Geschichte

Parlamentsjournalismus in Zeiten politischer Polarisierung

Donald Trump oder Kamala Harris, Republikaner oder Demokraten. Im Präsidentschaftswahlkampf zeigten sich die Vereinigten Staaten als tief gespaltenes Land. Aufgeheizte Diskussionen, verhärtete Fronten. Auf der Straße wie im Netz. Dabei ist gesellschaftliche Polarisierung bei Weitem nicht nur in den USA zu beobachten. Auch hierzulande ist die Liste an Themen mit Spaltpotenzial lang, die hiesige Debattenkultur verändert sich. 

Doch was bedeutet das für den Parlamentsjournalismus? Welche Rahmenbedingungen sind angesichts dieser Polarisierungstendenzen für guten, in der Bevölkerung breit rezipierten Journalismus in Deutschland notwendig? Und wie wirkt sich der technische Medienwandel aus? Mit diesen Fragen haben sich am Dienstag, 5. November 2024, dem Tag der US-Wahlen, Fachleute aus Politikwissenschaft und Journalismus im Rahmen der Veranstaltung „Forum W“ im Bundestag beschäftigt. 

Bundestag wird zur Nebenrolle

Die Bedeutung des Parlaments als zentraler Diskursort habe in den vergangenen Jahren erheblich abgenommen, sagte Dr. Silke Albin, Leiterin der Abteilung Außenbeziehungen, Europa und Analyse beim Deutschen Bundestag, die die Gesprächsrunde moderierte. Immer weniger Journalistinnen und Journalisten interessierten sich für die Dynamiken im Parlament als Debattenort der Republik. 

„Der Bundestag ist in der Medienberichterstattung in eine Nebenrolle verdrängt worden“, so Albin mit Verweis auf Untersuchungen. Als Ursachen seien demnach etwa der wirtschaftliche Druck und die Kommerzialisierung der Medien zu nennen sowie die Verlagerung des politischen Diskurses der Abgeordneten vom Bundestag auf andere Plattformen wie Talkshows und Social Media

Drei Personen stehen in einem Sitzungssaal nebeneinander und lächeln

Silke Albin (v.l.), Julia Reuschenbach und Stephan Detjen diskutierten über Parlamentsjournalismus in Zeiten politischer Polarisierung im Rahmen des „Forum W“ im Bundestag. (© Juliane Sonntag)

Krisenphänomene im Parlamentsjournalismus

Auch Stephan Detjen, Journalist und Leiter des Deutschlandradio-Hauptstadtstudios, beobachtet ein schwindendes Interesse an bundespolitischer Berichterstattung. Aus seiner Sicht steht der Parlamentsjournalismus aktuell vor enormen Herausforderungen. Er werde mit Entwicklungen konfrontiert, „die die Grundlage unseres Arbeitens in Frage stellen“, so Detjen. 

Ein Beispiel: der technische Medienwandel. „Der Zugang zu den Äußerungsmöglichkeiten, der früher technisch limitiert war, ist faktisch grenzenlose geworden.“ Mit dem Medienwandel etablierten sich neue Formen der Berichterstattung – was sich wiederum darauf auswirke, was und wie berichtet wird. Denn, so Detjen, „die Inhalte stehen in einem Wechselverhältnis mit den Formen der Medien“.

Fokus auf „sachlichen, fairen Diskurs“

Dazu kämen weitere Faktoren, etwa eine veränderte Medienökonomie mit Zeitungen, denen ihre Geschäftsmodelle wegbrächen, aber auch der soziale und demografische Wandel. So seien etwa junge Menschen keinesfalls unpolitischer, aber sie hätten einen anderen Zugang zu Politik. Darauf müssten die Medien ebenso reagieren wie auf veränderte politische Verortungen und neue Pluralitätserwartungen. 

Der beste Ansatz, um diesen Krisenphänomenen entgegenzuwirken, so Detjen, sei ein Parlamentsjournalismus, der sich auf „einen sachlichen, informierten, auf einen fairen Diskurs“ fokussiert. Von der Politik fordert der Journalist, „die Prozesse, die im Augenblick laufen, sehr kompetent und verantwortungsbewusst“ zu begleiten. Nichtsdestotrotz blickt Detjen positiv auf die „nach wie vor ungewöhnlich reiche Medienlandschaft“ in Deutschland. Das Bedürfnis nach Journalismus, der Vertiefung und Qualität biete, sei da. Solche Medien hätten eine Zukunft. 

Umgang mit Polarisierungsunternehmern

Die Politikwissenschaftlerin Dr. Julia Reuschenbach vom Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin warnte angesichts der Polarisierungstendenzen vor einer Naivität im Umgang mit sogenannten Polarisierungsunternehmern. So werde etwa oftmals der Maßstab „einer falsch verstandenen und vermeintlich notwendigen Neutralität“ im Umgang mit Akteuren angesetzt, „die selbst wiederum die Spielregeln, an die sich alle anderen halten“, ablehnen und zu unterwandern versuchten. 

Was die Rolle der sozialen Medien anbelangt, sprach sich Reuschenbach für mehr Regulierung gegenüber den Plattformen aus. Zum Beispiel, indem digitale Werbeeinnahmen gesteuert und digitale Gewalt verfolgt würden. Das allein werde allerdings nicht ausreichen, so die Politikwissenschaftlerin. Jede Verschwörungstheorie im Netz habe schließlich eine analoge Referenz. „Alles, was im Netz über Dynamik Verbreitung findet, wird im Analogen gedacht.“ 

Auch forderte Reuschenbach dazu auf, den Blick auf das eigene Verhalten im Internet zu richten: „Wenn wir wirklich etwas ändern wollen, dann müssen wir insgesamt darüber sprechen, wer sich medial wie verhält und informiert.“ Jede und jeder müsse sich etwa die Frage stellen, welche Schlagzeilen er oder sie selbst anklicke.  

Aushandlung über große Fragen

Von den Abgeordneten des Bundestages wünscht sich die Politikwissenschaftlerin mehr Mut, das Parlament wieder stärker zum Ort der Debatte werden zu lassen. Sie plädiert dafür, mehr Aushandlung über große Fragen zuzulassen – und zwar über Parteigrenzen hinweg. „Ich glaube, das würde sehr viel Vertrauen und sehr viel Verständnis in einer großen Breite der Bevölkerung erzeugen können.“

Darüber hinaus braucht es Reuschenbach zufolge eine „fundamental andere Form“, politische Bildung und Informationsbildung in der Schule zu betreiben ebenso wie mehr gesellschaftliche Debattenräume. Es sei wichtig, miteinander ins Gespräch zu kommen, zu argumentieren und einander zuzuhören. Denn das, so die Politikwissenschaftlerin, schaffe Gelegenheiten für Perspektivwechsel. (irs/06.11.2024)