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Wadephul: Der europäische Pfeiler in der Nato muss stärker werden

Johann David Wadephul spricht hinter dem Rednerpult im Plenum des Deutschen Bundestages.

Der CDU-Abgeordnete Johann David Wadephul leitet die Bundestagsdelegation zur Parlamentarischen Versammlung der Nato. (© DBT/Sebastian Rau/photothek)

Die Forderung Donald Trumps nach einer Steigerung der Verteidigungsbudgets der europäischen Nato-Mitglieder ist nichts Neues und „liegt ganz und gar in unserem Interesse“, sagt Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU), Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Nato (Nato PV) und frisch gewählter Vizepräsident der Versammlung, die vom 22. bis 25. November 2024 im kanadischen Montreal zu ihrer Herbsttagung zusammenkam. 

Viel zu lange habe sich Europa einfach auf die USA verlassen. „Wir müssen uns von der Illusion lösen, dass Sicherheit nichts kostet oder gar billig zu haben ist“, mahnt der Außen- und Verteidigungspolitiker. Im Interview spricht Wadephul über die wachsende Verantwortung Europas sowie darüber, wie der Ukraine jetzt bei ihrem Abwehrkampf gegen Russland zu helfen ist, was für eine Aufmerksamkeit hybride Bedrohungen mittlerweile erfordern und wie die Nato mit China umgehen sollte. Das Interview im Wortlaut:

Herr Dr. Wadephul, was bedeutet die Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten für die Nato? Steht zu befürchten, dass die USA ihr Engagement reduzieren? 

Die USA sind und bleiben unser wichtigster Partner in der Nato. Die berechtigten Forderungen nach einer balancierteren Lastenverteilung innerhalb des Bündnisses sind keine Forderung, die nur auf Donald Trump zurückgeht. Auch demokratische US-Administrationen wie die von Barack Obama und Joe Biden haben das gefordert. Doch Trump wird uns mit brutaler Offenheit an unsere eigenen Zusagen erinnern allen voran an die Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Er will, dass wir liefern, und es ist in unserem eigenen Interesse, dass wir liefern. Eine wirkliche Reduzierung des US-Engagements ist angesichts der Lage wenig wahrscheinlich. Und trotzdem sind die USA gezwungen, sich mehr im Pazifik zu engagieren, und auch ihre Ressourcen sind, wenn auch auf hohem Niveau, begrenzt. 

Vor allem nach der US-Wahl verstärkt sich der Eindruck, als seien die Europäer in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik nun zunehmend stärker auf sich gestellt. Kann Europa diese Rolle ausfüllen? 

Letztendlich bleibt das amerikanische Engagement innerhalb des Bündnisses unersetzlich. Die Vereinigten Staaten allein übernehmen fast zwei Drittel der Gesamtausgaben des Bündnisses. Wir haben uns als Europäer zu lange und zu umfangreich auf das Engagement der USA verlassen. Dies war unter den damaligen Verhältnissen eine finanziell, politisch und militärisch bequeme Position für uns, aber letztlich strategisch kurzsichtig. Vollkommen unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt, muss der europäische Pfeiler in der Nato stärker werden, weil das in unserem ureigenen Interesse ist. Mehr Verantwortung zu übernehmen, heißt nicht automatisch, dass man stärker auf sich allein gestellt ist. Es bedeutet aber, dass europäische Mitgliedstaaten in der Lage sein müssen, ihr eigenes Landes- und Bündnisgebiet verteidigen zu können. 

Der kommende US-Präsident hat wiederholt auch die Nato infrage gestellt. Sollten die anderen Mitglieder versuchen, Trump damit zu beeindrucken, dass sie mehr Geld in Hand nehmen, Stichwort: das Zwei-Prozent-Ziel jetzt wirklich dauerhaft erfüllen?

Es geht nicht darum, den künftigen US-Präsidenten mit Zahlen zu beeindrucken. Es geht darum, dass wir das auf dem Nato-Gipfel in Vilnius 2023 gemeinsam vereinbarte Ziel erfüllen, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung zu investieren. Wir müssen uns generell von der Illusion lösen, dass Sicherheit nichts kostet oder gar billig zu haben ist. Das verlangt von uns, dass wir eine ehrliche Debatte über die notwendigen Investitionen und Priorisierungen im Haushalt führen. Das Zwei-Prozent-Ziel war und ist kein Selbstzweck, sondern es ist eine Richtgröße für die dringend notwendigen Investitionen in unsere Verteidigung. 

Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine zieht sich hin. Auch wenn die Nato nicht involviert ist, koordinieren die Mitglieder dort ihre Unterstützung für Kyjiw. Wie geht es weiter mit der Hilfe für die Ukraine? Was braucht es, um der Ukraine zum Sieg verhelfen? 

