

Das Forum habe Handlungsempfehlungen verabschiedet, die anschließend beiden Regierungen übergeben werden sollen. Zu den zentralen Themen darin gehören Fragen der Weltwirtschaft und internationalen Ordnung sowie die Rolle Deutschlands und Koreas darin. Gemeinsam wollen beide Länder für eine multilaterale, regelbasierte Ordnung eintreten. 

Und: Deutschland und Korea unterstreichen in dem Dokument, dass es sich beim Klimawandel um die größte globale Krise dieser Zeit handele und, dass beide Länder beabsichtigen, ihre Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Klimaschutzes zu verstärken. „Als Parlamentariergruppe wünschen wir uns daher auch von den zentralen Verantwortungsträgern beider Länder, den Klimaschutz zum Staatsziel zu erklären“, sagt Baehrens.

Zentral für die Beziehungen beider Länder sei auch das Jugendforum im Rahmen des Deutsch-Koreanischen Forums. Unter den jungen Leuten beider Länder gebe es ein ausgeprägtes Interesse für die Jugendkultur des anderen Landes, eine vielfältige Vernetzung und großes Interesse an gemeinsamen Zukunftsthemen. Auch die Teilnehmer des „Junior-Forums“ hätten „sehr konkrete Empfehlungen vereinbart“, die ebenfalls den Regierungen in Berlin und Seoul überreicht werden sollen. Das unterstreiche die Intensität der Partnerschaft. Die Parlamentariergruppe mache sich dafür stark, dass der Jugendaustausch weiter gefördert werde.

Zwischen Hightech und Tradition

Leider habe man bei dem Besuch nicht so viel Zeit wie beim letzten Mal gehabt, um über Sozialpolitik zu reden, bedauert Baehrens, die Korea seit ihrer Tätigkeit als Vorstand des Diakonischen Werkes Baden-Württemberg gut kennt, als sie bereits an internationalen Diakoniekongressen an einer kirchlichen Hochschule in Korea als Referentin teilnahm. Dabei habe Korea in dem Bereich mit großen, ja existenziellen, Problemen zu kämpfen und suche international um Rat, auch in Deutschland.

Südkorea als weltweit anerkannte moderne Industrie- und Kulturnation, die auch hierzulande einer breiten Öffentlichkeit durch Hightechprodukte wie Autos und Smartphones oder den K-Pop bekannt ist, sei andererseits „durch ein sehr traditionelles, um nicht zu sagen rückständiges, Gesellschafts- und Familienbild“ geprägt. 

Südkorea weise seit Jahren die weltweit niedrigste Geburtenrate auf, die lediglich vom Vatikan unterboten werde, und verzeichne, auch mangels Zuwanderung, eine rückläufige Bevölkerungszahl. Es fehlten zunehmend Fachkräfte, die die Industrie am Laufen halten. Gleichzeitig gebe es eine hohe Akademisierungsquote und eine verbreitete Jugendarbeitslosigkeit.

Lange Zeit alles dem Leistungsethos untergeordnet

Das hänge mit der besonderen Geschichte Koreas zusammen. Nach dem Koreakrieg habe sich Südkorea Land mit einem unbändigen Willen zur Leistung und einer gemeinsamen gesellschaftlichen Kraftanstrengung hochgearbeitet und in ein, zwei Generationen das aufgebaut, was es heute ist: eine weltweit führende Industrie- und Hightechnation. 

Dem auch individuellen Leistungs- und Bildungsethos hätten die Koreaner bislang alles untergeordnet. Familie, die Möglichkeit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine gesellschaftliche Modernisierung seien dabei zu kurz gekommen. Traditionelle Denkweisen hätten den wirtschaftlichen Modernisierungsschub des Landes überdauert.

Wenngleich Koreaner dazu neigten, diese existenziellen Probleme nicht offen auszusprechen, hätten doch „progressive Stimmen ein großes Interesse daran, dass wir auch unsere sozialpolitischen Erfahrungen einbringen. Sie schauen beispielsweise auf unsere Möglichkeiten, Familie und Beruf zu vereinbaren oder auch auf das System der dualen Ausbildung in Deutschland.“, so Baehrens.

Parlamentariergruppe versteht sich als Impulsgeber

Als Parlamentariergruppe arbeite man im Sinne der Völkerverständigung, wolle die Freundschaft beider Länder fördern und die Wertepartnerschaft stärken. Eigenständig, ergänzend zur Diplomatie der Regierungen, pflege man die Beziehungen auf allen Ebenen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, verstehe sich als Forum, als Ansprechpartner und Impulsgeber. 

„Das geht nur, wenn man miteinander im persönlichen Gespräch bleibt“, sagt Baehrens. Über die Delegationsreise hinaus, die lediglich einmal pro Wahlperiode stattfinde, stehe die Parlamentariergruppe daher in einem engen Austausch mit Korea. (ll/03.01.2024)

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