Lesungen
Isabella Sofia Vazza (1)
Mein Name ist Isabella Sofia Vazza und ich komme aus Italien. Die Verbindung meiner Familie zum Volksbund reicht bis in die 1950er Jahre zurück und begann mit meinem Großvater.
Er hieß John, er war chinesischer Herkunft und wurde 1929 geboren. In den 1950er Jahren kam er nach Spanien und lebte dort als Flüchtling, wo er an der Universität Medizin studierte. In diesen Jahren machte ihn sein Cousin auf die internationalen Workcamps des Volksbundes aufmerksam. Bald darauf, meldete er sich an und verbrachte mehrere Sommer bei den ersten vom Volksbund organisierten Workcamps auf dem Soldatenfriedhof von La Cambe, in Frankreich.
Mehr als fünfzig Jahre später entdeckte mein Bruder Nicola dieses Engagement seines Großvaters, da er sich leidenschaftlich für die Familiengeschichte interessiert und als Archäologe für Konfliktgeschichte arbeitet. Im Jahr 2015 nahm er dank unserer Mutter an seinem ersten Workcamp in La Cambe teil.
Seine Begeisterung inspirierte mich, im folgenden Jahr auch an einer internationalen Jugendbegegnung teilzunehmen. Ich war siebzehn und ich erinnere mich noch lebhaft an die Aufregung am Abend vor der Abreise und die Vorfreude darauf, Menschen aus aller Welt zu treffen.
Die Erfahrung übertraf meine Erwartungen. Während wir einige Tage auf der Kriegsgräberstätte arbeiteten, entwickelten sich aus unserer gemeinsamen Arbeit dauerhafte Freundschaften, die mich bis heute begleiten. Gleichzeitig erlebten wir auch gemeinsame Momente des Gedenkens. Das Lesen der Biografien derer, die einst auf denselben Straßen gingen, auf denen wir standen, und die nun in der Erde ruhen, hinterließ einen tiefen Eindruck bei uns. Als wir auf den Friedhöfen standen, wurde uns bewusst, wie privilegiert wir sind an einem Ort des Friedens zu leben – und wie wichtig es ist, diesen Frieden zu schätzen und zu bewahren.
Die ehrenamtliche Arbeit beim Volksbund war für mich über Jahre ein unschätzbares Geschenk. Sie hat mir die Möglichkeit gegeben, bleibende Freundschaften zu knüp-fen, Empathie und Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln und aufmerksamer, sensibler und mitfühlender zu handeln.
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Matteo Atticciati (2) | spricht italienisch
My name is Matteo Atticciati.
Last year, I took part in the Yellow Route of Project Peaceline, a journey through the Western Balkans a region which was devastated, just a few decades ago.
Listening to the eyewitnesses of the genocide in Srebrenica, or the atrocities of the long siege of Sarajevo, I discussed – together with thirty young Europeans –the challenges of creating shared memories and common understandings of the past. We were exposed to stories of hate and grief but also dialogue and hope. We had the chance to share our national and family stories of conflict and resistance.
I never felt more European than during that journey. Listening to my companions, I learned that it is possible to cultivate a culture of memory and remembrance of the horrors that bled our continent in the twentieth century. That it is possible to transform remembrance into an exercise of collective resistance. A necessary exercise in the face of the daily atrocities and massacres committed in Kyiv, in Gaza, or Khartoum. We have been told by our grandparents who witnessed the nihilistic hate of fascism and the brutal oppression of soviet communism what the costs of indifference are. We have read about the tragic price of inaction. We have heard from the survivors of
genocide what happens when governments and people remain silent. There is a generation that is committed to safeguarding those memories passed by previous generations, and to transform those memories into collective resistance against the horrors of our present. As remembering is a responsibility that is passed from one generation to another, a torch that must be kept forever alight to prevent the emories of what happened from disappearing.
