Zeit:
Mittwoch, 15. Januar 2025,
11.15
bis 13.15 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.300
Der von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte Gesetzentwurf „zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts zur Vermeidung von temporären Erzeugungsüberschüssen“ (20/14235) stößt bei Sachverständigen auf Zustimmung. Die Regelungen seien vor dem Hintergrund eines weiterhin boomenden Photovoltaik (PV)-Ausbaus dringend nötig, um die Netzsicherheit zu gewährleisten und sollten daher noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden, hieß es übereinstimmend während einer Anhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie am Mittwoch, 15. Januar 2025. Beraten wurden außerdem die Gesetzentwürfe von SPD und Grünen zur Änderung des Bundesbedarfsplangesetzes (20/14242) und für einen Zuschuss zu den Übertragungsnetzkosten im Jahr 2025 (20/14026).
Gesetzentwurf von SPD und Grünen
Der Gesetzentwurf sieht vor, im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die Direktvermarktung auszuweiten und zu entbürokratisieren. Zudem sollen die Regelungen zur Vergütung von Erneuerbare-Energien-Anlagen in Zeiten negativer Preise angepasst sowie die Vermarktung kleinerer PV-Anlagen durch die Übertragungsnetzbetreiber reformiert werden.
Durch eine Ausweitung der Steuerbarkeitsanforderungen soll zudem gewährleistet werden, dass erneuerbare Energien zunehmend mehr Funktionen für die Systemsicherheit übernehmen.
„Wir brauchen wirksame Preissignale und Steuerungsmöglichkeiten“
Stefan Kapferer, Vorsitzender der Geschäftsführung des Netzbetreibers 50Hertz Transmission GmbH, sagte zum Thema PV-Spitzen: Die geplanten Maßnahmen seien dringend erforderlich. „Wir brauchen wirksame Preissignale und auch Steuerungsmöglichkeiten im System.“ Andernfalls könne es durch Erzeugungsüberschüsse zu Netzsituationen kommen, „in denen ganze Verteilnetzstränge und damit Endverbraucher temporär von der Stromversorgung getrennt werden müssen“.
Was die geplante Änderung des Bundesbedarfsplangesetzes (20/14242) angeht, die darauf abzielt, fünf weitere Netzausbauvorhaben zur Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung in die Anlage des Gesetzes und damit in den Bundesbedarfsplan aufzunehmen, um deren Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, so plädierte Kapferer dafür, dies in der nächsten Legislaturperiode anzugehen. Dabei müsse auch erörtert werden, ob der Ansatz, Erdkabel zu verwenden, der richtige sei. Auch zum Thema Strompreiszonen müsse eine Entscheidung der EU-Kommission abgewartet werden.
Verzug von mehreren Jahren befürchtet
Tetiana Chuvilina, Leiterin Politik beim Übertragungsnetzbetreiber TenneT TSO GmbH, sagte hingegen, da die Beschleunigung des Netzausbaus eines der wichtigsten energiepolitischen Themen gewesen sei, seien die Netzbetreiber im vergangenen Jahr seitens der Bundesregierung aufgefordert worden, die bis zum 30. Juni 2025 geltende Notfallverordnung „so weit wie möglich zu nutzen“. Auf dieser Basis seien Unterlagen zu vor der Genehmigung stehenden Vorhaben erarbeitet worden. Bekomme man diese Projekte jedoch nicht vor dem 30. Juni 2025 bestätigt, könne man die mit hohem Aufwand erarbeiteten Unterlagen „in die Tonne treten“, sagte Chuvilina. Stattdessen müsse auf die Verabschiedung des Bundesbedarfsplangesetzes durch die neue Bundesregierung gewartet werden. Das gesamte Verfahren, „inklusive der Trassenfindung“, müsse dann von neuem gestartet werden, sagte sie. Das führe zu einem Verzug von mindestens zwei Jahren für diese Projekte.
