Parlament

Wirtschaft, Energie und Migration in Marokko und Tunesien thematisiert

Delegation der Parlamentariergruppe Maghreb im tunesischen Parlament (Assemblée des représentants du peuple); Vorsitzender und Delegationsleiter Carl-Julius Cronenberg (FDP), 4.v.l., mit Dietmar Friedhoff (AfD), 2.v.l. und Mareike Lotte Wulf (CDU/CSU), 7.v.l., mit Angehörigen des tunesischen Parlaments und dem Berater des Präsidenten in auswärtigen Angelegenheiten

Zu Besuch im tunesischen Parlament: Carl-Julius Cronenberg (4.v.l.), Vorsitzender der Parlamentariergruppe Maghreb, und die stellvertretenden Vorsitzenden Dietmar Friedhoff (2.v.l.) und Mareike Lotte Wulf (7.v.l.). (Büro Carl-Julius Cronenberg)

Marokko und Tunesien: In die beiden nordafrikanischen Länder unternahm die Parlamentariergruppe Maghreb-Staaten des Deutschen Bundestages vom 20. bis 24. November 2023 eine Delegationsreise. Marokko sei der wichtigste Partner Deutschlands und Europas in der Region, erklärt der Vorsitzende und Delegationsleiter der Parlamentariergruppe, Carl-Julius Cronenberg (FDP), und in Tunesien wollten die deutschen Parlamentarier sich einen aktuellen Eindruck von der dortigen politischen Entwicklung verschaffen. „Die bilateralen Beziehungen zu intensivieren und zu stärken ist das Ziel der Arbeit der Parlamentariergruppen“, so Cronenberg. Wirtschaftsbeziehungen, die Perspektiven einer Energiepartnerschaft und Fragen der Migration waren die zentralen Themen bei den Gesprächen in beiden Ländern.

Dazu sind die deutschen Abgeordneten mit den dortigen Parlamentariern zusammengekommen, in Marokko wurde Cronenberg von den Präsidenten beider Kammern empfangen, und die Delegation von der marokkanisch-deutschen Freundschaftsgruppe sowie verschiedenen Ausschussvorsitzenden. In Tunesien müsse sich eine solche Freundschaftsgruppe erst noch konstituieren, man traf sich mit Vertretern von Fachausschüssen. Aber den Bundestagsabgeordneten boten sich Anknüpfungspunkte auch zur Regierungsebene. So standen in Marokko Gespräche mit dem Minister für Handel und Industrie auf der Tagesordnung, in Tunesien mit der Finanzministerin.

Marokko: Diplomatische Beziehungen repariert 

Erste Station der Reise war Marokko. Cronenberg bewertet die bilateralen Beziehungen zum Königreich Marokko als „gut bis sehr gut“. Nachdem die Marokkaner etwas verschnupft gewesen seien, da sie Deutschland in der Westsahara-Frage nicht auf ihrer Seite wähnten. Die wirtschaftlichen Beziehungen hätten jedoch „währenddessen sehr gut funktioniert und die bilateralen Beziehungen über die Zeit getragen“. 

Im Spätsommer des Jahres 2022 hatten die deutsche Außenministerin und ihr marokkanischer Amtskollege eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in der der von Marokko eingeschlagene Weg zur Lösung des Westsahara-Problems als zielführend anerkannt werde. Den guten Zustand der Beziehungen zwischen Deutschland und Marokko und die hohe Wertschätzung der Beziehungen zu Deutschland seitens der marokkanischen Führung könne man auch an den hochrangigen Gesprächspartnern ablesen, die die deutsche Delegation empfangen hätten.

Industrialisierung mit grüner Energie

Der marokkanische Minister für Industrie und Handel habe selbstbewusst und überzeugend die Pläne des Landes über die nachhaltige Modernisierung seiner Wirtschaft präsentiert. Dazu wolle Marokko grüne Energie für sich als aufstrebendes Industrieland produzieren und diese keinesfalls in erster Linie exportieren. „Er sieht die marokkanische Industrie im Wettbewerb um die grüne Energie mit Deutschland“, so Cronenberg. „Das selbstbewusste Auftreten ist eine sehr gute Voraussetzung für die bilateralen Beziehungen.“

