Volkmar Klein warnt vor dem Missbrauch von KI durch Diktaturen
Chancen und Risiken neuer Technologien für eine nachhaltige und friedliche Entwicklung standen auf der Tagesordnung der Herbsttagung der Interparlamentarischen Union (IPU), zu der vom 12. bis 17. Oktober 2024 parlamentarische Vertreter aus 180 Ländern in Genf zusammenkamen. „Wichtig ist es, zu einem globalen regulatorischen Rahmen zu kommen, der Künstliche Intelligenz (KI) für die Menschen nutzbar macht und gleichzeitig die Risiken einhegt“, sagt Volkmar Klein (CDU/CSU), Leiter der deutschen Delegation zur IPU, und warnt vor dem Missbrauch von KI durch Diktaturen und den Gefahren für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat.
Im Interview spricht Klein über die Rolle der Parlamente dabei, dass politische Entscheidungen für die Menschen auf Grundlage seriöser Informationen getroffen werden, und nicht Fake News die Oberhand gewinnen, sowie darüber, wie weit die Meinungen über Konflikte wie im Nahen Osten oder zu Russlands Überfall auf die Ukraine in der globalen Versammlung der Parlamente auseinander gehen, wie man doch noch zu einer ausgewogenen Erklärung kam, die nicht einseitig Israel verurteilt, und über ein ermutigendes Signal für einen Frieden im Nahen und Mittleren Osten. Das Interview im Wortlaut:
Herr Klein, das Thema der Generaldebatte lautete: „Die Nutzung von Wissenschaft, Technologie und Innovation für eine friedlichere und nachhaltigere Zukunft“. Das ist sehr weit gefasst. Was waren darin für Sie die wichtigsten Punkte?
Die allermeisten Redner zum Thema sehen Technologie und Innovation als große Chance für eine bessere Zukunft der Menschen, von denen viele immer noch in großer Armut leben oder in konfliktgeschüttelten Ländern. Dabei leistet die Wissenschaft einen großen Beitrag, um zu Lösungen für Herausforderungen vom Klimawandel bis zu Gesundheitskrisen zu kommen. Dabei wiesen viele aber auch auf Risiken zulasten der Menschen hin, gerade auch benachteiligter Gruppen. Weil es die Generaldebatte war, wurde sie allerdings auch von sehr vielen Rednern genutzt, allgemein zu globalen und regionalen Fragen Stellung zu nehmen. Dabei wurde auch schon deutlich, wie weit die Meinungen bei der Bewertung der Konflikte im Nahen Osten oder auch zu Russlands Überfall auf die Ukraine auseinandergehen.
Welche Rolle kommt den Parlamenten dabei zu, angesichts von Fake News und Populismus, den Fakten und seriöser Wissenschaft den ihnen gebührenden Platz, nicht zuletzt im Gesetzgebungsprozess, zukommen zu lassen?
Frei gewählten Parlamenten, die in einem demokratisch regierten Staat unabhängig entscheiden können, kommt eine ganz entscheidende Rolle dabei zu, dafür zu sorgen, dass politische Entscheidungen für die Menschen in ihrem jeweiligen Land auf Grundlage seriöser Informationen getroffen werden. Auch in frei gewählten Parlamenten gibt es populistisch agierende Parteien und Personen. Das werden wir nicht verhindern können. Wichtig ist, dafür zu werben, dass die Positionen der Wissenschaft Gehör finden bei den Entscheidungsprozessen und nicht reine Fake News die Oberhand bekommen. Das Prinzip der Anhörungen vor Entscheidungen über Gesetze ist daher sehr wichtig. Die Arbeit des einzelnen Abgeordneten, der im stillen Kämmerlein seine Hausaufgaben macht, sollte aber auch nicht unterschätzt werden.
Im Deutschen Bundestag kommen in den Fachausschüssen im Vorlauf zu den Gesetzesvorhaben regelmäßig Wissenschaft und Forschung zu Wort, bevor, vor dem Hintergrund der Fakten und Empfehlungen der Sachverständigen, von der Mehrheit der Abgeordneten eine politische Entscheidung getroffen wird. Ist der Bundestag ein Vorbild für andere Parlamente und Versammlungen?
Als frei gewähltes und selbstbewusst auftretendes Parlament ist er bereits Vorbild, denn beides ist in vielen Ländern leider völlig anders. Natürlich gibt es auch bei uns Verbesserungsmöglichkeiten, aber bei ganz vielen Gesetzesvorhaben der Regierung gilt bei uns das sogenannte „Strucksche Gesetz“ (Peter Struck, 1980 bis 2009 Abgeordneter des Deutschen Bundestages), wonach kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es ihm vorgelegt wurde. Dafür ist in der Tat wichtig, dass jeder Abgeordnete im Bundestag die zahlreichen Informationsmöglichkeiten nutzt, die in einem freiheitlichen System zur Verfügung stehen. Dann ist es immer noch schwierig, bei oft widersprüchlichen wissenschaftlichen Stellungnahmen zu entscheiden und zu handeln, wenn wir zu tragfähigen Lösungen für die Menschen kommen wollen.
Nach den Auswirkungen auf autonome Waffensysteme im Frühjahr hat die IPU sich bei ihrer Herbsttagung mit einer Erklärung zu den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz (KI) auf Demokratie, Menschenrechte und den Rechtsstaat befasst. Wie stehen die Parlamentarier der Welt hierzu?