In this city, decades ago, taunting a wall and a repressive system built to dehumanize people, a man said that the proudest words were “Ich bin ein Berliner.” Today, even if our governments remain motionless,motionless, when I see my fellow citizens taking the streets
for the rights of the oppressed, I believe that the time will come when the proudest words may be „Ich bin ein Europäer.“
2.157 Zeichen | 2:35 (italienisch)
Leutnant Lea Schuster (3)
Auf meinen Begegnungen als Jugendleiterin durfte ich den für mich friedlichsten Ort der Welt kennenlernen: Die deutsche Kriegsgräberstätte am Monte Cassino in Italien. Begleitet vom Duft der Pinienbäume steigt man Steintreppen hinauf und findet sich
auf einem Hügel inmitten von 4.000 Steinkreuzen wieder, die an über 20.000 dort ruhende Soldaten erinnern. Eingebettet in heilender Natur erinnert dieser Ort an das Leid der Vergangenheit.
Mein Name ist Lea. Ich bin Psychologiestudentin der Universität der Bundeswehr in Hamburg und durfte den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge drei Jahre als ehrenamtliche Jugendleiterin in Italien begleiten. Während meiner Grundausbildung bin ich das erste Mal mit dem Volksbund in Berührung gekommen. Mir liegt diese Arbeit, gerade weil ich Soldatin bin, besonders am Herzen.
Am Monte Cassino begegnen sich deutsche und polnische Jugendliche. Gemeinsam säubern sie Grabsteine und zeichnen die Namen der Kriegstoten nach: die Namen von Soldaten, die im selben Alter wie sie waren. Dank vieler Feldpostbriefe öffneten sich neue Perspektiven auf den Soldaten als Mensch: Ein junger Mann, der ganz andere Vorstellungen und Wünsche vom Leben hatte als seinen eigenen Tod.
Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Camp in Cassino. Nach unserer Gedenkveranstaltung begegneten wir einer Frau mit ihrer Mutter, die an diesem Tag das Grab ihres Vaters zum ersten und vermutlich wohl auch zum letzten Mal besuchte. Ein besonderer Moment, der Einmaligkeit und Endgültigkeit vereinte. Mitzuerleben, wie dankbar Angehörige für unser Engagement sind hat mich bis heute geprägt und berührt.
Dieses Ehrenamt mache ich nicht nur weil ich Soldatin bin. Ich stehe hier heute auch als Mensch, dem ein Leben in Sicherheit und Frieden wichtig ist. Ich bin überzeugt, dass dies ein Ansatz und Beitrag zur Friedensbildung ohne Waffen ist. Nichts ist so abstrakt wie ein Krieg, vor allem für junge Menschen.
Die Hoffnung bleibt: Jugendliche, die ihre gemeinsame, aber konträre Geschichte aufgearbeitet haben, werden sich nicht eines Tages mit Waffen gegenüberstehen. Wenn wir gemeinsame Werte erarbeiten und Berührungspunkte schaffen, dann sind das wertvolle Spuren auf einem richtigen Weg.
2.253 Zeichen | 2:40 Minuten
Dominic Lagoski (4)
Mein Name ist Dominic Lagoski.
Ich wurde 1996 in einer mecklenburgischen Kleinstadt geboren. Trotz aller Umbrüche der Wendezeit durfte ich behütetet aufwachsen. Dabei hat mich besonders mein Großvater geprägt. Er Jahrgang 1944 hat selbst den Krieg nicht mehr bewusst erlebt. Aber durch die Weitergabe der Familienerzählungen brachte er mir diese Zeit nahe.
Unser gemeinsames Interesse für Geschichte führte mich schließlich zu den internationalen Jugendbegegnungen des Volksbundes. Bei den Workcamps in vielen Ländern Europas habe ich nicht nur Kriegsgräber gepflegt und vieles gelernt, sondern auch Freundschaften geschlossen. Für mich waren diese Begegnungen prägende Erlebnisse: Es war die Möglichkeit, an den Gräbern unserer einst verfeindeten Vorfahren frei miteinander reden zu können.