Marokko sei in der Entwicklung sehr viel weiter als Tunesien, stellt der Unternehmer aus dem Hochsauerlandkreis fest. Das Land verzeichne zusätzlich zu dem reichlichen Sonnenschein im Unterscheid zu Tunesien einen sehr steten Wind an der Atlantikküste. Der Standort sei daher dazu prädestiniert, Solar- und Windenergie zu kombinieren. Als einen ersten Einsatzbereich für grünen Strom könnten die Marokkaner Meerwasser entsalzen und Wasserstoff herstellen und diesen entweder nach Europa verschiffen oder zu Ammoniak weiterverarbeiten. Die Delegation aus Deutschland hat sich über diese Themen vor Ort im Forschungsinstitut für Solarenergie und erneuerbare Energien (Institut de Recherche en Energie Solaire et Energies Nouvelles) informiert.

Das Land wolle möglichst zusätzliche Wertschöpfung in seinem Heimatmarkt schaffen, eine eigene Automobilindustrie aufbauen und damit Afrika und Europa mit günstigen Fahrzeugen beliefern. „Dazu brauchen sie eine Batterieproduktion. Der Strom für diese energieintensive Branche soll nach den Plänen der Regierung künftig aus regenerativen Quellen kommen.“ Wenn Marokko diesen Entwicklungspfad beschreite, dann werde Deutschland zwar voraussichtlich nicht in großem Umfang grünen Strom aus dem nordafrikanischen Land importieren, deutsche Firmen jedoch würden sehr viel technische Ausrüstung nach Marokko verkaufen, prognostiziert Cronenberg.

Energie- und Wirtschaftspartnerschaft mit Potenzial 

Auch um ihren Wirtschaftsaufbau zu finanzieren seien die Marokkaner auf internationale Partner angewiesen, gibt der Vorsitzende der Parlamentariergruppe zu bedenken. „Sie müssen sehr viel Geld in die Hand nehmen und können lediglich einen Teil davon aus eigener Kraft aufbringen. Eine Million Tonnen Wasserstoff zu produzieren, erfordert eine Investition von 30 Milliarden Euro. Auch deutsche Investoren sind gefordert.“ Von dem Geld würden dann Anlagen bei deutschen Maschinenbauern gekauft. 

Energie sei also für beide Seiten ein wichtiges Thema. Deutschland und die deutsche Industrie seien gefragte und geschätzte Partner. Alles in allem, so Cronenberg, habe sich durch die Delegationsreise der Eindruck vom deutsch-marokkanischen Verhältnis als einer in die Zukunft gerichteten Energie- und Wirtschaftspartnerschaft erhärtet. 

König Mohammed VI. garantiere eine politische Stabilität, die Marokko wohltuend von anderen Ländern der Region unterscheide. So herrsche in Ägypten eine Militärdiktatur, in Tunesien habe der Präsident die Verfassung außer Kraft gesetzt und auch Algerien werde autoritär regiert. All diese Staatswesen und deren Regierungen machten keinen nachhaltigen Eindruck. Er halte den marokkanischen Weg für den aussichtsreichsten in der Region. Unter der historischen Herrschaft der Monarchie spielten Regierung und Parlament mittlerweile eine beachtliche und respektierte Rolle, es finde eine behutsame Entwicklung statt. Für die Volkswirtschaft des 35-Millionen-Einwohner-Landes sei dies ein stabiler Rahmen. 

Tunesien: Um gute Beziehungen bemüht

Tunesien, die zweite Station der Delegationsreise, sei demgegenüber deutlich schlechter aufgestellt, ob man nun auf die politische Stabilität schaue oder auf die wirtschaftliche Performance. Das Land habe vor allem beim Thema Energie Wettbewerbsnachteile. In der Zusammenarbeit mit Tunesien sei die Entwicklungszusammenarbeit weiterhin das wichtigste Instrument. Die deutsche Delegation hatte in Tunis ein Informationsgespräch bei der Europäischen Investitionsbank.

„Die Tunesier sollten auf andere Pferde setzen“, meint Cronenberg. „Sie sollten ihre Automobilzulieferindustrie weiterentwickeln, auf dem Gebiet haben sie Kompetenzen und gut ausgebildete Fachkräfte.“ Die Firma Leoni habe in Reaktion auf die Ukrainekrise gerade ihr Werk zur Produktion von Kabelbäumen erweitert. In der Hauptstadt Tunis gebe es eine ansehnliche Startup-Szene, darunter viele Unternehmen mit digitalem Geschäftsmodell. Das sollten die Tunesier fördern. 

