SED-Opferbeauftragte

Gespräch über politische Haft: „Das Schwierigste war die psychische Folter“

Sie haben ihm mit Wasser gefüllte Plastikflaschen auf den Kopf geschlagen, ihn mit nassen Handtüchern ausgepeitscht oder eine Tüte um seinen Kopf gezogen und in diese dann Tränengas gesprüht. Das Schwierigste aber, so erzählt der aserbaidschanische Menschenrechtsaktivist Arif Yunus, der 2014 gemeinsam mit seiner Ehefrau verhaftet und zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde, sei die psychische Folter gewesen. 

„Wenn man in einer winzigen Zelle ganz allein ist mit seinen Gedanken, keinen anderen Menschen sieht und voller Sorge um seine Angehörigen ist, verliert man den Verstand“, sagte er bei einem durch die Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur, Evelyn Zupke, am Donnerstag, 13. November 2025, ausgerichteten öffentlichen Fachgespräch zu dem Thema „Menschenrechte im Fokus: Politische Haft und ihre gesundheitlichen Folgen“. 

„Für die Aufseher sind Sie kein Mensch mehr“

Die Erfahrung, als politischer Häftling im Gefängnis gesessen zu haben, teilt er mit seiner Frau. Leyla Yunus nennt die Zeit in Haft die schlimmste in ihrem Leben. Bei dem Fachgespräch machte sie klar, dass die Erfahrung, im Gefängnis zu sitzen, immer schlecht ist. Ganz besonders gelte das aber in einer Diktatur. „Für die Aufseher sind Sie dann kein Mensch mehr“, sagt sie. 

Leyla hält zwei Fotos von sich hoch. Das eine zeigt eine gesunde dynamische Frau im besten Alter das zwei Jahre später nach der Haft aufgenommene Foto hingegen eine grauhaarige körperlich gebrochene Frau, die sich auf einen Stock stützen muss, um sich bewegen zu können und bei der eine Diabetes diagnostiziert wurde. Sie sei im Gefängnis geschlagen und vorsätzlich mit Hepatitis C infiziert worden, sagte sie. „Für mich hatte die Haft gravierende Folgen“, so Leyla Yunus.

Ein Ende der Folter dank öffentlicher Solidarität

Wie sie denn die öffentliche Solidarität mit ihnen wahrgenommen haben, wollte die SED-Opferbeauftragte wissen. Zuerst einmal gar nicht, sagte Arif Yunus, weil er in Einzelhaft war und davon nichts mitbekommen hat. Nach zwei Monaten aber hörte die Folter auf, er bekam Besuch von seinem Anwalt. So erfuhr er von den Aktivitäten im Ausland, für die er sehr dankbar ist. Exemplarisch nennt er eine Entschließung des Europäischen Parlaments im Jahre 2014 „zur Unterdrückung in Aserbaidschan“, in der seine Frau und er explizit genannt wurden. 

Leyla und Arif Yunus leben heute in den Niederlanden und setzen sich von dort aus für die Menschenrechte in ihrer Heimat ein. Was dabei an Unterstützung nötig sei, wird Arif gefragt und antwortet sofort: „Sanktionen.“ Noch immer gebe es rund 400 politische Gefangene im Land, die auch Folter ausgesetzt seien. Er verglich die Diktatur in Aserbaidschan mit der in Belarus. Der Unterschied? „Unser Diktator hat Öl und Gas, Lukaschenko nicht“, sagte er und plädierte dafür, Sanktionen nicht den Öl- und Gasinteressen zu opfern.

Massive gesundheitliche Auswirkungen politischer Haft

Mit den gesundheitlichen Folgen politischer Haft in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR hat sich die Psychologin Tolou Maslahati Kochesfahani von der Berliner Charité befasst. Ihren Erkenntnissen nach leiden ehemalige politische Häftlinge signifikant häufiger an psychischen und körperlichen Erkrankungen als die Allgemeinbevölkerung. Zu den psychischen Erkrankungen zählten unter anderem posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Angststörungen, während körperliche Erkrankungen beispielsweise Krebs und Herzinsuffizienz umfassten.

„Insgesamt gesehen haben die Betroffenen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eine schlechtere Lebensqualität“, sagte sie. Sei seien sozioökonomisch benachteiligt und hätten eine erhöhte Pflegebedürftigkeit im Alter. „Wir sehen also massive gesundheitliche Auswirkungen der politischen Haft.“ 

Die Psychologin verwies auf ein weiteres Ergebnis ihrer Studien: „Anerkennung schützt, fehlende Anerkennung schadet.“ Es müsse also dafür gesorgt werden, dass die Betroffenen sozial integriert sind, benötigte Unterstützungen bekommen „und gesehen und gehört werden in ihren Bedürfnissen“. Sie müssten die Leistungen bekommen, die sich brauchen, „ohne dafür kämpfen zu müssen“, forderte Kochesfahani. 

Poppe: Der Eindruck, Widerstand lohnt sich nicht, ist sehr problematisch

Genau das passiert aus Sicht der DDR-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe, die selbst sechs Wochen im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen saß, ehe sie aufgrund massiver Proteste im In- und Ausland wieder freigelassen wurde, eben nicht in ausreichendem Maße. Der heutigen Generation sei nicht immer bewusst, dass Demokratie und Freiheit kein Geschenk sind, sondern, dass Menschen dafür Opfer gebracht, schwere Risiken in Kauf genommen und Benachteiligungen erlitten hätten. Diese Menschen dürften heute nicht als Verlierer dastehen, nicht als diejenigen, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen hätten und nicht als Versager, betonte Poppe. 

Genau so aber empfänden sich manche der früheren Widerstandskämpfer. Viele litten unter den Auswirkungen der Haft, seien beruflich später nicht mehr auf die Beine gekommen, lebten heute unter sehr prekären Verhältnissen mit Mindestrenten und würden in unserer Leistungsgesellschaft als Versager gelten. Wenn der Eindruck entsteht: Widerstand lohnt sich nicht, sei das sehr problematisch. Denjenigen, die sich seinerzeit angepasst, das Regime in Kauf genommen oder es sogar aktiv unterstützt haben, gehe es heute vielfach besser. „Das verbittert manche“, sagte Poppe. 

Noch immer kein Mahnmal für die Opfer der kommunistischen Diktatur

In diesen Kontext passt auch, dass das geplante Mahnmal für die Opfer der kommunistischen Diktatur auch 35 Jahre nach dem Ende der DDR noch immer nicht existiert. 

„Das ist ein Wahnsinnsdefizit“, befand Gesine Oltmanns, eine der Mitorganisatorinnen der Montagsdemos in Leipzig im Herbst 1989. „Es braucht diesen zentralen Ort, der mahnt und der den Opfern auch gerecht wird“, sagte sie. (hau/13.11.2025)