Nadine Bethge, stellvertretende Leiterin Energie und Klimaschutz bei der Deutsche Umwelthilfe (DUH), sah das ähnlich. Komme das Bundesbedarfsplangesetz nicht, müssten die bereits vorbereiteten Genehmigungsunterlagen für die fünf neuen Gleichstromprojekte wieder auf das alte Genehmigungsrecht umgestellt werden. Dann brauche es für die Planung wieder einige Jahre. Mit Blick auf die temporären Erzeugungsspitzen, sagte die DUH-Vertreterin, wenn ständig kleine und große Kapazitäten hinzukommen, die unabhängig vom Bedarf Strom liefern und ins Netz müssen, sei es verständlich, dass die Übertragungsnetzbetreiber Druck machen, weil sie die Steuerbarkeit von PV-Anlagen brauchen. Die dazu vorgelegten Regelungen seien sinnvoll und sollten beschlossen werden, sagte Bethge. Sie seien im Interesse aller, minimalinvasiv und gut für günstige Preise.
Vermeidung von Stromspitzen
Andrees Gentzsch, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), sprach sich dafür aus, das Maßnahmenpaket zur Vermeidung von Stromspitzen und zur Gewährleistung der Systemstabilität noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Darin fänden sich Dinge, die ohnehin benötigt würden, „unabhängig davon, wie die energiepolitischen Weichenstellungen der nächsten Bundesregierung aussehen“. Keine Regierung wolle „Brownouts“, also temporäre Stromversorgungsunterbrechungen, oder den PV-Ausbau schwächen.
Den PV-Ausbau nannte Gentzsch „enorm erfolgreich“. Allein 2024 seien 17 Gigawatt zugebaut worden. Diese exponentielle Zunahme führe aber auch zu Herausforderungen im Netz. Beispiel dafür sei die „Mittagsspitze“, die in das Netz hineindrücke, und bei der man schauen müsse, wie das Netz stabil bleibt.
„Wir brauchen den Netzausbau“
Für die Verabschiedung des Energiewirtschaftsgesetzes in der Fassung der Bundesregierung sprach sich Professor Dr. Lion Hirth von der Hertie School aus. Die Änderungsvorschläge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen schwächten den Entwurf hingegen an wesentlichen Stellen, befand er.
Zum Bundesbedarfsplangesetz sagte Hirth: „Wir brauchen den Netzausbau.“ In den vergangenen Jahrzehnten sei da einiges verschlafen worden. Der Netzausbau müsse aber mit intelligenten Maßnahmen verknüpft werden. Dazu, so Hirth, zähle vor allem die Teilung der deutschen Gebotszone, „die dazu führen würde, dass wir den teurer als gedachten Netzausbau nicht in dem Maße durchführen müssten, wie in den jetzigen Planungen enthalten“.
„Not-Aus“ und „Spitzenkappung“
Dr. Andreas Kießling, Leiter Politik beim Energieanbieter Bayernwerk AG, sagte, lasse man den Zubau bei PV-Anlagen einfach so weiterlaufen, erhöhe man weiter die mittägliche Erzeugungsspitze, was zu erheblichen Herausforderungen für einen sicheren Netzbetrieb führe. Kießling begrüßte die Gesetzesvorlage. Es brauche ein „Not-Aus“ für Bestandanlagen und scharfe Sanktionen bis hin zur Netztrennung, um die Erreichbarkeit insgesamt zu erhöhen. Wichtig sei auch das Thema „Spitzenkappung“ für Neuanlagen. Darin bestehe ein Anreiz für netzdienlichere Speicherung.
Basis für die Sicht- und Steuerbarkeit von Anlagen, so Kießling, sei das Smart Meter Rollout. Hier dürfe keine Zeit mehr verloren werden.