In der Republik Tunesien bemühe sich der vor drei Jahren gewählte Präsident Kais Saied, die traditionell sehr guten Beziehungen zu Deutschland zu pflegen und auszubauen. Auf die Meinungsunterschiede in der Gaza-Frage, vor allem nach den Attacken der Hamas auf Israel vom 7. Oktober, sei man gut vorbereitet gewesen, erzählt Cronenberg. „Aber die tunesische Seite hat es gar nicht angesprochen. Wir wissen, dass wir da unterschiedliche Ansichten haben.“ Also habe man das Thema ausgeklammert. 

Cronenberg: Ohne paternalistischen Gestus auftreten

Der Generaldirektor für bilaterale Beziehungen mit den Ländern Europas im tunesischen Außenministerium habe betont, wie wichtig es sei, trotz Differenzen in einzelnen Fragen zusammenzuarbeiten, den Standpunkt des anderen zu respektieren und sich auf Augenhöhe zu begegnen. „Ich habe dem nur zustimmen können“, gibt FDP-Politiker Cronenberg zu Protokoll, „das sind wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Partnerschaft“. Egal, ob in Bezug auf den Nahostkonflikt, auf die Situation der Rechtsstaatlichkeit oder der Menschenrechte im eigenen Land: Wer gegenüber seinen Gastgebern paternalistisch auftritt, erreicht nichts, sondern verfehlt seine Ziele.

Er halte auch nichts von dem Narrativ, dass es sich gegen deutsche Werte richte, wenn Deutschland seine wirtschaftlichen Interessen verfolge. Das Gegenteil sei richtig: „Wo deutsche Unternehmen investieren oder Handel treiben, bringen sie immer auch deutsche Werte mit.“ Nur weil dies in einigen Fällen zu Enttäuschungen geführt habe wie im Fall Russlands, sei dies kein Grund, von diesem Weg abzuweichen. Zu viele positive Beispiele weltweit sprächen dafür. Eine Welt ohne Handel sei sicher nicht die Erfolgsformel. „Mehr Handel und mehr Investitionen fördern die Zusammenarbeit. So entstehen Arbeitsplätze auf beiden Seiten und so gewinnt Deutschland an Einfluss vor Ort. Deshalb ist es gut, wenn die deutsche Wirtschaft gute Geschäfte macht.“

„Müssen Ländern wie Tunesien Zeit geben sich zu entwickeln“

In Tunesien waren die deutschen Abgeordneten neugierig darauf, wie die erheblichen politischen Verwerfungen der letzten Jahre das Land verändert hätten, erzählt Cronenberg. Habe dort doch der 2019 ordentlich gewählte Präsident Saied im Sommer 2021 die Verfassung außer Kraft gesetzt, das Parlament aufgelöst und sehr viel Macht an sich gezogen. Vor den Neuwahlen habe der konservative Politiker und Professor für Verfassungsrecht das Wahlrecht so verändert, dass die traditionellen Parteien keine Chance hatten. „Es war mir wichtig, dass wir uns da ein Bild von der Lage machen.“ 

Die Hoffnungen des Arabischen Frühlings seien in Tunesien leider enttäuscht worden, der Demokratisierungsprozess in dem Land in Teilen gescheitert. Das dortige Parlament habe wenig dafür getan, dass die Bevölkerung Vertrauen in die demokratischen Institutionen fasst. Demgegenüber habe der Präsident seine Direktwahl dazu genutzt, sich als starker Vertreter der Demokratie zu positionieren und verfüge nun über eine höhere Glaubwürdigkeit. 

„Es ist kein Vertrauen in die parlamentarische Arbeit gewachsen, es hat keine Demokratiedividende gegeben“, stellt Cronenberg fest. „Aber die Entwicklung der Demokratie hat ja in Deutschland auch sehr lange gedauert: Von der Paulskirche bis zum Grundgesetz sind 100 Jahre vergangen.“ Man müsse Ländern wie Tunesien einfach noch Zeit geben, bis die Demokratie ihnen Vorteile bringe. Tunesien habe große Probleme, die Bevölkerung wolle Stabilität. „Ich bin gespannt, ob es dem Präsidenten gelingt, mit seinen institutionellen und personellen Veränderungen mehr Wohlstand hinzubekommen“, so der Vorsitzende der Parlamentariergruppe.

