Vor 75 Jahren: Bundestag stimmt für Beitritt zum Europarat
![Bundeskanzler Konrad Adenauer ist am 2. Mai 1951 feierlich als gleichberechtigtes Mitglied in die Sitzung des Ministerausschusses des Europarates eingeführt worden. (l-r): Der Protokollchef der Bundesregierung, Baron Hans-Heinrich Herwarth von Bittenfeld, Bundeskanzler und Außenminister Konrad Adenauer, Staatssekretär Walter Hallstein, der Direktor der Abteilung Europa in Frankreich, François Seydoux und der französische Außenminister Robert Schuman. Der deutsche Bundeskanzler und Außenminister Konrad Adenauer ist am 2. Mai 1951 feierlich als gleichberechtigtes Mitglied in die Sitzung des Ministerausschusses des Europarates in Straßburg eingeführt worden. [dpabilderarchiv]](/resource/blob/451030/23aeaa0485a3e37bcf167e1a25adc481/Image16x9_big.png)
Bundeskanzler Konrad Adenauer ist am 2. Mai 1951 feierlich als gleichberechtigtes Mitglied in die Sitzung des Ministerausschusses des Europarates eingeführt worden. (© dpa - Bildarchiv)
Einheit und Zusammenarbeit in Europa fördern – mit diesem Ziel hatten am 5. Mai 1949 zehn europäische Staaten in London die erste zwischenstaatliche politische Organisation Europas gegründet: den Europarat. Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen beschloss der Bundestag nach der dritten Lesung am Donnerstag, 15. Juni 1950, den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Europarat (1/984).
Wegen des Besatzungsstatuts war es für die junge Bundesrepublik am 13. Juli 1950 jedoch zunächst nur möglich, assoziiertes Mitglied zu werden. Als solches konnte sie Vertreter in die Parlamentarische Versammlung des Europarates entsenden. Der Zugang zum Ministerkomitee, das sich aus den Außenministern der Mitgliedstaaten zusammensetzt, blieb ihr verwehrt. Erst nach der Revision des Besatzungsstatuts wurde Deutschland am 2. Mai 1951 Vollmitglied. Das Saarland blieb ein assoziiertes Mitglied, bis es 1957 Teil der Bundesrepublik wurde.
Beitritt der Bundesrepublik war umstritten
Schon kurz nach der Gründung beschäftigte sich die Beratende Versammlung des Europarates in ihrer ersten Sitzungsperiode im August 1949 mit einem möglichen Beitritt der Bundesrepublik, die am 23. Mai 1949 gegründet worden war. Das Thema war nicht unumstritten.
Winston Churchill hatte jedoch bereits in seiner Züricher Rede am 19. September 1946, in der er zu einer Bildung der „Vereinigten Staaten von Europa“ aufrief, deutlich gemacht, dass eine solche Organisation unter Einbindung Deutschlands entstehen müsse. Dahinter stand auch die Idee, dass Deutschland durch Inklusion in eine europäische zwischenstaatliche Organisation besser kontrolliert werden könnte.
Somit war es wenig überraschend, dass Churchill sich bereits in der ersten Sitzung der Beratenden Versammlung für eine sofortige Aufnahme Deutschlands aussprach. Andere Versammlungsteilnehmer waren hingegen zurückhaltender und forderten, dass Deutschland zunächst seine „Demokratiefähigkeit“ beweisen müsse. Letztlich setzten sich die Befürworter einer zeitnahen Aufnahme Deutschlands durch, und der Europarat sprach Deutschland am 30. März 1950 eine Einladung aus.
Kontroverse Debatte im Bundestag
Allerdings war der Beitritt Deutschlands zum Europarat auch in der deutschen Innenpolitik umstritten. Über die Möglichkeit einer assoziierten Mitgliedschaft hatte der Bundestag das erste Mal am 13. Juni 1950 debattiert – und vor allem gestritten. Die sechsstündige Debatte war geprägt von den Differenzen zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und dem SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher.
Obwohl Adenauer und Schumacher dieselben Ziele verfolgten – vollständige Souveränität und Gleichberechtigung Deutschlands, Abschaffung des Besatzungsstatuts, Einheit Deutschlands –, gingen ihre Meinungen darüber, welcher Weg der richtige wäre, weit auseinander.