Russland zielt mit seinen Angriffen gegen die Energieinfrastruktur des Landes darauf ab, die Menschen in der Ukraine zu zermürben, sodass sie einem Diktatfrieden zustimmen. Präsident Biden hat der Ukraine jüngst die Erlaubnis erteilt, weitreichende Raketen gegen Ziele diesseits der Grenze auf russischem Staatsgebiet einzusetzen. Damit wird es der Ukraine endlich möglich, die Depots, Flughäfen und Kommandozentralen im Hinterland der russischen Front zu bekämpfen. Es ist notwendig, dass wir als Nato-Partner weiterhin politisch geschlossen und vereint hinter der Ukraine stehen. Wir müssen die Ukraine auch weiterhin so unterstützen, dass sie sich gegen die laufend rollenden russische Angriffe verteidigen kann. Auf dem Nato-Gipfel in Washington im Juli hat die Allianz Militärhilfen von 40 Milliarden Euro für die Ukraine beschlossen, die innerhalb des nächsten Jahres fließen werden. Das war ein starkes und absolut notwendiges Signal an Kyjiw, dass wir bereit sind, langfristig die Sicherheit der Ukraine zu unterstützen. 

China ist nicht Russland, bezieht aber nicht explizit Position gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Wie sollte das Bündnis mit diesem auch für Deutschland wichtigen wirtschaftspolitischen Partner, der zugleich eine sicherheitspolitische Herausforderung ist, umgehen? 

Wir müssen China auch in punkto europäischer und transatlantischer Sicherheit noch stärker in den Blick nehmen. China liefert entgegen früheren Zusicherungen technische Komponenten und Dual-use-Güter, die Russland für seine Kriegführung braucht. Auch die Zahl der gemeinsamen Militärübungen von China und Russland ist seit 2017 drastisch gestiegen – darunter auch gemeinsame Marineübungen in der Ostsee. Der Umgang der Nato mit China ist damit nicht allein auf den indopazifischen Raum begrenzt, sondern berührt auch ganz konkret Europa. Wir müssen darum innerhalb des Bündnisses verstärkt darüber diskutieren, wie wir auf Chinas Politik im euro-atlantischen Kontext adäquat reagieren können. 

Was muss das Bündnis unternehmen, um hybride Bedrohungen und Desinformationskampagnen besser abzuwehren? Ist das Teil der 360-Grad-Verteidigung, wie sie auch in der in Abschlusserklärung an zentraler Stelle angesprochen wird?

Im Strategischen Konzept der Nato von 2022 hat das Bündnis bereits sehr deutlich die Gefahren umrissen, die durch hybride Bedrohungen für unsere Sicherheit ausgehen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass hybride Bedrohungen in Zukunft noch stärker zunehmen werden, sei es durch die Sabotage von Unterseekabeln, Desinformationskampagnen oder die gezielte Instrumentalisierung von Flüchtlingsströmen. Der russische Angriff auf die Ukraine wird begleitet von hybriden Maßnahmen und hat uns klar vor Augen geführt, dass es notwendig ist, darauf vorbereitet zu sein, um effektiv reagieren zu können. Hybride Bedrohungen agieren in einem uneindeutigen Umfeld und können weit über den rein militärischen Bereich hinausgehen. Im Bündnis müssen wir darum viel stärker auch die Fähigkeit gesellschaftlicher Widerstandsfähigkeit, der sogenannten Resilienz, mit einbeziehen. Wir müssen gemeinsam Foren, Strukturen und Instrumente entwickeln, um frühzeitig hybride Angriffe oder Kampagnen zu identifizieren und dann darauf in einem gesamtstaatlichen Ansatz reagieren zu können. Die Nato hat sich dazu auf den Weg gemacht, jetzt müssen die einzelnen Mitgliedstaaten selbst ihre Hausaufgaben machen, auch Deutschland. 

Was sind für Sie die wichtigsten Ergebnisse der Herbsttagung der Nato PV?

Entscheidend an der Nato PV ist der Austausch von uns Parlamentariern. Dieser bietet einen Einblick in die Diskussion und die Befindlichkeiten der Gesellschaften aller Mitgliedstaaten. Man konnte auch in Montreal quasi den Puls der fast eine Milliarde Menschen, die in der Nato leben, fühlen. Da werden Unterschiede sichtbar, etwa wenn es um den Fokus der Bedrohungen geht, vor allem aber die Gemeinsamkeiten. Und da nehme ich aus Montreal mit, dass das Gefühl des Bedrohtseins von allen geteilt wird. Wir waren uns alle einig, dass unsere demokratischen Gesellschaften militärisch direkt von Russland, aber auch indirekt von den Autokratien dieser Welt bedroht werden. Aus dieser nüchternen Analyse erwuchs in allen Diskussionen der Wille, noch stärker zusammenzustehen und Verteidigung und Abschreckung noch umfassender zu begreifen und sprichwörtlich die Ärmel hochzukrempeln.

Auf der Tagesordnung stand außerdem die Wahl eines neuen Präsidenten der Versammlung. Welche Erwartungen haben Sie an Marcos Perestrello?