Menschenrechtsverletzungen und Migrationsfragen

Dennoch sei man in Tunis mit Parlamentsvertreterinnen und Parlamentsvertretern, darunter Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses und des Wirtschaftsausschusses, zusammengekommen und habe auch Vertreter der Zivilgesellschaft getroffen, um über die Menschenrechtslage zu sprechen. Die eingeschränkte Meinungs- und Pressefreiheit gehöre zu den negativen Punkten der Entwicklung Tunesiens. Er wolle dies aber auf keinen Fall bei seinen Gastgebern anprangern, so Cronenberg. „Solange ich mir nicht sicher bin, dass ich damit etwas erreiche, lasse ich es lieber. Möglicherweise erreicht man ansonsten das Gegenteil.“ Und die Reise als Bühne für den deutschen Politikbetrieb zu nutzen, einfach um die Menschenrechtsfrage anzusprechen, komme für ihn nicht infrage.

Auch bei dem Thema der Migration und Arbeitskräftemigration, dem zweiten großen Thema der Delegationsreise, hätten beide Länder ein großes Interesse zusammenzuarbeiten. Ein Abkommen zwischen den Regierungen in Rabat und Berlin sei in Vorbereitung. Die Gespräche dazu unter Leitung des Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung für Migrationsabkommen, Joachim Stamp, seien auf einem guten Weg. 

Deutschland sei zunehmend offen für qualifizierte Fachkräfte und Marokko suche nach Möglichkeiten der beruflichen Bildung und Berufserfahrung für seine jungen Leute. Warum sollte nicht ein Teil von ihnen für ein paar Jahre nach Deutschland kommen? „In dem Tempo, wie in Marokko junge, oft gut ausgebildete Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt drängen, kann die dortige Wirtschaft keine Arbeitsplätze schaffen.“

Migrationsfragen waren auch in Tunis Gesprächsthema. In Tunesien seien die Probleme größer. „Tunesien ist Zielland, Transitland und Quell-Land von Migration“, erläutert Cronenberg, der Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales ist. Die sich seit Jahren verschärfende Lage habe dazu geführt, „dass viele weg wollen. Wir müssen schauen, dass das nur auf legalem Weg passiert.“ 

Parlamentariergruppe als Impulsgeber

Als Parlamentariergruppe wolle man einerseits die Politik der Bundesregierung begleiten, aber auch eigene Akzente setzen und trete vor allem eigenständig als Bundestag auf, um die bilateralen Beziehungen zu pflegen und zu stärken. Es gehöre zum Selbstverständnis der Parlamentariergruppen, Impulse zu setzten, sich dazu vor Ort ein Lagebild zu verschaffen und Kontakte im persönlichen Gespräch zu pflegen. Vorhaben würden dabei über die Delegationsreise hinaus begleitet, die ja nur einmal pro Wahlperiode in ein Land stattfinde. Gegenüber den Kolleginnen und Kollegen der Parlamente in Marokko und Tunesien habe er eine Gegeneinladung nach Deutschland ausgesprochen, so Cronenberg. 

Die Gruppe sehe sich als Anlaufpunkt auch für Unternehmen, selbstverständlich gehe man auf die Interessen der deutschen Wirtschaft ein, sagt Unternehmer Cronenberg. Gelungene Investitionen im Ausland trügen ganz konkret dazu bei, in Deutschland Arbeitsplätze zu sichern.

Cronenberg bringt bereits einen beruflichen Bezug zu beiden Ländern und zur Region mit. Er war als Berichterstatter für die Auswahlverfahren des Internationalen Parlaments-Stipendiums des Deutschen Bundestages in Marokko und Tunesien, ist Mitglied in der deutsch-französischen Parlamentarischen Versammlung, war in der letzten Wahlperiode stellvertretender Vorsitzender der Parlamentariergruppe Westafrika und spricht Französisch. 

Der Parlamentariergruppe Maghreb-Staaten im Deutschen Bundestag gehören insgesamt 22 Mitglieder an. Die Delegation nach Marokko und Tunesien wurde geleitet von Carl-Julius Cronenberg und bestand außerdem aus den stellvertretenden Vorsitzenden der Gruppe Dietmar Friedhoff (AfD) und Mareike Lotte Wulf (CDU/CSU). (ll/15.01.2024)

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