Adenauers Politik der Westbindung
Adenauer strebte die vollständige Souveränität und Gleichberechtigung Deutschlands über den Weg der Integration, die Bindung an den Westen und die Integration Europas an. Auf dem Weg zur Wiedereingliederung Deutschlands in die Gemeinschaft der Völker war für Adenauer das Petersberger Abkommen ein notwendiger erster Schritt, dem weitere folgen mussten.
Dieses Abkommen vom 22. November 1949 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Alliierten Hohen Kommission ermöglichte der Bundesrepublik die Herstellung konsularischer und wirtschaftlicher Beziehungen sowie den Beitritt zum Europarat – Beziehungen, die das zuvor geltende Besatzungsstatut nicht erlaubte.
Auch die Einrichtung eines Außenministeriums wurde erst durch eine weitere Änderung des Besatzungsstatuts am 6. März 1951 möglich. Erster Außenminister der Bundesrepublik wurde, zusätzlich zu seinem Amt als Bundeskanzler, Konrad Adenauer.
„Historische Bedeutung des Beitritts“
Entschieden plädierte eben jener spätere Außenminister während der Plenardebatte am 13. Juni 1950 für den Beitritt zum Europarat. Die Entscheidung sei von historischer Bedeutung, im Interesse des deutschen Volkes und der deutsch-französischen Verständigung.
Eine überwältigende Mehrheit der Deutschen wäre dafür, appellierte er an die SPD. Eine Opposition hätte die Gesamtinteressen des deutschen Volkes zu berücksichtigen und sie müsse sich die Fähigkeiten bewahren über ihren Parteiinteressen das Gesamtinteresse des Volkes zu sehen. Es sei nötig, die Einladung anzunehmen. Eine Ablehnung sei nicht nur die Ablehnung des Westens, sondern würde auch die Negierung des Schuman-Plans und die Vereitelung eines föderativen Europa bedeuten, betonte Adenauer.
„Gefahr der Wiederaufrüstung“
Schumacher hingegen forderte von den Alliierten die sofortige vollständige Gleichberechtigung und Souveränität Deutschlands, die freie Entscheidung des deutschen Volkes über das Eigentum an seiner Wirtschaft. Das Petersberger Abkommen war für ihn kein „erster Schritt“, sondern verfassungswidrig.
Einen Beitritt Deutschlands ohne die volle Gleichberechtigung und Souveränität, „als Land des Besatzungsstatuts und der hohen Kommissare, mit dem maßgebliche Mitglieder des Europäischen Rates sich heute noch im Kriegszustand befinden“, lehnte er ab und widersprach energisch: Man solle nicht übersehen, dass Erleichterungen der Bundesrepublik nur gewährt würden, um sie gegenüber dem östlichen Satellitensystem lebens- und konkurrenzfähig zu machen. Für Deutschland sähe er so die Gefahr der Wiederaufrüstung.
Schumacher: Zementierung der Teilung
Ein deutscher Beitritt, kritisierte Schumacher, hätte nicht nur die Zementierung der deutschen Teilung und die Anerkennung der Saarbedingungen zur Folge, sondern auch die Teilung Europas. Resteuropa dürfe nicht in zwei Teile zerschnitten werden, es dürfe kein System regionaler Pakte geben, mahnte er.
Man schaffe ein Europa, das schwächer sei, als es zu sein brauche. Der Europäische Rat sei nur stark, wenn er kein Übereinkommen der Regierungen, sondern ein Pakt der Völker sei. Europa könne nicht auf Grundlage vorwiegend geschäftlicher Interessen geschaffen werden, so die Argumentation. Entsprechend lehnte er die Pläne der Bundesregierung zur Westintegration ab.
Koalition stimmt zu
Trotz dieser Widerstände stimmte der Bundestag dem Beitritt Deutschlands zum Europarat nach der dritten Lesung am 15. Juni 1950 mehrheitlich zu: In namentlicher Abstimmung votierten 218 Abgeordnete für den Gesetzentwurf der Bundesregierung – bei 151 Gegenstimmen und neun Enthaltungen. Der Europarat wurde dadurch zur ersten internationalen Organisation, der Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg beitrat. (klz/wd/10.06.2025)