In den öffentlichen Erklärungen der Delegationen bestand eine relativ große Einigkeit dabei, dass Künstliche Intelligenz, so chancenreich sie bei technologischen Entwicklungen in der Wirtschaft sein kann, für Demokratie, Menschenrechte und den Rechtsstaat auch mit hohen Risiken verbunden sein kann. Diktaturen können sie missbrauchen, um die Menschen lückenlos in jeder Facette ihres Lebens zu überwachen und ihrer Rechte zu berauben. Demokratie ist dann am Ende. Ich betone bewusst „in den öffentlichen Erklärungen“, weil natürlich auch Parlamente aus Ländern vertreten waren, in denen Menschenrechte und Demokratie bereits jetzt mit den Füßen getreten werden. Wichtig ist es, zu einem globalen regulatorischen Rahmen zu kommen, der KI für die Menschen nutzbar macht und gleichzeitig die Risiken einhegt. Der Europarat hat hier bereits eine Konvention entwickelt, der auch andere Staaten beitreten können. Dafür haben wir geworben.
Auch diesmal gab es wieder ein Ringen um eine Erklärung zum Nahostkonflikt. Mit einer Mehrheit weiterer Länder hat die deutsche Delegation einen breiter, global gefassten Entwurf präsentiert, der nicht etwa Israel einseitig verurteilt oder den Hamas-Terror verschweigt. Berichten Sie bitte von Ihren Bemühungen beim Zustandekommen der Mehrheitserklärung!
Bei der Festlegung eines sogenannten Dringlichkeitsthemas haben wir für die westliche „12plus“-Gruppe zusammen mit Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und Kanada überraschend eine ausgewogene Erklärung zu Frieden und multilateraler Krisenbewältigung auf die Tagesordnung bringen können. Ebenso überraschend wurde eine von einigen arabischen Ländern geplante völlig einseitige Verurteilung Israels, begleitet von lautstarken, antiisraelischen Äußerungen im Plenarsaal, nicht aufgesetzt. Nach diversen Vorgesprächen wurde das auch von vielen afrikanischen und südamerikanischen Ländern so unterstützt.
Dringlichkeitsthemen brauchen eine Zweidrittelmehrheit, um auf die Tagesordnung zu kommen. In das anschließend eingesetzte kleine Redaktionskomitee wurden von der 12plus-Gruppe Michelle Rempel Garner aus Kanada und ich selbst geschickt. Vertreten waren auch Jordanien, Palästina, Iran, Russland, Australien, Tschad, Argentinien, Mexiko und Burkina Faso. Nach massiven Versuchen, doch noch zusätzliche israelkritische Passagen einzufügen, haben wir uns darauf geeinigt, neben grundsätzlichen Formulierungen gar keine Beispiele zu nennen. Damit war dann zwar auch verbunden, auf das Nennen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine verzichten zu müssen. Ein akzeptabler Preis. Das wurde anschließend so vom Plenum abgesegnet.
Die IPU-Tagungen bieten jenseits der Tagesordnung die Möglichkeit bilateraler Treffen mit Delegationen anderer Länder. Mit welchen Ländern ist die deutsche Delegation am Rande der Herbsttagung zum Netzwerken zusammengekommen und worüber haben Sie gesprochen?
Zum „Netzwerken“ gibt es unzählige Gelegenheiten im Rahmen informeller Einzelgespräche. Aber wir haben uns auch wieder mit zahlreichen Delegationen zu 30- bis 45-minütigen Treffen verabredet. Dabei waren unter anderem Thailand, Vietnam und die Philippinen, um über die Sicherheitslage der Region zu sprechen. Intensive Gespräche gibt es immer mit den Nachbarn im Plenum: Aufgrund der alphabetischen Sitzordnung sitzen wir stets zwischen Ghana und Gambia. Vor allem hatten wir als Delegation bilaterale Treffen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Israel sowie zusätzlich ein gemeinsames Abendessen mit der israelischen Delegation in der Residenz unserer Botschafterin. Bei einem spontanen und informellen trilateralen Treffen mit den Delegationen aus den VAE und Israel wurde deutlich, dass sie auch untereinander ein sehr gutes und freundschaftliches Verhältnis pflegen. Das war sehr ermutigend für die Region und zeigt, dass die „Abraham Accords“ (Abkommen für Dialogbereitschaft im Nahen Osten von 2020) unsere volle Unterstützung verdienen, um dem Frieden in der Region näher zu kommen.
Was hat die Parlamentarier der Welt während der Herbsttagung noch beschäftigt?
Es gab noch einen weiteren sehr kontroversen Punkt. Die im letzten Jahr neu gewählte Präsidentin der IPU, die tansanische Parlamentspräsidentin Tulia Ackson hat am Rande eines Treffens der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) in Sankt Petersburg im Juli auch Präsident Wladimir Putin getroffen und sich nach Meinung vieler Delegierter unangemessen für die russische Propaganda ausnutzen lassen. Vielfach wurde diskutiert, ob das Treffen als solches möglicherweise schon nicht angemessen war. Mir persönlich war jedoch wesentlich wichtiger, wie sie diese Gelegenheit genutzt hat und ob sie gegenüber Präsident Putin auf die beiden IPU-Entschließungen für einen sofortigen Waffenstillstand verwiesen und ein Ende des Krieges gefordert hat. Das blieb aber auch in ihrem eigenen Redebeitrag bei der jetzigen Tagung offen.
(ll/29.10.2024)