Am ehemaligen Schlachtfeld bei Monte Cassino in Italien erinnern viele Länder ihrer Kriegstoten. Es hat heute eine besondere Bedeutung sowohl in Italien als auch in Polen und anderen beteiligten Nationen – auch für mich persönlich. Wenn ich heute als Leiter einer Jugendgruppe in dieser friedlichen Landschaft stehe, wirkt all diese Gewalt und das Leid kaum vorstellbar. Und doch erinnern die zahlreichen Soldatenfriedhöfe bis heute: Krieg ist keine Lösung. Die endlosen Reihen an Grabsteinen mahnen uns zum Frieden.
Wenn wir zusammen diese Anlagen pflegen, kommen Fragen, wie: Warum musste er sterben? Was hat er getan? Was hätte ich selbst getan? Für mich ist es ein Erfolg, wenn die Teilnehmenden aus unterschiedlichen Ländern anfangen, genau diese Fragen zu stellen – und damit allzu einfache Antworten hinterfragen.
Von Cassino führte der Weg der Alliierten nach Rom, das am 4. Juni 1944 befreit wurde – dem Geburtsdatum meines Großvaters. Mit den Jugendlichen waren wir diesen Sommer auf dem Capitol Hügel, wo 1957 die Römischen Verträge unterzeichnet wurden – die Grundlage für die heutige EU. Für meine Generation ist dieses freie Europa ein großer Glückfall und ein Privileg zugleich. Aber: Auch, wenn alle Wege nach Rom führen, brauchen wir gemeinsame Brücken, über die wir zusammen gehen. Ganz im Sinne des Mottos des Volksbundes: Together for peace - Insieme per la pace - Gemeinsam für den Frieden.
2.269 Zeichen | 2:38 Minuten
Abgestimmte Kurzbiografien der Lesenden:
Isabella Vazza (26) aus Belluno, Italien, arbeitet in der Filmindustrie als Junior-Produzentin in Bologna und hat einen Abschluss in Medien und Kommunikation. Seit 2016 engagiert sie sich beim Volksbund, zunächst als Teilnehmerin und später als Teamerin in mehreren Workcamps in Deutschland. Seit 2019 ist sie außerdem aktive Freiwillige bei ESN Italien (Erasmus Student Network) und koordiniert EU-finanzierte Jugendprojekte mit einem starken Fokus auf europäische Kultur und Zusammenarbeit.
Sie wird deutsch sprechen.
Matteo Atticciati (26) aus Neapel, Italien, studiert derzeit Diplomatie an der SIOI (Società Italiana per l’Organizzazione Internazionale / Italienische Gesellschaft für Internationale Organisation) in Rom. Zuvor studierte er Internationale Beziehungen in Florenz, Rom, Shanghai und Mannheim und arbeitete für eine internationale Zeitung in Brüssel. Er war studentischer Vertreter im Akademischen Senat der Universität Florenz und nahm an der Gelben Route des Volksbund-Projekts Peaceline teil, das drei Länder des ehemaligen Jugoslawiens umfasste.
Er wird italienisch sprechen.
Leutnant Lea Schuster (24), Hamburg, nach einem deutsch-italienischen Abitur studiert sie Psychologie im Master an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Sie war drei Mal Teamerin beim deutsch-polnischen Workcamp in Monte Cassino (Italien).
Dominic Lagoski (29), Rostock, seit 2024 Vorsitzender der Jugendvertretung des Volksbundes (BJAK). Innerhalb des Volksbundes vertritt er aktuell die Interessen der Jugendlichen im Bundespräsidium und gibt so der Jugend eine Stimme. Er ist langjähriger Workcamp-Teamer, zuletzt in Monte Cassino (Italien). Seit 2015 Mitglied im Volksbund, anfangs als Teilnehmer in den Workcamps, seit 2021 als Teamer. Er ist im öffentlichen Dienst der Stadt Rostock tätig.