Mit dem portugiesischen Abgeordneten Marcos Perestrello hat die Versammlung einmütig einen absolut erfahrenen Parlamentarier und glühenden Transatlantiker zum neuen Präsidenten gewählt. Er ist seit Jahren Mitglied in der Nato PV und genießt einen hervorragenden Ruf als Kommunikator und Koordinator. Seine Hauptaufgabe wird es sein, den Zusammenhalt in der Versammlung in diesen fordernden Zeiten zu wahren und die vielen neuen Themen, von Weltraum über hybride Kriegführung bis hin zu Künstlicher Intelligenz, in die Arbeit der Versammlung zu integrieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass Marcos Perestrello dies gelingen wird.

Herr Wadephul, Sie selbst sind zudem zum Vizepräsidenten der Versammlung und damit ins Präsidium gewählt worden. Was haben Sie sich vorgenommen? 

Marcos Perestrello und wir fünf Vizepräsidenten kennen uns seit Langem. Wir teilen die Überzeugung, dass die Nato PV wertvolle Impulse für die Entwicklung und die Diskussionen in der Nato insgesamt geben kann. Das ist heute wichtiger denn je, denn zum einen müssen Parlamentarier in unseren Gesellschaften zuhause dafür werben, mehr für unsere Verteidigung zu tun. Das heißt vor allem mehr Geld investieren, und das kann schnell zu Diskussionen um Prioritäten führen. Zum anderen ist die Nato PV selbst ein wirkungsvoller Ausdruck, was uns in der Nato vereint. Denn die Nato als Bündnis von Demokratien lebt von der freien, durchaus auch kontroversen Diskussion. Das kennen die Autokratien dieser Welt nicht, die sich derzeit immer mehr untereinander unterstützen. Insofern begreife ich meine Aufgabe in der Nato PV als wichtigen Beitrag in der schwelenden Auseinandersetzung zwischen Freiheit und Autokratie. 

Deutschland befindet sich in einer Zeit nicht weniger weltpolitischer Krisen und Konflikte im Wahlkampfmodus. Im Übergang zwischen zwei Legislaturperioden bietet die Delegation der Parlamentarier Kontinuität. Was für eine Botschaft senden Sie nach außen und nach innen? Deutschland ist im Bereich der Sicherheit und Verteidigung handlungsfähig und kommt seinen Verpflichtungen nach?

Die Herausforderungen der Welt warten nicht, nur weil wir in Deutschland im Wahlkampf sind. Darum ist es wichtig, dass wir nach den Bundestagswahlen und zügigen Koalitionsverhandlungen schnellstmöglich eine neue, sprechfähige Bundesregierung haben. Deutschland wird auch zwischen den Legislaturperioden seinen sicherheits- und verteidigungspolitischen Aufgaben nachkommen. Bei der Unterstützung der Ukraine und bei unseren Verpflichtungen innerhalb der Nato haben wir in den demokratischen Parteien der Mitte einen breiten, stabilen Konsens. Das zeigt, dass Deutschland ein verlässlicher Partner im Herzen Europas ist und bleiben wird. Die deutsche Delegation bleibt so lange in ihrer Zusammensetzung bestehen, bis eine neue Delegation vom neuen Bundestag zusammengestellt wurde. Das gewährleistet Kontinuität, was praktisch sehr wertvoll ist, da im Mai wieder eine große Konferenz, diesmal in den USA, zusammentrifft. 

Am Rand der Tagung ist die deutsche Delegation mit der Delegation der Ukrainer zu einem bilateralen Austausch zusammengekommen. Worum ging es da?

Am Rande einer jeden Konferenz kommt es zu einer Vielzahl von bilateralen Treffen. Auch das macht den Charme der Nato PV aus, denn wann kommt man schon problemlos mit den Kolleginnen und Kollegen aus über 33 Staaten so einfach zusammen? In Montreal stachen zwei Treffen der deutschen Delegation heraus. Zum einen ein gemeinsames Arbeitsmittagessen mit den Delegationen der Benelux-Staaten. Hier wurde wieder sehr deutlich, wie ähnlich wir unseren drei westlichen Nachbarn in Fragen der strategischen Kultur und der Lageeinschätzung sind. Zum anderen gab es ein Treffen mit der ukrainischen Delegation, das seit zwei Jahren im Grunde zur Regel bei jeder Konferenz geworden ist. Diesmal konnte man die Anspannung spüren, die die militärisch kritische Lage in der Ukraine verursacht. Natürlich ging es um Fragen der praktischen Unterstützung. Es ging aber vor allem darum, dass es keine Kriegsmüdigkeit bei den Unterstützern der Ukraine geben darf. Und hier konnten wir als deutsche Delegation fraktionsübergreifend garantieren, dass Deutschland weiterhin fest an der Seite der Ukrainer steht. (ll/02.12.2024)