Speicher spielen zentrale Rolle
Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Solarwirtschaft (BSW), sagte, für die bessere Integration der wachsenden Mengen an Solar- und Windstrom in das Stromsystem spielten Speicher eine zentrale Rolle. So ist laut BSW von Projektierern allein für die nächsten zwei Jahren eine Verfünffachung der Großspeicher-Kapazität angekündigt worden. Schon heute warteten rund elf Gigawatt Leistung und 17 Gigawattstunden Speicherkapazität an Heimspeichern auf einen Rechtsrahmen, „der die flexible systemdienliche Nutzung ermöglicht, vereinfacht und anreizt“. Der zunehmende Speicherausbau gestatte es, den wachsenden mittäglichen solaren Stromerzeugungsgipfel bedarfsgerecht zu verlagern.
Nach Aussage von Körnig geht von PV-Anlagen kurzfristig keine Beeinträchtigungen für die Systemsicherheit aus. Wie im Gesetzentwurf vorgesehen, sei jedoch sicherzustellen, „dass die Netzbetreiber die steuerbaren Anlagen im Notfall auch wirklich steuern“. Bis das gewährleistet ist, könne kurzfristig eine zusätzliche Steuerbarkeit auch für kleinere Anlagen geschaffen werden, die auf vorhandener Technik wie Wechselrichtern und Energiemanagementsystemen aufbaut.
Planungssicherheit für Vorhabenträger
Prof. Dr. Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter bei der Stiftung Umweltenergierecht, plädierte dafür, die Novelle des Energiewirtschaftsrechts „trotz einiger Schwächen“ noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Weitere Schritte des Gesetzgebers müssten dann folgen.
Die Änderung des Bundesbedarfsplangesetzes und die damit erhofften Genehmigungserleichterungen aus der EU-Notfall-Verordnung stünden unter dem zeitlichen Druck der Befristung dieser Verordnung, so Müller. Die Rechtsänderung sollte daher zeitnah in Kraft treten, um für die Vorhabenträger der entsprechenden Netzausbauvorhaben im Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsbereich möglichst schnell Planungssicherheit zu schaffen. Nur dadurch werde ihnen die erforderliche Antragstellung bis Ende Juni möglich sein.
Netzentgeltzuschüsse durch den Bund
Dr. Carsten Rolle, Abteilungsleiter Energie- und Klimapolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), sprach von großen Herausforderungen, denen die deutsche Industrie derzeit gegenüberstehe. Dies habe auch mit den Stromkosten zu tun, die im internationalen Vergleich sehr hoch seien und dies auch bleiben würden, weil es ein strukturelles Problem sei, machte Rolle deutlich. Netzentgeltzuschüsse durch den Bund seien ein Mittel, um Abhilfe zu schaffen. 2023 sei das mit den 5,5 Milliarden Euro an Zuschüssen gelungen.
Leider sei das 2024 nicht fortgesetzt worden, was zu einer Verdopplung der Netzentgelte geführt habe. Dieses Instrument gelte es wieder scharf zu stellen, forderte der BDI-Vertreter. Damit es Wirksamkeit erlange, müsse die Größenordnung aber eher bei sechs Milliarden Euro statt der im Entwurf von SPD und Grünen (20/14026) geplanten 1,32 Milliarden Euro liegen.
Rechtssicherheit für Betreiber für Überbauungsprojekte
Dr. Matthias Stark, Abteilungsleiter Erneuerbare Energiesysteme beim Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), zeigte sich erfreut, dass mehrere vom BEE angemerkte Punkte zur systemförderlichen Ausgestaltung der Überbauung von Netzverknüpfungspunkten (NVP) in der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes enthalten seien. Dies trage dazu bei, sowohl den Netz- als auch den Anlagenbetreibern für Überbauungsprojekte die notwendige Rechtssicherheit zu geben.
Die Überbauung von Netzverknüpfungspunkten sorge nicht nur dafür, dass man schneller und kostengünstiger ins Netz komme und die PV-Spitzen Thematik lösen könne. Sie sorge vor allem dafür, „dass wir die Netzinfrastruktur besser nutzen und mittelfristig in der Lage sein werden, den Re-Dispatch zu mindern“, sagte Stark. (hau/15.01.2025)