Kontroverse über Zurückweisung Asylsuchender an deutschen Grenzen
Im Bundestag ist es am Donnerstag, 5. Juni 2025, zu einer scharfen Kontroverse über die Zurückweisung Asylsuchender an deutschen Grenzen gekommen. Während Vertreter der Regierungskoalition die Zurückweisungen verteidigten, äußerten Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke massive Kritik an dieser Praxis. Die AfD wandte sich gegen Forderungen nach Abschaffung der Grenzkontrollen. Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel.„Europarecht einhalten, Schutzbedürftige schützen, Zurückweisungen an den Binnengrenzen beenden“(21/341) und der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Zurückweisung von Schutzsuchenden beenden“ (21/342) wurden im Anschluss an die Debatte zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. Federführend ist der Innenausschuss.
Grüne: Ohrfeige für einen nationalen Alleingang
Britta Haßelmann (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom Montag, 2. Juni, zur Zurückweisung von drei somalischen Asylsuchenden zeige, dass an den Zurückweisungen „so ziemlich alles“ europarechtswidrig sei. Der Beschluss des Gerichts sei eine „schallende Ohrfeige für einen nationalen Alleingang“, der bei den Nachbarn Deutschlands maximale Irritation ausgelöst habe.
Es sei „rechtswidrig mit Ansage“ und bleibe rechtswidrig, fügte Hasselmann hinzu und forderte eine Rücknahme der entsprechenden Anordnung. Für die betroffenen Schutzsuchenden und die Bundespolizisten sei es eine Zumutung, seit dem Gerichtsbeschluss täglich zu hören, dass diese Anordnung weiter Bestand habe.
CDU/CSU: Gerichtsbeschluss wird respektiert
Alexander Throm (CDU/CSU) entgegnete, der Beschluss des Verwaltungsgerichts werde „selbstverständlich respektiert“ und umgesetzt, aber nur so weit, wie die Zuständigkeit und Entscheidungskompetenz dieses Gerichts reiche, und nicht über die drei somalischen Staatsbürger hinaus. Deutschland sei seit Jahren Hauptziel illegaler Migration, und dies werde die Regierungskoalition auch durch Grenzkontrollen und Zurückweisungen beenden.
Dies betreffe die Wahrung der öffentlichen Ordnung, um die es auch in Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gehe. Auch alle Nachbarstaaten der Bundesrepublik seien froh, dass es „endlich eine konsequentere Haltung in der Migrationspolitik“ Deutschlands gebe.
AfD: Union in juristischer Sackgasse
Christian Wirth (AfD) kritisierte, die Forderung, Grenzkontrollen abzuschaffen, sei „zu dieser Zeit die Forderung nach der Aufgabe der nationalen Souveränität, der inneren Sicherheit, des Sozialstaates und unseres kulturellen Erbes“. Das Verwaltungsgericht Berlin habe entschieden, dass „die Notlage nach Artikel 72 AEUV“ keine Rechtsgrundlage für die Zurückweisung sei.
Die CDU/CSU habe sich jedoch seit 2024 auf diese Notlage als Rechtsgrundlage für Grenzkontrollen und -schließungen versteift. Dies sei eine „juristische Sackgasse“. Solange die Europäische Union die Außengrenzen nicht schützen und kein wirksames Asylrecht installieren könne oder wolle, müsse die Bundesrepublik „zwingend deutsches Recht anwenden, um unsere Grenzen zu schützen“.
SPD: Europäisches Recht gilt uneingeschränkt
Sebastian Fiedler (SPD) betonte, dass Flüchtlinge, die die Europäische Union als „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ erreicht haben, sicher seien. Sie könnten sich aber nicht aussuchen, wo ihr Asylverfahren durchgeführt wird. Dazu seien in Europa Zuständigkeitsregeln vereinbart worden, und „die gelten“.
Das europäische Recht gelte uneingeschränkt, „ungeachtet der Tatsache, dass sich viele nicht daran halten“. Fiedler sah zugleich auch Diskussionsbedarf innerhalb der Koalition. Er habe „Bauchschmerzen damit, wenn wir in die Welt ausstrahlen, hier herrsche eine Notlage“. Er wolle nicht abstreiten, dass es in den Kommunen große Probleme gebe, aber mit dem Begriff der Notlage „sollten wir etwas zögerlich sein“.
Linke: Exekutiver Ungehorsam von oben
Clara Bürger (Die Linke) kritisierte, Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) habe die Weisung erlassen, dass Schutzsuchende an den deutschen Grenzen ohne Prüfung ihres Asylgesuchs zurückgewiesen werden. Er habe die Bevölkerung mit einer „erfundenen Notlage angelogen“, die bis heute nicht belegt worden sei. Seine Politik habe jedoch vom Verwaltungsgericht Berlin eine „Klatsche bekommen“.
Man erlebe einen „exekutiven Ungehorsam von oben, bei dem die Regierung Urteile ignoriert, EU-Recht beugt, Grundrechte aushöhlt und sich so über den Rechtsstaat stellt“. Dies sei gefährlich und der „Anfang vom Ende einer liberalen Demokratie“.
Antrag der Grünen
Die Fraktion fordert die Bundesregierung auf, die Zurückweisung von Asylsuchenden an Deutschlands Grenzen unverzüglich zu unterlassen und die stationären Binnengrenzkontrollen zu Deutschlands Nachbarländern nach dem Schengener Grenzkodex aufzuheben. Stattdessen solle sie Schutzsuchenden, insbesondere Vulnerablen, ein geordnetes, faires Verfahren gewähren und ihre Schutzersuchen prüfen, „wie im Asylgesetz und in der Dublin-III-Verordnung vorgesehen“. Gemeinsam mit anderen Staaten solle sie sich im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit für legale und sichere Zugangswege durch humanitäre Visa und europäische Resettlement-Programme einsetzen.
Mit der möglichen Heranziehung von Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der die Begründung einer nationalen Bedrohungslage für die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit erfordert, beugt die Bundesregierung nach Ansicht der Grünen-Fraktion EU-Recht. Sie handle derzeit ohne rechtssichere Entscheidungsgrundlagen und habe sich entgegen anderslautenden Aussagen offenkundig nicht mit den europäischen Partnern abgestimmt. „Nationale Alleingänge an den Binnengrenzen schaden Europa“, urteilen die Abgeordneten.
Antrag der Linken
Die Bundesregierung soll nach dem Willen der Fraktion Die Linke die „Zurückweisung von Schutzsuchenden beenden“. In ihrem Antrag (21/342) fordert die Fraktion die Bundesregierung auf, keine direkten Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den deutschen Grenzen mehr vorzunehmen, eine Weisung des Bundesinnenministeriums vom 7. Mai 2025 an die Bundespolizei zurückzunehmen „und EU-Asylrecht wieder einzuhalten“.
Auch soll die Bundesregierung der Vorlage zufolge die Bundespolizei anweisen, bei Kontrollen unerlaubt einreisender Personen „ausdrücklich nachzufragen und zu dokumentieren, ob ein Asylgesuch vorliegt, um rechtswidrige Zurückweisungen von Schutzsuchenden auszuschließen“. Schutzsuchende dürften nicht an den EU-Binnengrenzen zurückgewiesen werden, schreibt die Fraktion. Es sei „in einem geregelten Dublin-Verfahren zu klären, welches Land für die Asylprüfung zuständig ist“. Dies könne auch Deutschland sein, etwa bei hier lebenden engen Verwandten. (sto/05.06.2025)